Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert. Группа авторов

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      Hermann Gätje / Sikander Singh

      Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert

      Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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      © 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

      Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

      www.narr.de[email protected]

      Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

      ISBN 978-3-7720-8703-5 (Print)

      ISBN 978-3-7720-0116-1 (ePub)

      Vorwort

      Im Heiligen Römischen Reich bildete die im Mündungsgebiet der Ill in den Rhein gelegene freie Reichsstadt Straßburg ein einflussreiches wirtschaftliches und kulturelles Zentrum. In der Folge der Reformation, die hier früh und nachhaltig Einfluss erlangte, avancierte die Stadt zudem zu einem bedeutenden Zentrum der Buchherstellung: So trugen die in Argentoratum gedruckten Werke – wie die bis in das 17. Jahrhundert gebräuchliche mittellateinische Namensform lautete – wesentlich zur Verbreitung der Lehren Martin Luthers und Johannes Calvins im deutschen und französischen Sprachraum bei.

      Die Besetzung der Stadt durch französische Truppen im Jahr 1681 verfolgte daher nicht ausschließlich Ziele im Rahmen der Reunionspolitik des französischen Königs Ludwig XIV. – schließlich waren große Teile des Elsass bereits mit dem Westfälischen Frieden von 1648 unter seine Landeshoheit gelangt. Die Hegemonie über die Metropole des Elsass eröffnete Frankreich darüber hinaus Möglichkeiten der ökonomischen Vorteilsnahme und bot zudem die Gelegenheit, den Einfluss reformatorischen Gedankenguts zurückzudrängen. Wenngleich unter den neuen Herrschaftsverhältnissen im Elsass – nach der Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes durch das Edikt von Fontainebleau im Jahr 1685 – weiterhin Religionsfreiheit bestand, verfolgten die französischen Könige eine mittel- und langfristig erfolgreiche Rekatholisierungspolitik. Trotzdem konnte die 1621 gegründete lutherische, deutsch geprägte Universität Straßburgs weiterbestehen und verfügte, insbesondere im Verlauf des langen 18. Jahrhunderts, über einen ausgezeichneten Ruf, der Gelehrte wie Studenten aus europäischen und deutschen Ländern anlockte. In den Jahren und Jahrzehnten nach der Französischen Revolution von 1789 wurde die Stadt schließlich zu einem Ort des Exils für deutsche Republikaner, oppositionelle Intellektuelle und Schriftsteller. Vor diesem Hintergrund konstatierte Otto Flake über die Entwicklung Straßburgs im Spannungsfeld zweier Kulturen und Sprachen: „Im Unterschied zu allen deutschen Städten erlebte es die vorbereitenden Stadien des modernen Westeuropa, das achtzehnte Jahrhundert, die Revolution, Napoleon und das plutodemokratische Bürgertum in unmittelbarer Teilnahme, während es von der geistigen und politischen Entwicklung, die in Deutschland in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts einsetzte, nicht mehr berührt wurde.“

      Aufgrund seiner geographischen Lage und vor dem Hintergrund seiner Geschichte existierten in Straßburg bis in das 19. Jahrhundert nebeneinander französische und deutsche Einflüsse, was nicht zuletzt im verbreiteten Gebrauch der deutschen Sprache dokumentiert wird. Diese kulturell interessante Parallelität divergenter kultureller Prägungen bestand bis zum Deutsch-Französischen Krieg: Im September 1870 wurde Straßburg von deutschen Truppen besetzt, 1871 zur Hauptstadt des deutschen Reichslandes Elsass-Lothringen. Mit dem vorläufigen Ende der beinahe zweihundertjährigen Herrschaft Frankreichs über die elsässische Metropole verschob sich auch der paritätische Einfluss beider Nationen auf das wissenschaftliche und kulturelle Leben der Stadt zugunsten einer Hegemonie des Wilhelminischen Reiches.

      Die Beiträge des vorliegenden Bandes untersuchen einzelne Aspekte des geistigen Lebens in Straßburg in den Jahren zwischen 1681 bis 1871 und leisten auf diese Weise einen Beitrag zum Verständnis der Mehrdimensionalität einer Kultur im Spannungsfeld deutscher und französischer Einflüsse.

      Saarbrücken, im Frühjahr 2020

      Hermann Gätje und Sikander Singh

      Über die Legitimation von Widmungsschriften – Elias Silberrads Straßburger Thesendruck De dedicationum literariarum moralitate

      Robert Seidel, Frankfurt am Main

      Das Zustandekommen des vorliegenden Beitrages verdankt sich einem Zufall: Im Rahmen umfassender, langfristig angelegter Studien zur wissenschaftshistorischen Erschließung frühneuzeitlicher Dissertationen wurden nicht nur die sich in den ausgewerteten Thesendrucken manifestierenden gelehrten Diskurse reflektiert, sondern auch deren Entstehungs- und Distributionskontexte sowie das paratextuelle Umfeld in die Analysen einbezogen. Hierbei spielten die häufig sehr aufschlussreichen Dedikationsschreiben, wie sie beispielsweise vom Präses an den Respondenten oder auch vom Respondenten an seine(n) Gönner verfasst wurden, keine geringe Rolle. Ganz überraschend tauchte unter den Quellen auch ein – wenn man so will – metatextuelles Zeugnis auf, ein Thesendruck nämlich, der die Frage nach Sinn und Rechtmäßigkeit des Dedizierens selbst zum Thema hat. Man muss sich also vorstellen, dass diese im 16. bis 18. Jahrhundert geläufige Praxis, die in jüngster Zeit im Zeichen des Autorisierungsparadigmas wieder einmal zum Gegenstand intensiver Studien avancierte,1 in eben denjenigen akademischen Kreisen, in denen sie geübt wurde, zugleich Anlass zu kritischer Diskussion bot. Es handelt sich bei unserem Text um die bislang gänzlich unbeachtete Straßburger Disputation De dedicationum literariarum moralitate, die am 3. Juni 1718 unter dem Präsidium des Professors für praktische Philosophie Elias Silberrad, der wohl auch der Verfasser war, abgehalten wurde. – Auf den folgenden Seiten soll zunächst das frühneuzeitliche Disputationswesen, dessen Kenntnis zum Verständnis der nachfolgenden Ausführungen notwendig erscheint, kurz skizziert werden (I.). Im Hauptteil der Untersuchung wird dann der Straßburger Thesendruck analysiert und in seinen Kontexten verortet (II.).

      I.

      Die unterschiedlich langen, meist zwischen zwölf und sechzig Seiten umfassenden Thesendrucke, die im institutionellen Kontext akademischer Disputationsveranstaltungen veröffentlicht wurden, sind, zumindest was den deutschen Kulturraum betrifft, als außerordentlich ergiebige Quellen für die interdisziplinäre kultur- und wissenschaftshistorische Forschung klassifiziert worden.1 Um den Quellenwert des Mediums richtig einschätzen zu können, muss man sich allerdings einige Funktionsbedingungen des frühneuzeitlichen Universitätsbetriebs klar machen. Wissenschaftsgeschichtlich gesehen, markiert die Zeit um 1800 einen Paradigmenwechsel. Wenn man von der Moderne aus die Schwelle zur Frühen Neuzeit überschreitet, also in das 18. Jahrhundert und weiter zurück blickt, fallen besonders drei Aspekte gelehrter Beschäftigung auf, die dem heutigen Forscher befremdlich erscheinen mögen: Zum einen ist die umfangreiche, kohärente und vom gelehrten Nachwuchs eigenständig verfasste Monographie in jener Zeit zwar eine Option, doch nicht der Regelfall eines Thesendruckes. Neben Schriften mit echtem Abhandlungscharakter, die aus Forscherperspektive grosso modo natürlich die ergiebigeren sind, waren auch knappe Reihungen unverbundener Thesen (sogenannte theses nudae) verbreitet. Zwischen diesen Extremen sind alle überlieferten Drucke zu verorten. Im Zusammenhang mit der auffälligen Struktur der Dissertationen steht eine Vorstellung von akademischer Lehre, die der Rekapitulation gelehrten Wissens gegenüber einer innovativen Forschungsleistung den Vorrang einräumt. Auch hier gab es freilich unterschiedliche Ansätze, und es wurde unter den Zeitgenossen darüber diskutiert, welchen Status die Thesendrucke im Hinblick auf ihr innovatives Potential im Vergleich mit anderen Formen der Wissensliteratur besaßen. Der Pädagoge Sigmund Jakob Apin (1693 bis 1732) stellte das Forschungspotential dieses Genres heraus:

      Viele Gelährten kommen bey Untersuchung der Warheit auf neue Gedancken, wollen aber deswegen nicht gleich gantze Bücher und Tractate schreiben, sondern geben ihre neue Meinung in forma Disputationis heraus.2

      Schließlich ist zu beachten, dass die an einer Disputation


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