Das geistige Straßburg im 18. und 19. Jahrhundert. Группа авторов
des kritischen Verfahrens, das – so viel sei vorweggenommen – neben Formen des eigentlichen Betruges auch Sonderfälle wie eben das maßlose Dedizieren oder umgekehrt das Einfordern von Dedikationen ins Visier nimmt:
Es ist zu vermuten, dass die erhöhte diskursive Produktion von Negativfiguren eine Strategie zur Harmonisierung der [sc. gelehrten] Kommunikation durch die Etablierung eines konsensfähigen Exklusions- und Relegationsparadigmas darstellt, die auf die Restitution unsicher gewordener Identität und Legitimität abzielt. Aus diesem Grund, so die hier vertretene These, wurde die Figur des gelehrten Scharlatans zu einer prominenten Figur in der Übergangsphase von Gelehrsamkeit zu Wissenschaft von der Mitte des 17. bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, der eine wichtige Rolle in der Ausbildung und Durchsetzung fachlicher und ethischer Leitbilder zukam.14
Die neueste Forschung beruft sich auf eine knappe, aber gehaltvolle Studie von Marian Füssel, der darauf hingewiesen hat, dass der quantitative Schwerpunkt diesbezüglicher Publikationen ins Jahrzehnt zwischen 1710 und 1720 fällt, also genau in die Dekade, in der auch unser Text entstanden ist.15 Eine historisch eindeutige Erklärung für die Kulmination gelehrtenkritischer Schriften gerade in dieser Zeitspanne ist schwer zu geben, man kann „sowohl die pietistisch-theologischen wie die rationalistisch-sozialen Strömungen“16 der Zeit als Ursache sehen, „die gewachsene Öffentlichkeitswirksamkeit der Gelehrtenkultur“17 zu Beginn des 18. Jahrhunderts verantwortlich machen oder in der Verfolgung des Absonderlichen einen Reflex des „in der kameralistischen Wirtschaftstheorie formulierten Ziel[s] staatlicher Prosperität“ erkennen.18 Für den Zweck der vorliegenden Studie stellt sich die Situation etwas einfacher dar, weil wir uns einzig dem Spezialfall der Dedikationen zuwenden und uns auf die besonderen Umstände der Widmungspraktiken konzentrieren können.19 Auch Elias Silberrad beruft sich in seinem Proömium freilich auf die wenige Jahre zuvor erschienenen einflussreichsten Schriften zum Gesamtthema der gelehrten Scharlatanerie, Michael Lilienthals Abhandlung De Machiavellismo literario von 1713 und Johann Burckhardt Menckes zwei Reden De Charlataneria eruditorum von 1715, die bald unter dem Titel Von der Charlatanerie oder Marcktschreyerey der Gelehrten ins Deutsche übersetzt wurden.20 Beide Schriften stellen für Silberrad wichtige Referenztexte dar, die Argumente und vielfach auch die zum Beleg für die Gelehrtenlaster herangezogenen exempla werden markiert oder unmarkiert übernommen – der Plagiatsbegriff war zu dieser Zeit weniger streng als in den Zeiten des Urheberrechts und einer emphatischen Betonung des „geistigen Eigentums“. Silberrad geht von der fatalen und eigentlich, wie er meint, unbegreiflichen Neigung gerade der Gelehrten zu allerlei standestypischen Negativeigenschaften wie Pedantismus, Streitlust, Geldgier, Schreib- und Ruhmsucht aus und schließt die These an, dass der „dedicandi mos“, der Brauch, Bücher mit Widmungen zu versehen, den zuvor genannten Fehlentwicklungen innerhalb der Gelehrtenrepublik Vorschub leiste („vitiis non parum inserviat“).21 Er wolle einige der unlauteren Motive der Widmungsschreiber bekannt machen, aber – so die wichtige Wendung am Schluss der Vorrede – zugleich belegen, dass der Brauch als solcher keineswegs verwerflich sei („dedicandi morem, abusum si tollas, haud spernendum esse evincimus“).22 Damit wird bereits angedeutet, dass es Silberrad nicht in erster Linie um eine Polemik gegen groteske Auswüchse am Rande der Gelehrtenwelt zu tun ist, sondern dass er vielmehr, indem er legitime und verwerfliche Motive kontrastiv gegenüberstellt, regulierend auf bestimmte Praktiken innerhalb der respublica litteraria einwirken will. Um den Zusammenhalt unter den Gelehrten nicht zu gefährden, suggeriert er außerdem, dass es sich bei den geschilderten Verstößen gegen das decorum der Gelehrten um bedauerliche Einzelfälle („abusus“) handele.23
4. Die Disposition der Thesenschrift wird durch Randglossen gut verdeutlicht, weshalb diese zunächst in Form eines Inhaltsverzeichnisses präsentiert werden sollen:
[PROOEMIUM] | S. 1 | |
[De MORALITATE DEDICATIONUM LITERARIARUM] | S. 5 | |
<§1> | Nomen et origo Dedicatt. [Dedicationum] | S. 5 |
<§2> | VITIA DEDICATIONUM | S. 7 |
1. Vanae gloriae studium | S. 7 | |
<§3> | Signa ex quibus cognoscitur | S. 8 |
<§4> | 2. Pecuniae Aucupium24 | S. 9 |
<§5> | Effectus Avaritiae | S. 12 |
1. Animi Ingratitudo | S. 12 | |
<§6> | 2. Ludibrium aliorum | S. 13 |
<§7> | Vindiciae pro quibusdam dedicantibus | S. 14 |
<§8> | Dedicatio Sociniani Catech<ismi> | S. 16 |
<§9> | VIRTUTES DEDICANTIUM | S. 17 |
1. Pietas | S. 17 | |
<§10> | 2. Animi Gratitudo | S. 18 |
<§11> | 3. Animi veneratio, per quaesit<um> libri ded<icati> patrocin<ium> | S. 20 |
<§12> | VIRTUTES PATRON<ORUM> CIRCA DEDIC<ATIONES> | S. 22 |
<§13> | VITIA EORUM QVOS DEDIC<ATIONIBUS> COMPELL<AMUS> | S. 24 |
<§14> | CAUTELAE PRUDENTIAM CIRCA DEDICATIONES FORMANTES | S. 27 |
I. | S. 27 | |
<§15> | II. | S. 28 |
<§16> | III. | S. 28 |
<§17> | IV. | S. 30 |
Diese Gliederung ist dem Tenor des Proömiums entsprechend auf Ausgewogenheit bedacht. In chiastischer Anordnung folgen vier Hauptkapitel aufeinander: Behandelt werden die „vitia dedicationum“, die „virtutes dedicantium“, die „virtutes patronorum circa dedicationes“ und die „vitia eorum quos dedicationibus compellamus“. Der Text nimmt also zunächst die Produzenten der Widmungsschreiben in den Blick, tadelt Ruhmsucht und Geldgier und lobt lautere Motive wie die Dankbarkeit gegenüber den Gönnern. Der Blick auf die Gönner beschreibt in umgekehrter Folge zunächst deren lobenswerte Aspekte wie die vielerorts zu beobachtende Liebe der Fürsten zur Gelehrsamkeit, bevor zum Schluss einige negative exempla adeliger Bildungsfeindlichkeit präsentiert werden. Bei der quantitativen Aufteilung der Abschnitte fällt zunächst auf, dass den Widmungsschreibern dreimal so viel Raum zugewiesen wird wie den Widmungsempfängern, womit Silberrad dem vorherrschenden Aspekt der akademischen Selbstverständigung Rechnung trägt. Deutlich wird das gerade auch im Abschnitt über die Bildungsfeindlichkeit der Adligen, deren Grund zumindest teilweise ebenfalls im Fehlverhalten der Gelehrten verortet wird. Es gebe für diese misslichen Umstände eine doppelte Ursache, nämlich