Geist & Leben 1/2022. Verlag Echter

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erkennen und erfassen: Ich habe bereits einen gnädigen Gott und muss ihn nicht erst suchen oder gnädig stimmen. Er steht auf meiner Seite und will mir wohl. Ich entdecke auch meine Schattenseiten und ich entdecke, dass sie von Gott unterfangen sind. Ich widerstehe der Versuchung, dass an meinen Begrenzungen immer „die anderen schuld sind“ und übernehme Verantwortung für mich und mein Handeln.

      Auf dieser Basis will ich in der „zweiten Woche“ meine Christus-Beziehung vertiefen, statt falsche Kompromisse zu schließen und zu stagnieren. Ich suche und vertiefe sehr bewusst meine Berufung als Mensch und als Christ. Ich will mich in die Nachfolge Jesu begeben und ihm ganz bewusst nicht nur um seiner angenehmen Aspekte willen nachfolgen, sondern auch in eine Schicksalsgemeinschaft mit ihm eintreten – selbst da, wo es schwierig wird und keinen „Spaß macht“. Sehr nüchtern und realistisch sagt Ignatius dazu: Solange jemand mit der Dynamik der ersten Woche zu tun hat, wären Dynamiken der zweiten Woche „Dinge, die er nicht ohne Überspannung seiner Kräfte zu tragen und aus denen er keinen Nutzen zu ziehen vermag“ (GÜ 18).

      Für den inneren Weg dieser zweiten Exerzitienphase legt Ignatius die geistliche Übung der „drei Weisen der Demut“ vor. Er erklärt zunächst, was er mit den ersten beiden Weisen der Demut meint, die sich an „Gott unseren Herrn“ richten. In der klassischen Ausdrucksweise seiner Zeit formuliert er: Ich möge Gott um seine Hilfe dafür bitten, dass ich keine Todsünde (erste Weise der Demut) und auch keine „lässliche Sünde“ (zweite Weise der Demut) begehe. Dann sagt er zur dritten Weise der Demut, die sich an Christus richtet: „Die dritte ist vollkommenste Demut, nämlich wenn ich, unter Einschluss der ersten und zweiten, wenn der Lobpreis und die Ehre der göttlichen Majestät gleich ist, um Christus, unseren Herrn, nachzuahmen und ihm aktualer ähnlich zu sein, mehr mit dem armen Christus Armut will und erwähle als Reichtum, Schmähungen mit dem davon erfüllten Christus mehr als Ehren, und mehr zu wünschen, als nichtig und töricht um Christi willen angesehen zu werden, der als erster dafür gehalten wurde, denn als weise und klug in dieser Welt“ (GÜ 167).

      L(i)eben lernen

      Das würde in heutiger Sprache für einen ignatianischen spirituellen Lebensweg heißen: Authentisch zölibatär lebende Priester erkennen die Versuchung und widerstehen ihr, vor sich selbst und anderen mit vielen Energien eine äußere Fassade aufrechtzuerhalten oder ein Doppelleben zu führen oder falsche Kompromisse und Kompensationen zu suchen. Sie arbeiten stattdessen kreativ daran, immer mehr das eigene Lebenskonzept zu realisieren, „das Gott unser Herr uns schenkt, um es zu erwählen“ (GÜ 135). Sie verstehen ihre jeweils einmalige Berufung als Geschenk Gottes an sich. Sie erfahren immer mehr, dass und wie die göttliche Initiative für ihr Leben ihrem menschlichen Handeln vorangeht. Sie glauben und hoffen, dass sie auch menschlich nicht „zu kurz kommen“, wenn sie ihr Leben in Demut in den Dienst Christi stellen.

      Das Begehren der Zweiten Woche intendiert nicht nur, etwas über Jesus zu wissen, sondern ihn zu kennen. Ignatius ist vollkommen zuversichtlich, dass Jesus zu kennen bedeutet, ihn zu lieben. Er kann sich nicht vorstellen, dass jemand Jesus innerlich kennt, ohne eine wachsende intensive Anziehung. In der zweiten Exerzitienwoche führt Kennen zum Lieben. Und durch das Begehren geht das Wissen in Handeln über – nicht irgendein Handeln, sondern das Handeln, das aus dem Lieben entsteht, und aus der Liebe zu dem, was der Liebende liebt. Wissen und Liebe bewegen zur Nachfolge, nicht irgendetwas zu tun, sondern mit ihm zu tun, was er tut.

      Demut und Dienst

      Das Geschenk Gottes bzw. Christi an mich beantworte ich mit dem Geschenk meines Lebens an ihn. Das ist gerade nicht eine reale (wie es angeblich Origenes tat) oder voluntaristisch-überhöhte symbolische Kastration. Sondern ich trete ein in eine dialogische und das eigene Leben prägende und im Gebet vollzogene Beziehung, die durch Demut und Dienst gekennzeichnet ist. Ignatius rät für die praktische Umsetzung: „So ist es für den, der diese dritte Demut zu erlangen wünscht, sehr nützlich, (…) zu bitten, dass unser Herr ihn zu dieser dritten, größten und besten Demut erwählen wolle, um mehr ihn nachzuahmen und ihm zu dienen“ (GÜ 168). Ignatius stellt sich vor, dass ich als Mitarbeiter Christi in eine lebensbestimmende Gemeinschaft mit ihm eintrete, mehr und mehr so lebe wie er und in dieser Beziehung menschlich und geistlich wachse (GÜ 147; 165). Die von ihm verfasste Ordensregel der Jesuiten drückt das, was ein Leben in der „dritten Weise der Demut“ ausmacht, so aus:


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