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à Lenin S. 423, für das Sitte den Kunstpreis der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) erhielt, kaufte die Nationalgalerie über das Ministerium für Kultur der DDR im selben Jahr an. Ebenfalls 1970 bekam sie die beiden Leuna-Gemälde übereignet: Leuna 1921S. 409 vom VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, Leuna 1969S. 411 vom Ministerium für Kultur der DDR. Auch die hallesche Sitte-Sammlung erfuhr in dieser Zeit weitere Zuwächse. Im September 1969 gelangten drei neue Gemälde in den Museumsbestand: das Porträt Erik NeutschS. 320 als Übereignung vom Rat des Bezirks, Familie am MeerS. 465, angekauft für das Museum durch den Rat der Stadt, und Rufer IIS. 297 übereignet vom Rat des Bezirks.
Während sich im Laufe der 1960er Jahre schrittweise die Anerkennung von Sittes Schaffen vollzog, wenngleich er sich noch bis Ende des Jahrzehnts immer wieder Formalismus-Vorwürfen ausgesetzt sah, jedoch mit abnehmender Tendenz, hatte sich seine Position zu Beginn der 1970er Jahre gefestigt. 1967 war er erstmals mit einer größeren Werkauswahl auf der Kunstausstellung der DDR in Dresden vertreten;56 1969 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Akademie der Künste in der DDR gewählt und erhielt „für sein bedeutendes künstlerisches Werk als Maler, insbesondere seine jüngste Arbeit Leuna 1968 [sic!]“57 den Nationalpreis der DDR II. Klasse für Kunst und Literatur. Seit 1964 Mitglied des Zentralvorstands des VBK wurde er 1970 einer der Vizepräsidenten und 1974 dessen Präsident. 1972 war Sitte Direktor der neugeschaffenen Sektion Bildende und Angewandte Kunst an der Hochschule für industrielle Formgestaltung, der heutigen Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, geworden; 1973 folgte die Ernennung zum ordentlichen Professor für Malerei.58
7 Willi Sitte: Arbeiter in der Mittagspause, 1963, Öl auf Hartfaser, 140 × 120 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
8, 9 Ansichten der Willi-Sitte-Retrospektive in der Staatlichen Galerie Moritzburg, Halle (Saale), 1971
Beginn der Kanonisierung: erste Retrospektive in der DDR und der UdSSR
Diese Festigung seiner Stellung künstlerisch wie politisch wurde bekrönt von einer ersten umfassenden Retrospektive, die Wolfgang Hütt gemeinsam mit dem Rostocker Kunsthistoriker Hermann Raum (1924–2010) anlässlich von Sittes 50. Geburtstag vorbereitete. Sie fand vom 25. Juli bis 12. September 1971 in allen damals verfügbaren Räumen der Moritzburg statt 8/9. Hierfür wurde die Sammlungspräsentation vollumfänglich ins Depot verbracht, selbst die Gotischen Gewölbe im Untergeschoss des Westflügels, wo die mittelalterliche Schnitzkunst ihren Platz hatte, wurden beräumt. Im Neuen Deutschland wurde vermeldet, dass die Ausstellung „mit Werken aus der Zeit von 1940 bis zur Gegenwart einen gelungenen Querschnitt seines Schaffens [gibt]. 130 Gemälde sowie fast 200 Handzeichnungen und andere grafische Blätter werden gezeigt, von denen ein beträchtlicher Teil zum erstenmal [sic!] ausgestellt ist.“59 Besonders aufschlussreich ist ein weiterer im Neuen Deutschland erschienener Artikel von Ingrid Schulze (1929–2009), der mit dem heutigen historischen Abstand erkennen lässt, wie schwierig es zu dieser Zeit noch war, das gesamte Œuvre Willi Sittes, also auch seine als „formalistisch“ kritisierten Arbeiten, anzuerkennen und in die Kanonisierung aufzunehmen. Zunächst würdigte Ingrid Schulze die Schau als „ein künstlerisches Ereignis. Dadurch, daß sämtliche Phasen des von Konflikten und inneren Kämpfen keineswegs freien Werdeganges von Sitte durch charakteristische Werke vertreten sind, wird das ungeheure Maß an geistiger Arbeit deutlich, das der Hallenser Maler und Grafiker leisten mußte, bevor er in seinen Arbeiten der letzten Jahre die sozialistischen Entwicklungsprozesse in ihrer Vielschichtigkeit erfassen konnte.“60 Um die der Moderne verpflichteten Werke der 1950er Jahre rechtfertigen zu können, konstatierte sie, dass „uns das nach wie vor enthaltene gesellschaftskritische Moment zumeist in einem zeitlos anmutenden mythologischen Gewand entgegen[tritt]“. Hinsichtlich des Gemäldes Bergung II 4 sieht sie gar „Erinnerungen an die italienische Malerei des fortgeschrittenen 16. Jahrhunderts an[klingen], […], in dem manieristische Gestaltungselemente und der beginnende Einfluß Picassos eine Einheit bilden.“ Das Völkerschlacht-Gemälde S. 344 f, das Ende der 1950er Jahre kritisiert und als historisch unkorrekt abgelehnt wurde, stellt für sie nun „einen Höhepunkt sozialistisch-realistischer Historienmalerei dar“. Ferner spricht sie von „einem wahrhaft gigantischen Ringen“ Sittes, das zu Beginn der 1960er Jahre Früchte trug, denn „[i]n dem Maße, wie sich in der Folgezeit die Beziehungen Sittes zur sozialistischen Wirklichkeit festigten und vertieften […] gewann die antiimperialistische Aussage an gesellschaftlicher Konkretheit.“ Schließlich resümierte sie: „Charakteristisch für dieses Werk ist die innere Einheit von revolutionären Traditionen und Neuerertum, ein bestimmender Wesenszug des von Sitte umfassend gestalteten sozialistischen Menschenbildes.“ Damit ist Willi Sitte zum Zeitpunkt des Wechsels in der Führung des Staates von Walter Ulbricht zu Erich Honecker (1912–1994) durch das Wirken ihm wohlgesonnener Kunsthistoriker und Parteifunktionäre final legitimiert und kanonisiert.61 Die bis dahin umfangreichste und repräsentativste Sammlung seines Schaffens hatte das Kunstmuseum in der halleschen Moritzburg in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten aufgebaut. Sie umfasste zu diesem Zeitpunkt 12 Gemälde.
10 Willi Sitte: Schuhanziehende, 1963, Öl auf Hartfaser, 55 × 46 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
11 Willi Sitte: Akte in Blau, 1963, Öl auf Hartfaser, 55 × 40 cm, Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
Nach dem Ende der Ausstellung in Halle (Saale), die um einen Monat bis zum 17. Oktober 1971 verlängert und von etwa 20 000 Besuchern gesehen worden war,62 wurde am 1. November 1971 ihre zweite Station in der Kunsthalle Rostock eröffnet. Hierfür war nun auch der von Hermann Raum verfasste Katalog mit dem von Wolfgang Hütt bis einschließlich 1970 erarbeiteten Werkverzeichnis fertig geworden. Nach dem Ende der Retrospektive erhielt das hallesche Kunstmuseum im Oktober 1972 zum Teil aus dem Konvolut der gezeigten Werke weitere fünf Gemälde vom Rat des Bezirks übereignet: Schuhanziehende 10, Akte in Blau 11, Montagearbeiter, Singende N**** und Höllensturz in Vietnam