Depression und Burn-out überwinden. Dr. Sabine Gapp-Bauß
Wohnung oder Ihr Haus Ihnen einen sicheren, ruhigen Ort bieten, an dem Sie sich wohlfühlen.
Aufräumen und Sortieren sind gute Tätigkeiten, um sich auch innerlich zu sortieren. Falls Sie im Rückstand sind mit wichtigen Dingen, die es zu erledigen gilt, lassen Sie sich von jemandem unterstützen, denn der zusätzliche Druck von schlechtem Gewissen oder Angst vor Versäumnissen bringt nur zusätzlichen Stress. Beginnen Sie mit Dingen, die für Sie im Moment am dringendsten sind. Alles andere lassen Sie so, wie es ist.
Manchmal reichen schon kleine Maßnahmen, um Ihnen eine Last von den Schultern zu nehmen. Manchmal sind jedoch auch bestimmte grundsätzliche Entscheidungen erforderlich, zum Beispiel die, eine Unterstützung für den Haushalt zu finden.
Ich erinnere mich an eine Frau, die durch den Verlust von Familienangehörigen in einen schweren Depressionszustand geraten war und kaum noch schlafen konnte. Sie hatte einen kranken Hund, der mit seinem schmerzbedingten Jaulen seit Jahren die gesamte Familie terrorisierte. Alle waren mit ihren Nerven am Ende und die Familie drohte an diesem Tier zu zerbrechen. Schon der Tierarzt hatte seit Monaten dazu geraten, den Hund von seiner Pein zu erlösen. Die Frau war aus nachvollziehbaren Gewissensgründen nicht in der Lage, sich dazu zu entschließen. Sie überschätzte aber auch ihre Fähigkeit, diesen quälenden Zustand weiter zu ertragen. Mit Unterstützung fand die Familie ein gutes Ritual, um sich von dem Tier zu verabschieden. Als im Haus erstmals seit Jahren Ruhe eingekehrt war, konnte die Frau sich langsam erholen und Schritt für Schritt ihre Probleme lösen. Manchmal zwingt uns die Erkrankung auch zu schweren Entscheidungen, die jedoch einen wichtigen Heilungsschritt einleiten.
Vor allem aber bringt der Entschluss, sich jetzt alle Zeit der Welt zu geben und sich selbst völlig in den Mittelpunkt des eigenen Lebens zu stellen, fast so etwas wie ein inneres Aufatmen. Hadern Sie nicht mit ihrer Situation. Sie können nichts dafür. Geduld fördert Ihren schrittweise vorangehenden Heilungsprozess. Vertrauen Sie darauf: In einem Halt gebenden Ambiente mit klaren Strukturen werden auch Sie wieder gesund!
Meine Empfehlung:
Stellen Sie sich folgende Fragen:
•Wie ist mein Schlaf?
•Wie steht es mit meiner alltäglichen Versorgung?
•Bin ich emotional stabil genug? Komme ich alleine zurecht?
•Fühle ich mich zu Hause sicher und geborgen?
•Gibt es dringende Entscheidungen, Erledigungen oder drohen Versäumnisse (Krankmeldung, Rechnungen, Geldangelegenheiten)?
•Habe ich in meiner Situation Verbündete, die mir Halt und Hoffnung geben?
Und dann sorgen Sie dafür, dass Sie den Rücken freibekommen und sich Unterstützung holen. Tun Sie es jetzt gleich! Etwas ist immer möglich, und wenn es nur die Notiz auf einem Zettel ist.
Trost und Halt auf dem Weg aus der inneren Einsamkeit
Zum Verständnis:
Depressive Menschen leiden vor allem unter einem quälenden Gefühl von Niedergeschlagenheit und Einsamkeit, das sich anfühlt, wie wenn jemand von sich selbst abgeschnitten ist. Es ist das Gefühl von Gefühllosigkeit, das so unerträglich ist und kaum richtig benannt werden kann. Manchen hat es geradezu „die Sprache verschlagen“. Um da herauszukommen, braucht man einen langen Atem. In diesem Prozess sind Menschen auf Trost und Halt von außen angewiesen, denn dadurch lassen sich Zuversicht und Hoffnung schöpfen. Gerade Trost ist ein Faktor im Heilungsprozess, dem in unserer technisierten Medizin kaum Bedeutung beigemessen wird. Erfahren Menschen Trost, so schöpfen sie wieder Hoffnung. Auf diese Weise hören die Alarmreaktionen im emotionalen Gehirn sofort auf und es kommt zur Regeneration der seelischen Kräfte.
Eine Patientin berichtete mir, dass in ihrer Klinikzeit ein einziges Gespräch mit der Nachtschwester, in dem sie sich auf einer tiefen Ebene verstanden fühlte, dazu beitrug, dass sie keine Schlafmittel mehr brauchte. Psychodynamik ist eben stärker als „Pharmakodynamik“, was so viel heißt wie: Heilsame Beziehungen wirken stärker als jedes Medikament. Da Sie dieses Buch in die Hand genommen haben, nehme ich an, dass Sie daraus Trost und Bestärkung schöpfen möchten. Ich werde im Folgenden beschreiben, worum es sich dabei handelt.
Menschen mit Depression quält, unabhängig davon, ob sie allein oder mit jemand zusammen leben, ein Grundgefühl von tiefer innerer Einsamkeit. Selbst in der Umgebung liebevoller Familienangehöriger kommen Sie sich phasenweise vielleicht völlig verloren vor, denn keiner kann ganz genau nachfühlen, was Sie da gerade durchmachen. Außerdem schmerzt die Erkenntnis, dass Sie an dem guten Lebensgefühl Ihrer Mitmenschen gerade überhaupt nicht teilhaben können. Stattdessen haben Sie das Gefühl wie abgeschnitten zu sein von denen, die Ihnen sonst ganz vertraut sind. Hinzu kommt, dass Sie sich kaum für Ihre Außenwelt interessieren, da sich im Moment all Ihre Kräfte nach innen richten.
Die ungewohnten Stimmungsschwankungen sind beunruhigend für Sie. Vielleicht haben Sie das erste Mal in Ihrem Leben das Gefühl, sich nicht mehr auf sich selbst verlassen zu können, und Sie können das niemandem so recht mitteilen. Die Folge ist nicht selten Verzweiflung.
In dieser Situation brauchen Sie eine sichere und zuversichtliche Begleitung durch eine Person Ihres Vertrauens, die die fachliche Kompetenz im Umgang mit solchen Lebenssituationen hat. Sie übernimmt für eine gewisse Zeit die Funktion, Ihnen Trost, Halt, und ein Geländer zu bieten, an dem Sie sich während des Heilungsprozesses festhalten können. Gehen werden Sie alleine.
Der Begriff „Trost“ mutet in unserem modernen Medizinbetrieb, in dem es oft um gnadenlose Aufklärung geht, schon fast altmodisch an. Trost ist aber gerade am Anfang ein notwendiges Element des Heilungsprozesses. Ohne Trost zu erfahren, kann man als Depressiver leicht den Mut verlieren. Die typische Befürchtung ist, nie wieder ein normales Leben führen zu können. Auch wenn man Ihnen immer wieder versichert, dass das vorübergeht, können Sie es nicht glauben.
Das Wort „Trost“ ist nach Anselm Grün (2008) vom Wortstamm „treu“ hergeleitet und bedeutet „innere Festigkeit“. Jemand, der Trost spendet, hält also mit seiner eigenen inneren Festigkeit zu demjenigen, der da gerade durch tiefe Gefühle von Einsamkeit und Angst geht. Trost wirkt aber nicht als billiger Trost. Wer wirklichen Trost spendet, kann mit dem Erkrankten mitschwingen und traut ihm aufgrund seiner Erfahrung zu, dass er oder sie wieder gesund wird. Dadurch, dass jemand an Sie glaubt, kann sich das Gefühl der Zuversicht mit der Zeit auf Sie übertragen.
Halt und Orientierung, ähnlich einem stabilen Geländer, braucht der depressive Mensch ganz besonders, weil dieses Krankheitsbild in seiner Symptomvielfalt so komplex ist. Die Betroffenen können sich nicht mehr auf Gewohntes verlassen, da täglich neue Herausforderungen bewältigt werden müssen. Ein Therapeut hilft, zu sortieren, zu erklären und schlägt Werkzeuge vor, die helfen, auch mit schwierigen inneren Zuständen umzugehen. Sie werden sich selbst auf diese Weise immer besser verstehen und steuern können. Der Therapeut feiert auch Ihre kleinen Siege mit, die dazu motivieren, am Heilungsprozess dranzubleiben. Ein Therapeut setzt aber auch Grenzen und fordert dazu auf, selbst kreativ zu werden.
Sie können sich diesen Prozess ähnlich dem Entwicklungsprozess als Kind vorstellen. Ein Kind geht an der Hand seines Vaters oder seiner Mutter überall durch, wenn Mutter oder Vater dem Kind Sicherheit vermitteln. Aus Ihrer Kindheit erinnern Sie sich vielleicht noch daran, dass einmal jemand zu Ihnen gesagt hat: „Ich weiß, das ist jetzt nicht so einfach für dich, aber wir schaffen das, wir beide zusammen.“ Vielleicht ist es wichtig, dass Sie genau diese Erfahrung jetzt machen dürfen.
Mit einem Menschen Ihres Vertrauens, der Erfahrung und Zuversicht hat, lässt sich jede Krise mit der Zeit überwinden. Anfangs braucht es vielleicht häufigere Kontakte, manchmal auch tägliche kurze Telefonate, die Sicherheit geben. Später können die Abstände länger werden, da Sie Ihre Gefühle und Reaktionen immer besser einordnen und damit umgehen können. Sie gewinnen zunehmend Ihr Vertrauen zu sich selbst zurück. Die Krankheitssymptome mögen noch so schwer zu ertragen sein – wenn da jemand ist,