Nietzsche aus Frankreich. Jacques Derrida

Nietzsche aus Frankreich - Jacques  Derrida


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hat (der ist, um zu sein, und nicht, um nützlich zu sein, zu dienen, der mit einem Wort kein Werkzeug ist, kein Ding, sondern ein souveränes Wesen).

      Der Kommunismus hat die Vernachlässigung des souveränen Teils des Menschen sogar bis zu einem solchen Punkt getrieben, daß seine fahrlässige Haltung eine klare Definition des Problems ermöglicht hat. Indem er es radikal verwirft, einer jeden nutzlosen Existenz zu dienen, einer menschlichen oder nicht-menschlichen, mit einem Wort, einer jeden souveränen oder heiligen Existenz, tendiert er provisorisch dazu, den Menschen zwar nicht auf den Zustand eines Tieres, aber auf den eines Mittels des Mittels zu reduzieren. So kommt es, daß der Mensch nach dem gegenwärtigen Kommunismus das Problem des Zwecks, der seinem Wesen nach nutzlos, souverän, heilig ist, in der nüchternen Form stellt, die die traditionellen Ausflüchte verbannt. Letztlich würde das provisorische Wesen, das Mittel eines Mittels, selber nutzlos werden, doch ohne sich dieser letztlichen Nutzlosigkeit bewußt zu werden, da es nicht einmal mehr weiß, was die Wörter nutzlos, souverän, heilig bedeuten; auf lebendige Weise ist dieses Wesen ohne Bewußtsein selber die Frage, auf die Nietzsche bewußt antworten mußte.

      Anstelle des Mißverhältnisses tritt am Ende die Verbindung zwischen Nietzsche und dem Kommunismus hervor. Die Aktion des Kommunismus tendiert dahin, das Problem Nietzsches weniger rar, weniger verschlossen zu machen (zumindest wenn man nicht auf Nietzsches Erbrochenes zurückkommt). Auf der anderen Seite sehen wir, daß Nietzsche im voraus auf eine Frage antworten mußte, die der Kommunismus entwickelt, indem er sich einer Antwort verweigert (denn er kann nicht antworten, ohne die Triebfedern der Aktion zu zerbrechen). In summa, es scheint vergebens, die Bedeutung Nietzsches außerhalb der Perspektiven des Kommunismus zu suchen, vergebens, die Bewegung zu verfolgen, aus der diese Perspektiven hervorgehen, ohne an ihrem Ausgang Nietzsches Erschrecken auszumachen.

      Anmerkungen

      1 Hegel entgeht dieser Dienstbarkeit, indem er sich mit der objektiven Totalität identifiziert, ist jedoch trotz der Kreisförmigkeit seiner Denkbewegung, die den Sinn einer Verschiebung auf später gewissermaßen aufhebt, in der Formulierung dieser Tonalität gefangen geblieben. Ich komme andernorts auf diese schwierige Frage zurück.

      2 K. Jaspers, Nietzsche. Einführung in das Verständnis seines Philosophierens, Berlin 1935, Kap. »Wie Nietzsche von uns verstanden wird«, S.448, 449.

      Pierre Klossowski

      Nietzsche, Polytheismus und Parodie

      Die Parodie und der Polytheismus bei Nietzsche? Man wird die Beziehung zwischen diesen beiden Begriffen auf Anhieb schwerlich erkennen und kaum sehen, welcher Vorliebe die Tatsache, daß man davon redet, wohl entsprechen mag, und das Interesse verwunderlich finden, das eine derartige Frage aufwirft. Wenn für die allermeisten der Name Nietzsche untrennbar ist von dem Spruch: Gott ist tot, so wird es, wo die Rede von Nietzsche ist, erstaunlich scheinen, wenn man von der Religion mehrerer Götter zu sprechen beginnt, während heute die Köpfe ohne Zahl sind, für die der Name Nietzsche nicht bloß nichts anderes mehr bedeutet als eben jenen Spruch, sondern für die Nietzsche nicht einmal nötig war, um zu wissen, daß alle Götter tot sind. Und vielleicht werde ich den Eindruck erwecken, mich Nietzsches zu bedienen, um das Gegenteil, die Existenz mehrerer Götter, zu beweisen, und bei der Gelegenheit, schlecht genug, den Polytheismus zu legitimieren; und, da ich mit Wörtern spiele, dürfte ich kaum dem Vorwurf entgehen, unter dem Vorwand, den Sinn der Parodie bei Nietzsche darzustellen, selbst eine Parodie auf Nietzsche zu schreiben.

      Wenn ich Anlaß zu derartiger Konfusion bieten muß, so habe ich immerhin dies bemerklich gemacht: daß nämlich, sofern man sich anschickt, das Denken eines Autors, den man zu verstehen und verständlich zu machen sucht, vor den Augen des Publikums zu interpretieren, keiner in dem Maße wie Nietzsche seinen Interpreten verleitet, ihn zu parodieren. Und nicht allein die in sein Denken verliebten Interpreten, sondern auch diejenigen, die angestrengt bemüht sind, ihn als einen gefährlichen Geist zu widerlegen; Nietzsche selber ermahnte einen seiner ersten Kommentatoren – niemand hatte bislang von ihm gesprochen –, von allem Pathos abzulassen, keinesfalls Partei für ihn zu ergreifen und bei seiner Charakterisierung eine Art von ironischem Widerstand aufzubieten.

      Es läßt sich hier also weder vermeiden, zum Opfer einer Art List zu werden, noch, in die ins Denken und in die Erfahrung Nietzsches eingelassene Falle zu gehen; und sobald man versucht, seine Rede zu erläutern – zumindest, wenn man nicht einfach die Arbeit des Historikers tut wie Andler –, läßt man ihn mehr und läßt ihn zugleich weniger sagen als er sagt; und das nicht in der Weise, wie es allgemein und für jedes Denken unvermeidlich ist, durch eine simple optische Täuschung, oder auch weil man einen bestimmten Ausgangspunkt verfehlt hatte, sondern man läßt ihn mehr sagen als er selbst sagt, indem man ihn sich selbst gleichmacht, oder weniger als er sagt, indem man ihn verwirft oder verändert, aus dem einfachen Grund, daß es, genau genommen, kaum einen Ausgangspunkt gibt und keinen wohlbestimmten Zielpunkt. Die Zeitgenossen und Freunde Nietzsches konnten eine gewisse Entwicklung von der Geburt der Tragödie zum Wanderer und sein Schatten verfolgen, und von der Fröhlichen Wissenschaft und dem Zarathustra bis zur Götzen-Dämmerung. Doch wir anderen, die über die Jugendschriften und den ganzen Nachlaß mit dem Ecce homo verfügen, konnten nicht nur die Verzweigungen seiner Nachwirkung verfolgen und erleben, daß die jüngsten historischen Wirren auf Nietzsches Konto geschrieben wurden; wir können auch noch dies feststellen – und ich denke, daß gerade dies nicht unwichtig ist –: Nietzsche, der trotz allem Philologie-Professor in Basel war und also ein Universitätslehrer mit ganz bestimmten pädagogischen Ambitionen, Nietzsche hat nicht eine Philosophie entwickelt, sondern, außerhalb des Rahmens der Universität, Variationen über ein persönliches Thema, hat das Leben eines kränkelnden Sonderlings oder eines Rekonvaleszenten geführt, eines Sommerfrischlers auf Klimastationen, in der größten intellektuellen Isolation, aufs günstigste sich selbst als seinem einzigen Hörer überlassen.

      Dieser Hochschullehrer, ausgebildet in wissenschaftlichen Disziplinen, um andere auszubilden und zu belehren, sieht sich gezwungen, das Unlehrbare zu lehren: dies Unlehrbare sind die Augenblicke, wo die Existenz den Einschränkungen durch die Begriffe von Geschichte und Moral, aus denen sich gewöhnlich ein praktisches Verhalten ergibt, entflieht und sich als auf sich selbst bezogen erweist, ohne anderes Ziel, als eben zu sich selbst zurückzukehren: so daß alle Dinge neu und zugleich uralt erscheinen; alles ist möglich und alles gleicherweise unmöglich; und für das Bewußtsein gibt es nur zwei Wege, entweder zu schweigen oder es auszusprechen; entweder nichts zu tun oder so zu handeln, daß der alltäglichen Atmosphäre der Charakter der zu sich selbst zurückgekehrten Existenz aufgeprägt wird; entweder in der Existenz sich zu verirren oder aber sie zu reproduzieren.

      Dies Unlehrbare hat er sogleich in seiner Einsamkeit, in der Form seiner Idiosynkrasien erreicht – das heißt, indem er sich selbst beschrieb als einen Genesenden, der am ungelösten Nihilismus seiner Epoche litt, und als er diesen Nihilismus – bis zur Affirmation des Begriffs fatum – aufgelöst hatte, konnte er den Grund der als zufällig gelebten Existenz selbst ergreifen, das heißt als Existenz, die, in seinem Falle, zufällig Nietzsche hieß; und also auch die Wendigkeit, diese zufällige Situation (fortuite) als sein eigenes glückliches Geschick (fortune) – wie der Sinn dieses Wortes selber es will – anzuerkennen; was auf eine Entscheidung zugunsten der Existenz des Universums hinausläuft, das kein andres Ziel hat als dies, zu sein was es ist.

      Diese Annahme der Existenz, die nichts andres ist als die Annahme der Ewigkeit, erkennt Nietzsche in den Gleichnisbildern der Kunst und der Religion wieder, und er sieht auch, daß diese selbe Weise ihrer Annahme von der wissenschaftlichen Tätigkeit unablässig negiert wird, die die Existenz in ihren greifbaren Formen erkundet, um eine praktische und erträgliche Welt zu konstruieren. Nietzsche fühlt sich mit beiden Haltungen gegenüber der Existenz solidarisch, der des Gleichnisbildes und der der Wissenschaft, die erklärt fiat veritas pereat vita.


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