PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Sondern jene ist die edelste und leichteste, nicht Anderen wehren, sondern sich selbst so einrichten daß man möglichst gut sei. Dieses will ich euch, die ihr gegen mich gestimmt habt geweissagt haben, und nun von euch scheiden.
Mit denen aber welche für mich gestimmt, möchte ich gern noch reden über dies Ereignis welches sich zugetragen, so lange die Gewalthaber noch Abhaltung haben, und ich noch nicht dahin gehen muß, wo ich sterben soll. Also, ihr Männer, so lange haltet mir noch aus. Nichts hindert ja uns vertraulich zu unterhalten mit einander so lange es noch vergönnt ist. Denn (40) euch als meinen Freunden will ich gern das erklären, was mir so eben begegnet ist, was es eigentlich bedeutet. Mir ist nämlich, ihr Richter, denn euch benenne ich recht, wenn ich euch Richter nenne, etwas wunderbares vorgekommen. Meine gewohnte Vorbedeutung nämlich war in der vorigen Zeit wohl gar sehr häufig, und oft in großen Kleinigkeiten widerstand sie mir, wenn ich im Begriff war etwas nicht auf die rechte Art zu tun. Jetzt aber ist mir doch, wie ihr ja selbst seht, dieses begegnet, was wohl mancher für das größte Übel halten könnte, und was auch dafür angesehen wird; dennoch aber hat mir weder als ich des Morgens von Hause ging das Zeichen des Gottes widerstanden, noch auch als ich hier die Gerichtsstätte betrat, noch auch irgendwo in der Rede, wenn ich etwas sagen wollte. Wiewohl bei andern Reden es mich oft mitten im Reden aufhielt. Jetzt aber hat es mir nirgends bei dieser Verhandlung, wenn ich etwas tat, oder sprach nicht im mindesten widerstanden. Was für eine Ursach nun soll ich mir hievon denken? Das will ich euch sagen. Es mag wohl was mir begegnet ist etwas gutes sein, und unmöglich können wir recht haben, die wir annehmen der Tod sei ein Übel. Davon ist mir dies ein großer Beweis. Denn unmöglich würde mir das gewohnte Zeichen nicht widerstanden haben, wenn ich nicht begriffen gewesen wäre etwas gutes auszurichten. Laßt uns aber auch so erwägen, wieviel Ursach wir haben zu hoffen, es sei etwas gutes. Denn eins von beiden ist das Totsein, entweder soviel als nichts sein, noch irgend eine Empfindung von irgend etwas haben wenn man tot ist; oder, wie auch gesagt wird, es ist eine Versetzung und Umzug der Seele von hinnen an einen andern Ort. Und ist es nun gar keine Empfindung, sondern wie ein Schlaf, in welchem der Schlafende auch nicht einmal einen Traum hat, so wäre der Tod ein wunderbarer Gewinn. Denn ich glaube, wenn Jemand einer solchen Nacht, in welcher er so fest geschlafen, daß er nicht einmal einen Traum gehabt, alle übrigen Tage und Nächte seines Lebens gegenüberstellen, und nach reiflicher Überlegung sagen sollte, wieviel er wohl angenehmere und bessere Tage und Nächte als jene Nacht in seinem Leben gelebt hat: so glaube ich würde nicht nur ein gewöhnlicher Mensch, sondern der große König selbst finden, daß diese sehr leicht zu zählen sind gegen die übrigen Tage und Nächte. Wenn also der Tod etwas solches ist, so nenne ich ihn einen Gewinn, denn die ganze Zeit scheint ja auch nicht länger auf diese Art als Eine Nacht. Ist aber der Tod wiederum wie eine Auswanderung von hinnen an einen andern Ort, und ist das wahr was gesagt wird, daß dort alle Verstorbene sind, was für ein größeres Gut könnte es wohl geben als dieses, ihr Richter? (41) Denn wenn einer in der Unterwelt angelangt nun dieser sich so nennenden Richter entlediget dort die wahren Richter antrifft, von denen auch gesagt wird, daß sie dort Recht sprechen, den Minos und Rhadamanthys und Aiakos und Triptolemos, und welche Halbgötter sonst gerecht gewesen sind in ihrem Leben, wäre das wohl eine schlechte Umwanderung? Oder auch mit dem Orpheus umzugehn und Musaios und Hesiodos und Homeros, wie teuer möchtet ihr das wohl erkaufen? Ich wenigstens will gern oftmals sterben, wenn dies wahr ist. Ja mir zumal wäre es ein herrliches Leben, wenn ich dort den Palamedes und Aias des Telamon Sohn anträfe, und wer sonst noch unter den Alten eines ungerechten Gerichtes wegen gestorben ist, mit dessen Geschick das meinige zu vergleichen, das müßte glaube ich gar nicht unerfreulich sein. Ja was das größte ist, die dort eben so ausfragend und ausforschend zu leben, wer unter ihnen weise ist, und wer es zwar glaubt es aber nicht ist. Für wieviel, ihr Richter, möchte das einer wohl annehmen, den welcher das große Heer nach Troja führte auszufragen oder den Odysseus oder Sisyphos, und viele andere könnte einer nennen, Männer und Frauen; mit welchen dort zu sprechen und umzugehn und sie auszuforschen auf alle Weise eine unbeschreibliche Glückseligkeit wäre. Gewiß werden sie einen dort um deswillen doch wohl nicht hinrichten. Denn nicht nur sonst ist man dort glückseliger als hier, sondern auch die übrige Zeit unsterblich, wenn das wahr ist, was gesagt wird. Also müßt auch ihr, Richter, gute Hoffnung haben in Absicht des Todes, und dies Eine richtige im Gemüt halten, daß es für den guten Mann kein Übel gibt weder im Leben noch im Tode, noch daß je von den Göttern seine Angelegenheiten vernachlässigt werden. Auch die meinigen haben itzt nicht von ohngefähr diesen Ausgang genommen: sondern mir ist deutlich, daß sterben und aller Mühen entlediget werden schon das beste für mich war. Daher auch hat weder mich irgendwo das Zeichen gewarnt, noch auch bin ich gegen meine Verurteiler und gegen meine Ankläger irgend aufgebracht. Obgleich nicht in dieser Absicht sie mich verurteilt und angeklagt haben, sondern in der Meinung mir übles zuzufügen. Das verdient an ihnen getadelt zu werden. Soviel jedoch bitte ich von ihnen. An meinen Söhnen wenn sie erwachsen sind nehmt eure Rache, ihr Männer, und quält sie eben so wie ich euch gequält habe, wenn euch dünkt daß sie sich um Reichtum oder um sonst irgend etwas eher bemühen als um die Tugend; und wenn sie sich dünken etwas zu sein, sind aber nichts: so verweiset es ihnen wie ich euch, daß sie nicht sorgen wofür sie sollten, und sich einbilden etwas zu sein, da sie doch nichts wert sind. Und wenn ihr das tut, werde ich Billiges von euch erfahren haben, ich selbst und meine Söhne. Jedoch, es ist Zeit daß wir gehn, ich um zu sterben, und ihr um zu leben. Wer aber von uns beiden zu dem besseren Geschäft hingehe, das ist Allen verborgen außer nur Gott.
Kriton
Einleitung
Daß es mit diesem Gespräche dieselbe Bewandtnis zu haben scheine, wie mit der vorstehenden Verteidigungsrede, ist schon in der Einleitung zu dieser angedeutet worden. Nämlich der »Kriton« mag wohl auch nicht ein vom Platon eigentlich gebildetes Werk sein; sondern ein wirklich so vorgefallenes Gespräch, welches Platon von dem Mitunterredner des Sokrates so gut es dieser geben konnte überkommen, und selbst schwerlich mehr hinzugetan hat, als die ihm wohlbekannte Sprachweise des Sokrates verschönernd herzustellen, Anfang und Ende zu verzieren, und vielleicht hie und da etwas notwendiges zu ergänzen. Diese Ansicht beruht ganz auf denselben Gründen, welche bereits bei der »Verteidigung« auseinander gesetzt worden sind. Denn auch hier fehlt es eben so gänzlich an einem philosophischen Zweck, und wiewohl die unmittelbare Veranlassung zu den wichtigsten Untersuchungen einlud über Recht, Gesetz und Vertrag, und die gewiß den Platon zu jeder Zeit beschäftigten: so sind doch hier diese Gegenstände so ganz lediglich in Beziehung auf den vorliegenden Fall abgehandelt, daß man wohl sieht, von diesem sind die Unterredner, wenn das Gespräch wirklich gehalten worden, ausschließlich erfüllt gewesen; und wenn es eine völlig freie Arbeit des Platon sein sollte, daß ihr dann ganz vollkommen der Charakter einer Gelegenheitsschrift zukommen müßte. Auch wird ja ganz ausdrücklich darin vom Philosophieren abstrahiert, indem die eigentlichen Grundsätze ohne alle Erörterung nur hingestellt werden als eingestanden, und zwar in Beziehung auf alte, aber keinesweges solche Gespräche die in andern Schriften des Platon zu suchen wären, welches Verfahren in denen Werken des Platon die eine philosophische Bedeutung haben ganz unerhört ist. Was aber sollte wohl die Veranlassung einer solchen Gelegenheitsschrift, wenn wir als eigene Arbeit des Platon ansehn, gewesen sein? Denn der Gesinnung nach wird hier nichts dargestellt, was nicht schon in der »Verteidigung« enthalten wäre. Will man aber glauben, die Tatsache daß nämlich die Freunde des Sokrates zu seiner Entweichung wollten behülflich sein, er aber sich nicht helfen lassen, diese habe Platon bekannt machen wollen, alles übrige aber außer dieser historischen Grundlage sei seine eigne Erfindung: so möchte hievon bei näherer Betrachtung wohl nur die erste Hälfte bestehen können, die letzte aber nicht. Denn auf der einen Seite ist an dieser Tatsache nichts merkwürdiges, als die Art wie sie sich ereignet; indem man schon aus der »Verteidigung« den Ausgang vorhersehn konnte, und deshalb auch schon durch sie die Freunde des Sokrates vollkommen gerechtfertiget wären, wenn sie auch nichts dergleichen unternommen hätten. Auf der andern Seite aber ist das Gespräch selbst so beschaffen, wie ein wirklich gehaltenes, welches immer gewissermaßen dem Zufall unterworfen ist, gar wohl beschaffen sein darf, ein absichtlich und mit Kunst gedichtetes