PLATON - Gesammelte Werke. Platon
und Erklärung der Wörter, wo doch unter leider so vielen Beispielen kaum eines oder das andere auch nur Duldung, um nichts von Beifall zu sagen, finden kann. Denn wenn man auch entschuldigen will und bedauern, daß der bewunderungswürdige Mann aus Schuld der Zeiten so wenig lehrreiches und tüchtiges über einen so wichtigen Gegenstand zu sagen wußte: so reicht diese Auskunft doch nirgends hin, weil in der Tat die Unwissenheit zu groß ist, und sich auch wider unsern Willen immer etwas verachtendes einmischt in die Verwunderung darüber, daß derjenige, der so sehr darauf gedrungen, man solle wissen, wovon und wie sehr man nichts wisse, sich doch, wo er offenbar nichts wußte, in so leeres und unbedeutendes Spiel eingelassen habe. Dagegen ist nun freilich viel gewonnen durch die Entdeckung neuerer Zeiten, daß dem Platon eben auch dies alles nur Spiel gewesen und Scherz, und daß man wie in mehreren seiner Werke so auch hier nur keine erhabene Weisheit suchen müsse. Nur ist es auch bei dieser Ansicht wiederum schwierig, den tiefsinnigen Mann zu rechtfertigen wegen einer solchen Masse schwerfälligen und leeren Scherzes, und wegen des beispiellosen Verfahrens seine unglückliche Neigung zu Wortspielen auf eine so erstaunenswürdige Weise ausbrechen zu lassen; wie jeder Naturforscher erstaunen würde, von einer seltenen Steinart, die nur hie und da in kleinen Körnchen eingesprengt vorzukommen pflegt, plötzlich ein ganzes ungeheures Lager anzutreffen. Und eine schwere Untersuchung ladet diese Entdeckung auf, nämlich den Ernst von dem Scherz zu scheiden, wenn man den Platon nicht des schlechtesten Scherzes beschuldigen will, nämlich bei ernsthaften Dingen sich ernsthaft zwar zu gebärden, aber doch auch nur zum Scherz. Wer nun diese letztere Ansicht des Ganzen etwa nur auf Geratewohl aufgegriffen hat, und sich nun entweder mit diesem allgemeinen zu begnügen gedenkt, oder auf eben solche Weise auch Kennzeichen aufzufinden zur Beurteilung und Sonderung des Einzelnen, und so mit neuem Gaumen herumzuschmecken unter den alten Früchten und Zubereitungen, dem sei dies gern überlassen; uns aber ist nötig einen andern Weg einzuschlagen, und lieber, als ob noch nichts darüber gesagt wäre, dem Werke selbst nachzugehen, ob es uns nicht verraten will, was es eigentlich bedeute, und was auch jedes Einzelne darin uns wert sein soll.
Damit wir nun das wichtigere ruhiger betrachten können, mag es immer geraten sein erst alles einzeln anzusehen, um aufmerksam darauf zu machen, was ernsthaft gemeintes sei und was Scherz. Zuerst, was Allem zum Grunde zu liegen scheint, daß die Sprache das Kunstwerkzeug des Dialektikers ist, und daß das Benennen der Natur der Dinge gemäß geschehen müsse, dies klingt zwar wunderlich, wenn man es so überhin hört: aber es ist zu ähnlich mit andern Untersuchungen, welche wir schon kennen, und gar zu sehr nach den Grundgesetzen aller Platonischen Spekulation, als daß wir es nicht müßten für Ernst gelten lassen. Die Erläuterung aber, welche darauf folgt, durch mehr oder minder bekannte Eigennamen, welche auf Stand und Eigenschaften der Personen oder auf Begebenheiten in ihrem Leben zurückgeführt werden, diese ist offenbar nicht auf dieselbe Weise Ernst, indem Sokrates sie späterhin selbst vernichtet durch die Bemerkung, die Art, wie einzelne Menschen benannt werden, sei nicht die Art wie den Dingen ihre Benennungen zukamen, sondern man müsse sehen auf die Benennungen der Gattungen, des Allgemeinen und Ewigen. Dies nun ist wiederum offenbar Ernst, indem ja allerdings diese Namen die eine Hälfte des Kerns der Sprache bilden, wie sich dieser auch dem Hellenen gleich spaltete in Nennwörter und Zeitwörter. Wie aber nun das Gespräch dieser Spur weiter nachgeht, und die natürliche Richtigkeit der Nennwörter aufsucht zuerst in den Namen der Götter, welche so behandelt werden, daß man nicht recht sagen kann, sie hätten als Eigennamen mehr in den ersten Abschnitt gehört, dann in denen der Weltkörper und ihrer Verhältnisse, der Elemente, der Tugenden, der mancherlei anderen Erscheinungen des Gemütes und endlich der Angeln alles Denkens und Erkennens selbst, dies alles ist wiederum, wenn wir es so im Ganzen ansehn, offenbar Scherz. Das ergibt sich nicht nur aus der gewaltsamen Art mit den Wörtern umzugehn, aus dem ganz vernachlässigten Unterschied zwischen Stamm- und Beugungssilben und dem Vertauschen und Versetzen von Buchstaben, so daß oft ein kaum ähnlicher Laut herauskommt, so wie aus dem unbegrenzten Anteil, welcher der Verschönerungssucht zugeschrieben wird an der damaligen Gestalt der Wörter so daß nach des Sokrates Geständnis sogar schon von Anfang an etwas mit hineingesetzt worden, um die Bedeutung zu verbergen, also ganz gegen die vorausgesetzte Natur der Sprache: sondern noch weit mehr erkennt man den Scherz an den Äußerungen des Sokrates selbst; wie er spottet über diese Weisheit, als über eine ihm ganz fremde Eingebung, der er heute folgen, morgen aber sich davon reinigen wolle; wie er durch dasselbe Verfahren aus entgegengesetzten Wörtern einen gleichen Sinn herausbringt, und also zeigt, daß es sich selbst aufhebt; wie er sich hier beruft auf barbarischen Ursprung oder zerstörende Wirkungen der Zeit, und späterhin dies selbst für Ausreden eines solchen erklärt, der keine ordentliche Rechenschaft geben wolle. Allein diese scherzhafte Masse führt doch wieder auf etwas ganz ernsthaftes, nämlich auf den Unterschied zwischen Stammwörtern und abgeleiteten, auf die Untersuchung, was doch eigentlich das Objekt der Darstellung sei in der Sprache, zum Unterschied von dem mimischen und musikalischen Gebrauch der Stimme, und wie nun dem gemäß in den Buchstaben die ursprüngliche Bedeutsamkeit müsse gesucht werden. Und ernsthaft ist dieses gewiß, weil Platon den Sokrates eine Theorie dazu entwerfen läßt, welche ganz jenen dialektischen Grundformen entspricht, die er schon im »Phaidros« vorgetragen hat. Wie nun aber dieses beispielsweise an einzelnen Buchstaben erläutert und ihre Bedeutung aufgesucht wird, das kann man wieder kaum für Ernst erkennen, indem die Art, wie Sokrates dabei zu Werke geht, Jedem, der, auch nur oberflächlich, Aufgabe und Auflösung gegeneinander hält, wie unsere Anmerkungen stellenweise tun müssen, sehr leichtfertig vorkommen muß, ja ihm selbst nur ins Blaue hinein und lächerlich erscheint nach seiner Versicherung. Und wer etwa meint, nur deshalb gerate alles so bunt und wunderlich, und werde absichtlich lächerlich gemacht, weil die Herakliteische Lehre als der Sprache zum Grunde liegend mit Gewalt solle erwiesen werden, der verhehle sich doch nicht, daß in den wenigen Beispielen aus welchen eine eleatische Denkungsart erhellen soll, alles abenteuerliche eben so sehr angehäuft ist. Wem aber etwa sonst die angegebenen Gründe des Urteils nicht genügen, der gehe nur, um Ernst und Scherz sicher zu scheiden, ganz einfältig dem »Euthyphron« nach, und halte sich überzeugt, wo dieser mit im Spiele ist, und die Weisheit auf diesen zurückgeführt wird, da befinde er sich gewiß im Gebiete des Scherzes. Auch hieraus wird sich denn nicht minder der Ernst erkennen lassen, von wo er ausgeht und wie weit er sich, unzugänglich jenem lustigen Gespenst, erstreckt. Es wird sich auf alle Weise gewiß dasselbige ergeben, daß Platon sich nur das Besondere jener Sprachbehandlung abgesteckt hat, um wer weiß welche Komödie aufzuführen, alles Allgemeine aber eben so ernsthaft zu nehmen ist wie der Kern eines jeden Platonischen Gespräches. Dies muß den nicht ganz unkundigen Leser des Platon schon geneigt machen, jenes vor der Hand auf sich beruhen zu lassen als eine nur aus dem Ganzen vielleicht verständliche Nebensache, das Verständnis des Ganzen aber, wenn es recht soll gewürdiget werden, bei dem andern Ende anzufangen, und in dem »Kratylos« eine ähnliche Anordnung zu vermuten, wie in dem »Euthydemos«, wo auch eine ironische Masse und eine ernsthafte Untersuchung wunderbar in einander gewebt sind.
Betrachten wir nun abgesondert von jenem den ernsthaften Inhalt des Werkes, so erscheint schon die Untersuchung über die Natur der Sprache nicht mehr als das einzige, wiewohl sie allerdings am meisten und wunderbar genug ins Auge fällt. Denn da sonst die Gegenstände der Platonischen Untersuchung in mehreren Werken wiederkehren, und nachdem sie zuerst behandelt worden, späterhin noch einmal aus einem andern Gesichtspunkt angesehn oder sonst in ein helleres Licht gesetzt werden, bis sie als ganz ins klare gesetzt in das große alles umfassende Werk aufgenommen werden: so haben wir gar keine Spur, daß jemals dieser Faden, von dem man wahrlich nicht sagen kann, daß er hier zu Ende gesponnen worden, wieder sei angeknüpft worden; und hätte das Schicksal uns dieses eine Gespräch mißgönnt, so würde der Gegenstand gänzlich fehlen, und wir würden sagen müssen, Platon habe sich zu der Sprache verhalten als ein ächter Künstler, vortrefflich nämlich verstanden sie zu gebrauchen und auf eine eigentümliche Weise für sich auszubilden, gar nicht aber etwas darüber zu sagen. Was freilich auch jetzt noch, ungeachtet dieser Verlust uns nicht getroffen, Viele meinen, wir aber keinesweges. Denn sehen wir zu, wie er die Meinung des Hermogenes angreift, und statt eines auf Geratewohl zusammengerafften nur durch Verabredung bestätigten die Sprache darstellt als ein nach Anleitung einer inneren Notwendigkeit und als Abbild einer Idee gewordenes, von dem gebrauchenden Künstler zu beurteilendes und zu verbesserndes Kunstwerkzeug, und wie er die Zusammensetzung und Verwandtschaft der Töne vergleicht mit der Verwandtschaft und den zusammengesetzten Verhältnissen der Dinge, und