PLATON - Gesammelte Werke. Platon
und daß nichts fest stehe; von den Neueren demnächst, welche weiser sind und alles ganz offenbar vorzeigen, damit auch die Schuhmacher ihre Weisheit hören und lernen, und aufhören törichter Weise zu glauben, daß einiges beharrlich sei unter dem was ist, und anderes sich bewege, sondern von ihnen lernen und sie dafür ehren mögen, daß alles sich bewegt. Beinahe aber hätte ich vergessen, o Theodoros, daß Andere wiederum das grade Gegenteil von diesem behauptet haben, nämlich das Unbewegliche sei der richtige Name des Ganzen, und was sonst die Melissos und die Parmenides allen diesen zuwider behaupten, daß Alles Eins ist und selbst in sich besteht, indem es keinen Raum hat, worin es sich bewegen könnte. Was nun, Lieber, sollen wir mit allen diesen beginnen? Denn allmählich vorrückend sind wir unvermerkt in die Mitte zwischen Beide geraten, und wenn wir uns nicht auf irgend eine Art zu helfen wissen, daß wir ihnen entfliehen, werden wir Strafe geben müssen, wie die, welche auf dem Übungsplatz (181) nach der Linie spielen, wenn sie nun von beiden ergriffen nach entgegengesetzten Seiten gezogen werden. Ich denke also, wir wollen zuerst jene, auf welche wir anfänglich stießen, in Betrachtung ziehen, die Fließenden, und wenn sich zeigt, daß sie etwas Gegründetes sagen, so wollen wir ihnen selbst helfen uns ziehen, und wollen versuchen den Andern zu entkommen. Wenn aber die, welche das Ganze feststellen, etwas richtigeres zu behaupten scheinen: so wollen wir im Gegenteil zu ihnen fliehen von jenen, die auch das Unbewegliche bewegen. Sollte sich aber zeigen, daß beide nichts tüchtiges vorbringen: so würden wir ja lächerlich sein, wenn wir, die wir ganz gewöhnliche Menschen sind, uns selbst zutrauten, etwas rechtes zu sagen, und darüber jenen uralten und höchst weisen Männern abfällig würden. Sieh also zu, Theodoros, ob es geraten ist, uns in eine so große Gefahr hineinzubegeben.
Theodoros: Auf keine Weise, o Sokrates, wäre es ja jetzt noch zu ertragen, wenn wir nicht herausbringen wollten, in wiefern beide Teile wohl Recht haben.
Sokrates: Wir müssen es also erforschen, da es dir so angelegen ist.
Der Anfang der Untersuchung aber muß, wie mich dünkt, gemacht werden von der Bewegung, was doch eigentlich darunter verstehend jene sagen, daß Alles sich bewegt. Ich will nämlich dieses sagen, ob sie nur Eine Art derselben verstehen, oder, wie mir scheint, Zwei. Nicht mir allein aber soll es so scheinen, sondern nimm du auch mit Teil daran, damit wir hernach auch gemeinschaftlich leiden, was uns etwa begegnen soll. Und sage mir, nennst du das Bewegung, wenn etwas einen Ort mit einem andern vertauscht oder auch in demselben Orte sich herumdreht?
Theodoros: Das nenne ich so.
Sokrates: Das sei also die eine Art. Wenn aber etwas an demselben Orte zwar bleibt, dort aber altert oder schwarz wird da es vorher weiß, hart da es weich war, oder irgend eine andere Veränderung erleidet: verdient dies nicht eine andere Art der Bewegung zu heißen?
Theodoros: So scheint es mir.
Sokrates: Es kann nicht anders sein. Diese zwei Arten der Bewegung meine ich also, die Veränderung und die Ortsverwechselung.
Theodoros: Und ganz Recht tust du daran.
Sokrates: Ist nun diese Einteilung gemacht: so laß uns dann mit denen reden, welche behaupten es bewege sich Alles, und sie fragen, Sagt ihr, alles bewege sich auf beiderlei Art, sowohl durch Ortsvertauschung als durch Veränderung, oder Einiges auf beiderlei, Anderes nur auf einerlei Art?
Theodoros: Beim Zeus, ich weiß es nicht zu sagen; ich glaube aber sie werden behaupten, auf beiderlei Art.
Sokrates: Wenigstens wenn nicht, o Freund, so müßte ihnen ja bewegtes erscheinen und auch feststehendes, und es wäre ja gar nicht richtiger zu sagen, daß Alles sich bewegt, als daß Alles feststeht.
Theodoros: Du sprichst vollkommen wahr.
Sokrates: Da nun Alles sich bewegen und die Unbeweglichkeit in keinem Dinge anzutreffen sein soll, so muß Alles sich immer mit jeder Bewegung bewegen.
Theodoros: Notwendig.
Sokrates: Ziehe nur auch dieses von ihnen in Erwägung. Sagten wir nicht, daß sie die Entstehung der Wärme oder der Röte (182) oder was du sonst willst, ohngefähr auf diese Art erklärten, jedes von diesen bewege sich während der Wahrnehmung zwischen dem wirkenden und dem leidenden, und das Leidende werde alsdann ein Wahrnehmendes, nicht aber eine Wahrnehmung, und das Wirkende ein wie beschaffenes, nicht aber eine Beschaffenheit. Doch Beschaffenheit ist dir vielleicht ein wunderliches Wort, und du verstehst es nicht so ganz im Allgemeinen ausgedrückt. So höre es denn im Einzelnen. Das Wirkende nämlich wird weder Wärme noch Röte, sondern ein warmes, ein rotes und so auch im Übrigen. Denn du erinnerst dich doch aus dem Vorigen, daß wir so sagten, nichts sei an und für sich Ein bestimmtes, also auch nicht das wirkende und leidende, sondern nur durch beider Zusammenkunft die Wahrnehmung und das Wahrnehmbare erzeugend werde das Eine ein wie beschaffenes, das Andere ein Wahrnehmendes.
Theodoros: Ich erinnere mich dessen; wie sollte ich auch nicht?
Sokrates: Das Übrige wollen wir nun bei Seite setzen, ob sie es so oder anders meinen, und nur das Eine, weshalb wir dieses jetzt besprechen, recht festhalten, indem wir sie fragen, Es bewegt sich Alles und fließt, wie Ihr sagt, nicht wahr?
Theodoros: Ja.
Sokrates: Und zwar nach beiden Bewegungen, die wir unterschieden haben, indem es den Ort vertauscht und sich verändert?
Theodoros: Wie sonst? Da es sich ja vollständig bewegen soll.
Sokrates: Wenn es nun nur den Ort wechselte, sich aber nicht veränderte, dann könnten wir doch noch sagen, was denn eigentlich seinen Ort wechselnd fließt. Oder wie sollen wir sagen?
Theodoros: Grade so.
Sokrates: Da aber auch dieses nicht einmal beharrt, daß das Fließende rot fließt, sondern gleichfalls wechselt, so daß es auch von eben diesem der Röte einen Fluß gibt und Übergang zu einer andern Farbe, damit es nicht auf diese Art als ein beharrendes ertappt werde; ist es nun wohl möglich, daß man etwas als eine gewisse Farbe benennt, so daß man es richtig benenne?
Theodoros: Wie sollte man wohl, o Sokrates, und eben so wenig irgend etwas Ähnliches, da ja Alles dem Redenden unter den Händen entschlüpft, als immer fließend.
Sokrates: Und was sollen wir sagen von der Wahrnehmung welcher Art du immer willst, wie vom Sehen oder Hören, daß sie je darin verharre im Sehen oder Hören?
Theodoros: Wir dürfen es nicht, weil ja Alles sich bewegt.
Sokrates: Man darf also nicht mit größerem Rechte etwas ein Sehen nennen als ein Nichtsehen, und eben so mit jeder andern Wahrnehmung, da ja Alles auf alle Weise sich bewegt.
Theodoros: Freilich nicht.
Sokrates: Nun aber ist Wahrnehmung Erkenntnis, wie wir Beide gesagt haben, Theaitetos und ich.
Theodoros: So war es.
Sokrates: Wir haben also, als wir gefragt wurden was Erkenntnis wäre, durch etwas geantwortet, was nicht mehr und eigentlicher Erkenntnis ist als Nicht-Erkenntnis.
Theodoros: So scheint es Euch ergangen zu sein.
Sokrates: Herrlich ist uns also die Befestigung unserer Antwort geraten, da wir zu zeigen suchten, es bewege sich Alles, (183) damit eben hiedurch jene Antwort als die richtige erschiene. Denn nun hat sich, wie es scheint, gezeigt, daß, wenn Alles sich bewegt, jede Antwort, worauf auch Jemand zu antworten habe, man sage nun es verhalte sich so oder so, gleich richtig ist oder vielmehr wird, damit wir nicht doch noch dieses als beharrlich vorstellen in unserer Rede.
Theodoros: Du sagst ganz recht.
Sokrates: Ausgenommen, Theodoros, daß ich So gesagt