Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
5
»Es wird mir zu viel«, sagte Carola seufzend zu Kennicott. »Ich habe daran gedacht, einen alljährlichen ›Gemeinschaftstag‹ einzurichten, an dem die ganze Stadt ihre Fehden vergessen und sich amüsieren, ein großes Picknick veranstalten und tanzen sollte. Aber Bert Tybee (warum habt ihr denn den zum Bürgermeister gewählt?) hat mir meine Idee gestohlen. Er will den Gemeinschaftstag, aber er will, daß ein Politiker ›eine Ansprache hält‹. Gerade so etwas Geschraubtes wollte ich vermeiden. Er hat Vida gefragt, und die hat natürlich zugestimmt.«
Kennicott dachte darüber nach, während er die Uhr aufzog, und während sie hinaufgingen.
»Ja, es muß dich natürlich ärgern, daß Bert dazwischen kommt«, sagte er liebenswürdig. »Wirst du dich viel mit der Gemeinschaftssache aufregen? Kriegst du's nie satt, dich zu ärgern und rumzuexperimentieren?«
»Ich habe noch gar nicht angefangen. Schau her!« Sie führte ihn an die Tür des Kinderzimmers und zeigte auf den braunen Wuschelkopf ihrer Tochter. »Siehst du das dort auf dem Kissen? Weißt du, was es ist? Das ist eine Bombe, die alle Selbstzufriedenheit in die Luft sprengen soll. Wenn ihr Tories klug wäret, würdet ihr nicht die Anarchisten einsperren; ihr würdet alle diese Kinder einsperren, solange sie noch im Gitterbettchen schlafen. Denk doch nur, was dieses Kind sehen und tun wird, bevor es im Jahr zweitausend stirbt! Sie wird vielleicht eine Industrie-Union der ganzen Welt, vielleicht Flugzeuge sehen, die zum Mars fahren.«
»Ja, so 'ne Veränderungen sind ja sicher ganz gut«, gähnte Kennicott.
Sie saß auf der Kante seines Bettes, während er in seiner Kommode nach einem Kragen jagte, der dort sein mußte und durchaus nicht dort sein wollte.
»Mit mir wird es schon weitergehen. Und ich bin glücklich. Aber dieser Gemeinschaftstag zeigt mir, daß ich ganz geschlagen bin.«
»Der verdammte Kragen ist sicher für immer weg«, brummte Kennicott, dann sagte er lauter: »Ja, du wirst wohl – Ich hab' nicht ganz verstanden, was du gesagt hast, Kind.«
Sie klopfte seine Kissen zurecht, deckte das Bett auf und reflektierte dabei laut:
»Aber in einem hab' ich gesiegt: ich habe nie meine Niederlagen zu entschuldigen gesucht, indem ich mich über meine Bestrebungen lustig gemacht oder so getan habe, als ob ich über sie hinausgewachsen wäre. Ich gebe nicht zu, daß die Hauptstraße so schön ist, wie sie sein sollte! Ich gebe nicht zu, daß Gopher Prairie großartiger oder vornehmer ist als Europa! Ich gebe nicht zu, daß Geschirrwaschen für alle Frauen genug ist! Ich habe vielleicht nicht den guten Kampf gekämpft, aber ich bin meinem Glauben treu geblieben.«
»Freilich. Klar, bist du«, sagte Kennicott. »Na, gute Nacht. Ich hab' so 'ne Ahnung, als ob's morgen schneien würde. Muß dran denken, ziemlich bald die Winterfenster einzusetzen. Sag mal, hast du gesehen, ob das Mädel den Schraubenzieher zurückgelegt hat?«
Ende
Elmer Gantry
Erstes Kapitel
1
Elmer Gantry war betrunken. Es war ein Rausch