Das Wesen des Christentums . Feuerbach Ludwig
Wenn mein Herz böse, mein Verstand verdorben ist, wie kann ich was heilig, als heilig, was gut, als gut wahrnehmen und empfinden? Wie kann ich ein schönes Gemälde als schönes wahrnehmen, wenn meine Seele eine ästhetische Schlechtigkeit ist? Wenn ich auch selbst kein Maler bin, nicht die Kraft habe, aus mir selbst Schönes zu produzieren, so habe ich doch ästhetisches Gefühl, ästhetischen Verstand, indem ich Schönes außer mir wahrnehme. Entweder ist das Gute gar nicht für den Menschen, oder ist es für ihn, so offenbaret sich hierin dem Menschen die Heiligkeit und Güte des menschlichen Wesens. Was schlechterdings meiner Natur zuwider ist, womit mich kein Band der Gemeinschaft verknüpft, das ist mir auch nicht denkbar, nicht empfindbar. Das Heilige ist mir nur als Gegensatz gegen meine Persönlichkeit, aber als Einheit mit meinem Wesen Gegenstand. Das Heilige ist der Vorwurf meiner Sündhaftigkeit; ich erkenne mich in ihm als Sünder, aber darin tadle ich mich, erkenne ich, was ich nicht bin, aber sein soll, und eben deswegen an sich, meiner Bestimmung nach, sein kann; denn ein Sollen ohne Können ist eine lächerliche Chimäre, ergreift nicht das Gemüt. Aber eben indem ich das Gute als meine Bestimmung, als mein Gesetz erkenne, erkenne ich, sei es nun bewußt oder unbewußt, dasselbe als mein eignes Wesen. Ein anderes, seiner Natur nach von mir unterschiednes Wesen geht mich nichts an. Die Sünde kann ich als Sünde nur empfinden, wenn ich sie als einen Widerspruch meiner mit mir selbst, d. h. meiner Persönlichkeit mit meiner Wesenheit empfinde. Als Widerspruch mit dem göttlichen, als einem andern Wesen gedacht, ist das Gefühl der Sünde unerklärlich, sinnlos.
Der Unterschied des Augustinianismus vom Pelagianismus besteht nur darin, daß jener in der Weise der Religion ausspricht, was dieser in der Weise des Rationalismus. Beide sagen dasselbe, beide eignen dem Menschen das Gute zu – der Pelagianismus aber direkt, auf rationalistische, moralische Weise, der Augustinianismus indirekt, auf mystische, d. i. religiöse Weise. Denn was dem Gott des Menschen gegeben wird, das wird in Wahrheit dem Menschen selbst gegeben; was der Mensch von Gott aussagt, das sagt er in Wahrheit von sich selbst aus. Der Augustinianismus wäre nur dann eine Wahrheit, und zwar eine dem Pelagianismus entgegengesetzte Wahrheit, wenn der Mensch den Teufel zu seinem Gotte hätte, den Teufel, und zwar mit dem Bewußtsein, daß er der Teufel ist, als sein höchstes Wesen verehrte und feierte. Aber solange der Mensch ein gutes Wesen als Gott verehrt, solange schaut er in Gott sein eignes gutes Wesen an.
Wie mit der Lehre von der Grundverdorbenheit des menschlichen Wesens, ist es mit der damit identischen Lehre, daß der Mensch nichts Gutes, d. h. in Wahrheit nichts aus sich selbst, aus eigner Kraft vermöge. Die Verneinung der menschlichen Kraft und Tätigkeit wäre nur dann eine wahre, wenn der Mensch auch in Gott die moralische Tätigkeit verneinte und sagte, wie der orientalische Nihilist oder Pantheist: das göttliche Wesen ist ein absolut willen- und tatloses, indifferentes, nichts vom Unterschied des Bösen und Guten wissendes Wesen. Aber wer Gott als ein tätiges Wesen bestimmt, und zwar als ein moralisch tätiges, moralisch kritisches Wesen, als ein Wesen, welches das Gute liebt, wirkt, belohnt, das Böse bestraft, verwirft, verdammt, wer Gott so bestimmt, der verneint nur scheinbar die menschliche Tätigkeit, in Wahrheit macht er sie zur höchsten, reellsten Tätigkeit. Wer Gott menschlich handeln läßt, der erklärt die menschliche Tätigkeit für eine göttliche; der sagt: ein Gott, der nicht tätig ist und zwar moralisch oder menschlich tätig, ist kein Gott, und macht daher vom Begriffe der Tätigkeit, respektive der menschlichen – denn eine höhere kennt er nicht – den Begriff der Gottheit abhängig.
Der Mensch – dies ist das Geheimnis der Religion vergegenständlicht , sein Wesen und macht dann wieder sich zum Gegenstand dieses vergegenständlichten, in ein Subjekt, eine Person verwandelten Wesens; er denkt sich, ist sich Gegenstand, aber als Gegenstand eines Gegenstands, eines andern Wesens. So hier. Der Mensch ist ein Gegenstand Gottes. Daß der Mensch gut oder schlecht, das ist Gott nicht gleichgültig; nein! er hat ein lebhaftes, inniges Interesse daran, daß er gut ist; er will, daß er gut, daß er selig sei – denn ohne Güte keine Seligkeit. Die Nichtigkeit der menschlichen Tätigkeit widerruft also der religiöse Mensch wieder dadurch, daß er seine Gesinnungen und Handlungen zu einem Gegenstande Gottes, den Menschen zum Zweck Gottes – denn was Gegenstand im Geiste, ist Zweck im Handeln –, die göttliche Tätigkeit zu einem Mittel des menschlichen Heils macht. Gott ist tätig, damit der Mensch gut und selig werde. So wird der Mensch, indem er scheinbar aufs tiefste erniedrigt wird, in Wahrheit aufs höchste erhoben. So bezweckt der Mensch nur sich selbst in und durch Gott. Allerdings bezweckt der Mensch Gott, aber Gott bezweckt nichts als das moralische und ewige Heil des Menschen, also bezweckt der Mensch nur sich selbst. Die göttliche Tätigkeit unterscheidet sich nicht von der menschlichen. Wie könnte auch die göttliche Tätigkeit auf mich als ihren Gegenstand, ja in mir selber wirken, wenn sie eine andere, eine wesentlich andere wäre, wie einen menschlichen Zweck haben, den Zweck, den Menschen zu bessern, zu beglücken, wenn sie nicht selbst eine menschliche wäre? Bestimmt der Zweck nicht die Handlung? Wenn der Mensch seine moralische Besserung sich zum Zwecke setzt, so hat er göttliche Entschlüsse, göttliche Vorsätze, wenn aber Gott des Menschen Heil bezweckt, so hat er menschliche Zwecke und diesen Zwecken entsprechende menschliche Tätigkeit. So ist dem Menschen in Gott nur seine eigene Tätigkeit Gegenstand. Aber eben weil er die eigne Tätigkeit nur als eine gegenständliche, von sich unterschiedne, das Gute nur als Gegenstand anschaut, so empfängt er notwendig auch den Impuls, den Antrieb nicht von sich selbst, sondern von diesem Gegenstand. Er schaut sein Wesen außer sich und dieses Wesen als das Gute an; es versteht sich also von selbst, es ist nur eine Tautologie, daß ihm der Impuls zum Guten auch nur daher kommt, wohin er das Gute verlegt. Gott ist das ab- und ausgesonderte subjektivste, eigenste Wesen des Menschen, also kann er nicht aus sich handeln, also kommt alles Gute aus Gott. Je subjektiver, je menschlicher Gott ist, desto mehr entäußert der Mensch sich seiner Subjektivität, seiner Menschheit, weil Gott an und für sich sein entäußertes Selbst ist, welches er aber doch zugleich sich wieder aneignet. Wie die arterielle Tätigkeit das Blut bis in die äußersten Extremitäten treibt, die Venentätigkeit es wieder zurückführt, wie das Leben überhaupt in einer fortwährenden Systole und Diastole besteht, so auch die Religion. In der religiösen Systole stößt der Mensch sein eignes Wesen von sich aus, er verstößt, verwirft sich selbst; in der religiösen Diastole nimmt er das verstoßne Wesen wieder in sein Herz auf. Gott nur ist das aus sich handelnde, aus sich tätige Wesen – dies ist der Akt der religiösen Repulsionskraft; Gott ist das in mir, mit mir, durch mich, auf mich, für mich handelnde Wesen, das Prinzip meines Heils, meiner guten Gesinnungen und Handlungen, folglich mein eignes gutes Prinzip und Wesen –, dies ist der Akt der religiösen Attraktionskraft.
Der oben im allgemeinen angegebene Entwicklungsgang der Religion besteht daher näher darin, daß der Mensch immer mehr Gott ab-, immer mehr sich zuspricht. Anfangs setzt der Mensch alles ohne Unterschied außer sich. Dies zeigt sich besonders in dem Offenbarungsglauben. Was einer spätern Zeit oder einem gebildeten Volk die Natur oder Vernunft, das gibt einer frühern Zeit oder einem noch ungebildeten Volke Gott ein. Alle auch noch so natürlichen Triebe des Menschen – sogar den Trieb zur Reinlichkeit stellten die Israeliten als ein positives göttliches Gebot vor. Aus diesem Beispiele sehen wir zugleich wieder, daß Gott gerade um so niedriger, um so gemein menschlicher ist, je mehr sich der Mensch abspricht. Wie kann die Demut, die Selbstverleugnung des Menschen weiter gehen, als wenn er sich sogar die Kraft und Fähigkeit abspricht, von selbst, aus eignem Antriebe die Gebote des gemeinsten Anstandes zu erfüllen! Die christliche Religion dagegen unterschied die Triebe und Affekte des Menschen nach ihrer Beschaffenheit, nach ihrem Inhalte; sie machte nur die guten Affekte, die guten Gesinnungen, die guten Gedanken zu Offenbarungen, zu Wirkungen, d. i. zu Gesinnungen, Affekten, Gedanken Gottes; denn was Gott offenbart, ist eine Bestimmung Gottes selbst; wes das Herz voll ist, des geht der Mund über, wie die Wirkung, so die Ursache, wie die Offenbarung, so das Wesen, das sich offenbart. Ein Gott, der nur in guten Gesinnungen sich offenbart, ist selbst ein Gott, dessen wesentliche Eigenschaft nur die moralische Güte ist. Die christliche Religion schied die innerliche moralische Reinheit von der äußerlichen körperlichen, die israelitische identifizierte beide. Die christliche Religion ist im Gegensatze zur israelitischen die Religion der Kritik und Freiheit. Der Israelit