Kapitalmarkt Compliance. Karl Richter
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Neben den Verwaltungsrechten kann der Rechtsverlust auch die Vermögensrechte des meldepflichtigen Aktionärs und solcher Aktionäre, deren Stimmrechte dem Meldepflichtigen nach 34 WpHG zugerechnet werden, erfassen. Hierunter fallen:
– | der Anspruch auf Beteiligung am Bilanzgewinn (Dividendenrecht) gem. § 58 Abs. 4 AktG,[401] |
– | der Anspruch aus § 271 AktG auf Teilhabe an einem etwaigen Abwicklungsüberschuss (Liquidationserlös),[402] |
– | Ausgleichs-, Umtausch- und Abfindungsansprüche bei Umwandlungen und Konzernierungssachverhalten,[403] |
– | Bezugsrechte auf junge Aktien im Rahmen von Kapitalerhöhungen aus § 186 Abs. 1 AktG,[404] |
– | gesetzliche Bezugsrechte auf von der Gesellschaft ausgegebene Wandel-, Option- und Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte gem. § 221 Abs. 4 AktG.[405] |
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Maßgeblicher Zeitpunkt für den Verlust des Dividendenanspruchs ist der Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses gem. § 174 AktG.[406] Strittig ist, ob der Verlust des Dividendenanspruchs zu Folge hat, dass sich der Anspruch der übrigen Aktionäre auf Dividende entsprechend erhöht[407] oder ob er sich als außerordentlicher Ertrag bei der Gesellschaft darstellt.[408]
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Im Zusammenhang mit Bezugsrechten ist streitig, ob maßgeblicher Zeitpunkt der Beschluss über die Kapitalerhöhung,[409] die Eintragung im Handelsregister nach § 184 AktG, der Ablauf der Bezugsfrist nach § 186 Abs. 1 S. 2 AktG[410] oder die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung ist. Da der Bezugsanspruch im Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses entsteht, ist dieser Zeitpunkt wohl der maßgebliche. Hierfür sprechen auch Gründe der Rechtssicherheit.[411] Strittig ist auch hier, ob sich die Bezugsrechte der übrigen Aktionäre quotal erhöhen[412] oder ob der Bezugsanspruch mit der Folge verfällt, dass die Aktien anderweitig von der Gesellschaft abgegeben werden können.[413]
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Der Rechtsverlust hat grundsätzlich endgültige Wirkung.[414] Eine während der Dauer des Rechtsverlustes dennoch vorgenommene Rechtsausübung des betroffenen Aktionärs ist damit nicht schwebend, sondern dauerhaft unwirksam.[415] Wird das Stimmrecht auf der Hauptversammlung trotz des Rechtsverlustes ausgeübt, ist der betreffende Hauptversammlungsbeschluss zwar nicht nach § 241 Nr. 3 Fall 3 AktG nichtig.[416] Allerdings ist eine Anfechtbarkeit gem. § 243 Abs. 1 AktG gegeben.[417] Die Anfechtung ist allerdings nur dann begründet, wenn die fehlerhafte Berücksichtigung von Stimmen Einfluss auf das Beschlussergebnis hatte.[418]
b) Dauer des Rechtsverlustes
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Der Rechtsverlust besteht zunächst einmal nur für die Zeit, für welche die Mitteilungspflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt werden. Holt der Meldepflichtige die (ordnungsgemäße) Stimmrechtsmitteilung nach, so wird hierdurch der Rechtsverlust ex nunc beseitigt.[419] Nur eingeschränkt hat die Nachholung gem. § 44 Abs. 1 S. 2 WpHG Rückwirkung, indem an den Meldepflichtigen oder an die in § 34 WpHG bezeichneten Dritten während der Dauer des Rechtsverlustes ausbezahlte Dividenden und Liquidationserlöse nur behalten werden können, wenn der Verstoß des Meldepflichtigen gegen die Mitteilungspflicht nicht vorsätzlich erfolgte und – bei Anwendung von § 34 WpHG – der Dritte eine etwaige eigene Mitteilungspflicht ordnungsgemäß erfüllt oder – bei eigener, lediglich fahrlässiger Pflichtverletzung – die von ihm geforderte Stimmrechtsmitteilung ebenfalls nachgeholt hat.[420]
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Da der Rechtsverlust keine akzessorische Belastung der Aktien darstellt, sondern nur eine personenbezogene Einschränkung der Ausübung mitgliedschaftlicher Rechte nach sich zieht, wird er durch die dingliche Übertragung der betroffenen Aktien auf andere Personen grundsätzlich aufgehoben.[421] Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn der Erwerb durch eine Person erfolgt, die mit dem Veräußerer i.S.v. § 34 WpHG verbunden ist[422] oder im Falle eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem Erwerber zu Lasten der Gesellschaft.[423] Nach wohl überwiegender Ansicht besteht der Rechtsverlust außerdem fort, wenn die betroffenen Aktien im Wege der Gesamtrechtsnachfolge übertragen werden.[424]
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Sofern die Höhe des Stimmrechtsanteils betroffen ist, verlängert sich der Rechtsverlust gem. § 44 Abs. 1 S. 3 WpHG bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Mitteilungspflichten um sechs Monate. Eine Verlängerung der Dauer des Rechtsverlustes tritt demnach ein, wenn die Höhe des gehaltenen Stimmrechtsanteils in Bezug auf die Gesamtmenge der Stimmrechte des Emittenten, die Schwelle, die berührt wurde, ob sie überschritten, unterschritten oder erreicht wurde und das Datum der Schwellenberührung nicht oder nicht vollständig oder nicht richtig mitgeteilt wurde.[425] Die Verlängerungsfrist von sechs Monaten beginnt mit dem Zeitpunkt der (Nach-)Erfüllung der Mitteilungspflichten.
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Voraussetzung einer Verlängerung der Dauer des Rechtsverlustes ist, dass der Meldepflichtige seine Mitteilungspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig in Bezug auf die vorgenannten Angaben nicht nachgekommen ist. Einfache Fahrlässigkeit genügt nicht. Vorsatz liegt vor, wenn dem Offenlegungspflichtigen die Tatsachen bekannt sind, die zum objektiven Tatbestand gehören, die die Mitteilungspflicht begründen, und wenn der Meldepflichtige bewusst die Meldepflichten nicht erfüllt oder sich mit der Verletzung abfindet.[426] Der Meldepflichtige handelt grob fahrlässig, wenn er den Sachverhalt kennt und sich damit abfindet, dass er durch die Unterlassung oder die falsche Meldung seine kapitalmarktrechtlichen Pflichten verletzt. Grob fahrlässig handelt der Meldepflichtige etwa dann, wenn er entweder den Sachverhalt kannte oder zumindest kennen konnte und wenn er sich trotzdem der weiteren Aufklärung verschlossen hat.[427] In diesem Zusammenhang hat der Meldepflichtige dafür zu sorgen, dass die zurechnungsrelevanten Sachverhalte im Unternehmen und ggf. auch konzernweit gesammelt und bewertet werden; die Verletzung der Pflicht zur Einrichtung einer kapitalmarktrechtlichen Compliance-Organisation kann ebenfalls als grob fahrlässiger Verstoß gewertet werden.[428]
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Gem. § 44 Abs. 1 S. 4 WpHG gilt die Verlängerung des Rechtsverlustes nach S. 3 nicht, wenn die Abweichung bei der Höhe der in der vorangegangenen unrichtigen Mitteilung angegebenen Stimmrechte weniger als 10 % des tatsächlichen Stimmrechtsanteils beträgt und keine Mitteilung über das Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten einer der in § 33 WpHG genannten Schwellen unterlassen wird. Wenn aber der Meldepflichtige beispielsweise 7 % der Stimmrechte hält und vorsätzlich nur 3 % meldet, verlängert sich die Frist für den Rechtsverlust, da die Abweichung zwar weniger als 10 % der Stimmrechte beträgt, durch die Verletzung