Der Change-Code. Dieter Lederer
dass statistisch gesehen nur ein knappes Viertel aller Change-Programme so gelingt wie gewünscht. Warum wurde das Ruder noch nicht herumgerissen? Warum schlagen sich Unternehmer und Manager selbst 50 Jahre nach dem Aufkommen von ersten Ansätzen des Change-Managements, ergo eines bewussten Umgangs mit Veränderungen, immer noch mit mehrheitlich eher schlecht als recht laufendem Unternehmenswandel herum und riskieren damit Wettbewerbsnachteile? Liegt es am Wissen oder am Können?
Ich beschloss, tiefer zu graben, und besorgte mir neben dem ersten Meter an Change-Publikationen, der schon in meinem Bücherregal stand, auch noch den zweiten. Von der Beschreibung klassischen Change-Managements bis hin zum modernen Neuro-Change ist alles dabei, Standardwerke genauso wie Exotisches. Die Erkenntnis daraus: viel Methodik und empirische Modelle, wenig Mensch. Das ist ein klarer Hinweis darauf, wo es klemmt, nämlich bereits beim Wissen und in der Folge beim Können. Methoden und Modelle springen zu kurz, wenn sie außen vor lassen, was Menschen antreibt. »Fakten bringen zum Denken, Gefühle bringen zum Handeln«, lautet die prägnante Erkenntnis, vielfach bestätigt in der Psychologie und Neurobiologie. Genau hier liegt der Hund begraben. Veränderungen gelingen, wenn sie so daherkommen, dass Menschen sich emotional darauf einlassen wollen. Dann wird Energie freigesetzt, dann entsteht ein Bewegungsmoment, dann geht es voran. »Ich fühle, also bin ich«, fasst der Neurowissenschaftler Antonio Damasio seine Erkenntnisse aus jahrzehntelanger Bewusstseinsforschung zusammen. Das heißt: weg von reiner Sachlogik und weit verbreiteter, dysfunktionaler Rationalitäts-Doktrin, hin zu menschenorientiertem Change.
Der Change-Code
Wie das funktioniert, beschreibt der Change-Code. Der Clou dabei: Im Kern geht es um lediglich drei Facetten, die es jedoch in sich haben. Mit dem Fokus auf die Veränderungsstrategie, das Führungsverhalten und den Umgang mit Gefühlen drehen Sie Ihre Change-Programme einmal auf links und stellen Sie konsequent in den Mittelpunkt, worauf es bei Transformationsprozessen ankommt: Menschen und ihre Bedürfnisse. Der Vorteil liegt auf der Hand: Veränderungen, die Menschen emotional erreichen, motivieren und lösen Vertrauen, Freude oder gar Begeisterung aus. Veränderungen, die folglich ohne Umwege den erwarteten unternehmerischen Nutzen bringen, machen Unternehmen stark. Zu dieser Wirkung mit dem Change-Code beizutragen, ist mir ein inneres Anliegen und lässt mir das Herz aufgehen. Damit gibt es jetzt ein Buch auf dem Markt, das die genannten zwei Meter an Change-Literatur trefflich ergänzt und eine seit Langem bestehende Lücke mit neuem Wissen schließt, ohne dass gelingende Veränderungen entweder Utopie oder Zufall bleiben.
Praktisches
Sie können dieses Buch so lesen, wie es Ihnen beliebt. Ob von vorne nach hinten, direkt in einzelne Kapitel oder Unterkapitel springend, die Sie am meisten ansprechen, oder anhand der Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels in 15 Minuten einmal quer – es ist bewusst so geschrieben, dass Sie sich nach Ihrem eigenen Geschmack daran bedienen können. Zu den Begrifflichkeiten ist zu sagen, dass von Change genauso die Rede ist wie von Veränderung, Transformation, Wandel, Erneuerung. Diese Begriffe werden synonym zueinander verwendet unter Verzicht auf die bisweilen vorgenommene, jedoch nicht allgemeingültige Unterscheidung zwischen »Change« als kurzfristig orientierter, überschaubarer Veränderung und »Transformation« als grundlegender Umgestaltung. Ebenfalls synonym werden die Zusätze Programm, Projekt, Initiative, Vorhaben, Offensive verwendet.
Ich wünsche Ihnen viel Freude sowie gutes Gelingen beim Erschließen und Anwenden des Change-Codes. Zudem lade ich Sie herzlich dazu ein, mit mir ins Gespräch zu kommen. Alle Angaben, die Sie dafür brauchen, finden Sie auf meiner Homepage: www.dieterlederer.com
Ihr Dieter LedererLudwigsburg, im Herbst 2021
Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wurde auf eine geschlechtsneutrale Formulierung verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten grundsätzlich für alle Geschlechter.
Teil I DIE HERAUSFORDERUNG: DER CHANGE-BURNOUT
Wie war doch das Leben schön in der guten alten Zeit. Innovationen kamen gemächlich daher, von Globalisierung war keine Rede, Kunden änderten ihre Meinung bestenfalls sporadisch und Neumodisches wie Digitalisierung, Konnektivität oder New Work stand noch in den Sternen. Was gestern galt, traf auch heute noch zu und bis auf wenige Ausnahmen morgen ebenfalls. Verlässlichkeit und Kontinuität bestimmten das Dasein, persönlich wie unternehmerisch. Ja, zwei Ölkrisen waren schon wegzustecken, Katastrophen wie Tschernobyl und Terroranschläge auch, doch insgesamt ging es betulich voran. So hätte es bleiben können, oder?
Mangelnde Dynamik?
Was wäre uns erspart geblieben an unzähligen Bemühungen um Wandel, Transformation, Veränderungen, die meisten davon ohnehin wenig erfolgreich. Was wäre uns erspart geblieben an Hoffnungen, Ängsten, Versprechungen, emotionalen Verwicklungen, ausbleibenden Erfolgen, kaugummiartigem Sich-Hinziehen, Verwässern und Versanden. Die Wirtschaftsgeschichte ist voll mit solchen Storys. Beispiele? Zuhauf. Zum Einstieg googeln Sie einfach mal nach »verschwundenen Marken«. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Unternehmen kommen und gehen wie Menschen, nur werden sie im Durchschnitt weit weniger alt. Laut einer Studie der Universität Rostock vergehen für deutsche Unternehmen bis zur Insolvenz im Durchschnitt nur acht bis zehn Jahre1. Die lapidare Begründung: Märkte sind dynamisch, Unternehmen sind es nicht2. Zwar ist diese Aussage stark zugespitzt, doch es steckt ein sehr wahrer Kern darin. Von außen und in erster Näherung betrachtet, entwickeln sich die Märkte für alle Wettbewerber gleich. Wenn der eine überlebt, der andere jedoch nicht, kann es nicht am Markt als solchem liegen, sondern an der Aufstellung des einzelnen Unternehmens und dem Bedienen seiner Zielgruppe.
Unternehmen brauchen fokussierten Wandel.
Das ist der springende Punkt. Die einen passen sich besser der Dynamik von Trends und Innovationen an, während die anderen das Nachsehen haben. Dabei würde für den Erfolg eine höhere Entwicklungs- und Veränderungsgeschwindigkeit relativ zum Wettbewerb schon genügen. Oder anders gesagt: Würde sich die Energie, die in Transformation und Wandel fließt, weitaus stärker auszahlen, statt größtenteils nutzlos zu verpuffen, dann würden erheblich mehr Unternehmen länger überleben. Studien zeigen, dass nur ein gutes Fünftel aller Change-Programme erfolgreich ist und dass diese Rate überdies seit Jahren stagniert3. Hingegen nimmt die Anzahl der Unternehmensmutationen so rasant zu, dass auf dem Wunschzettel der überlasteten Führungskräfte und Mitarbeiter eine tiefe Sehnsucht an erster Stelle steht: »Verändert die Veränderung!« Wir brauchen weniger Wandel, diesen aber viel fokussierter. Doch leider rennen Unternehmer und Vorstände zu häufig dem Heilsversprechen von Management-Moden hinterher, weil es alle anderen auch tun, ohne Klarheit darüber, welchen Nutzen sie sich davon erhoffen. So jagt ein Transformationsprogramm das nächste, wird die berühmte Sau wieder und wieder durchs Dorf getrieben. Die Hypes um Lean Management, Agilität und New Work seien als Beispiele genannt. Wenn Menschen wegen des Zuviels an Change nicht mehr mitkommen oder mitwollen, passiert etwas zutiefst Verständliches: Sie verweigern sich. So einfach ist das. Ob sie sich aktiv oder passiv dagegen wehren, ob sie nur so tun, als wären sie dabei, ob sie andere mit- oder sich zurückziehen: Die Verhaltensweisen sind vielfältig und verheißen durch die Bank nichts Gutes für das unternehmerische Vorankommen.
Rigoros streichen
Ein Schluss läge also unmittelbar nahe und wäre auch noch kinderleicht umzusetzen: Alle Veränderungsinitiativen streichen, die nicht vorankommen, weil keiner mitmacht. Alle anderen gleich dazu, deren unternehmerischer Wert unklar ist. Rigoros, sofort, ohne Umschweife und weitere Diskussion. Damit wäre das Problem nur noch halb so groß. Doch leider fehlt denjenigen, die am entsprechenden Hebel sitzen, meist der Mut oder der Überblick dazu. Sie folgen stoisch einem genauso alten wie untauglichen Muster: Viel hilft viel, und was