Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Alexandra Lavinia Zepter
zu den verlässlichen kognitiven Leistungen der frühen Kindheit. Sind es zwei Sprachen, mit denen ein Kind von Geburt an aufwächst, spricht man von bilingualemErstsprachenerwerbbilingualer oder simultanem ErstsprachenerwerbErstsprachenerwerbsimultaner, andernfalls von monolingualem ErstsprachenerwerbErstsprachenerwerbmonolingualer. Kommt zur Erstsprache (L1)Erstsprache (L1) zeitversetzt eine weitere Sprache hinzu, wird diese als Zweitsprache (L2)Zweitsprache (L2) erworben. In Bezug auf den Weg in die Mehrsprachigkeit steht damit dem simultanen Erwerb zweier Sprachen (2 L1) der sukzessive Erwerb einer bzw. mehrerer Sprachen (L1 > L2 > L3 > …) gegenüber. Beim sukzessiven Erwerb unterscheidet man zwischen frühem kindlichen, (spätem) kindlichen (ab ca. 6–7 Jahren) Zweitsprachenerwerb und Zweitsprachenerwerb von Jugendlichen und Erwachsenen (siehe u.a. Schulz & Grimm 2019; Rösch 2011; Rothweiler 2007). Der sukzessive Erwerb kann natürlich/ungesteuertErwerbungesteuert im Zuge alltäglicher Kommunikation oder aber gesteuertErwerbgesteuert (durch Unterricht oder andere Formen der Förderung) erfolgen, wobei die beiden Szenarien häufig auch in Kombination auftreten (z. B. additive Sprachförderungadditive Sprachförderung in der Kita oder in der Schule).
Der Begriff Zweitsprach(en)erwerbZweitsprach(en)erwerb fungiert einerseits als Oberbegriff für Zweitsprachenerwerbskontexte (in Abgrenzung zum Erstsprach(en)erwerb), andererseits als Kontrastpartner zu Fremdsprach(en)erwerbFremdsprach(en)erwerb. Wird die Zielsprache in einem Land bzw. in einer Sprachgemeinschaft, wo sie nicht als Mittel zur alltäglichen Kommunikation dient, gesteuert erworben, spricht man von Fremdsprachenerwerb. Man denke an den klassischen Fremdsprachenunterricht (z. B. Englisch und Französisch) an deutschen Schulen oder an Deutsch als Fremdsprache (DaF),Deutsch als Fremdsprache (DaF) unterrichtet an Goethe-Instituten überall in der Welt.
Lebt man hingegen inmitten (und nicht isoliert von) der zielsprachlichen Kultur, ist die Sprachaneignung (im Kontrast zum gesteuerten Fremdsprachenerwerb) natürlichen Erwerbsprozessen unterworfen. In diesem Fall spricht man von Zweitsprachenerwerb.
Mit dem Erwerb von Deutsch als Zweitsprache ist die Aneignung des Deutschen in einem Land gemeint, in dem Deutsch die Amtssprache und Sprache der Mehrheit ist, während zugleich andere Erstsprachen verwendet werden (Hoffmann et al. 2017: 5).
Verläuft der Zweitsprachenerwerb ohne jegliche steuernde Einflussnahme, dann ist die/der Lernende auf sich allein gestellt und erschließt sich eigenständig auf der Basis des Inputs die Regelhaftigkeiten des Sprachsystems. Die Situation ähnelt der des erstspracherwerbenden Kindes. Dieses erhält jedoch bei transparentem Situationsbezug einen sich dem kognitiven und sprachlichen Entwicklungsstand anpassenden Input (Ritterfeld 2000).
Der Input für das spracherwerbende Kind muss einerseits an die kognitive und sprachliche Entwicklung angepasste Daten zur Verfügung stellen, andererseits kommt ihm auch eine aktivierende, zur eigenen Sprachproduktion anregende Funktion zu. Er verändert sich kontinuierlich hinsichtlich der Kommunikationsinhalte, der linguistischen Strukturen und der vom Kind erwarteten Versprachlichungen. Diese Adaptationen lassen sich in drei, chronologisch aufeinander folgende Stufen unterteilen: die Ammensprache, die stützende Sprache und die lehrende Sprache:
Mit der im ersten Lebensjahr verwendeten AmmenspracheAmmensprache, die sich durch eine „überzogene Intonationsstruktur“ (hohe Stimmlage, überdeutliche Betonung, Vokaldehnung und Rhythmisierung), durch häufige Wiederholungen einfacher (und vereinfachter) Wörter und Phrasen sowie ein hohes Maß an Emotionalität auszeichnet, wird die Aufmerksamkeit des Kindes auf Sprache, auf Kommunikation gelenkt.
Die primäre Funktion der im zweiten Lebensjahr dominierenden stützenden Sprachestützende Sprache ist der Wortschatzaufbau. Ritualisierte Sprachspiele (vgl. (1)), die der Benennung von Objekten dienen, werden in Regelmäßigkeit praktiziert. Typischerweise wird dabei zunächst mit einem Ausruf und einer Frage auf ein Objekt aufmerksam gemacht ((a) und (b)), dann folgt die Benennung (c) und mit nochmaliger Wiederholung des Wortes eine Bestätigung (d).
(1) | a. | Oh, schau, was das ist! |
b. | Was ist das nur? | |
c. | Das ist ein Hühnchen. | |
d. | Ja, das stimmt, das ist ein Hühnchen. |
Ritualisierte Handlungen des Zeigens und Benennens nutzen dann auch die Kinder, um durch deiktische Gesten die ‚Namen‘ von Objekten zu erfahren, die in konkreten Situationen spontan ihr Interesse wecken (siehe Flugzeugbeispiel Abb. 2.5 in Kap. 2.2).
Während im zweiten Lebensjahr der Fokus auf dem lexikalischen Aufbau liegt, rückt ab dem dritten Lebensjahr die grammatikalische Entwicklung in den Fokus. Mit der lehrenden Sprachelehrende Sprache erhalten die Kinder (als Reaktion auf ihre Äußerungen) zielsprachliche Muster, die zum einen wohlgeformt sind und zum anderen strukturelle und/oder semantische Erweiterungen darstellen (vgl. (2)). Verschiedene Sprachlehrstrategien kommen zur Anwendung: u.a. Korrektur (E1), grammatikalische Vervollständigung (E2), Hinzufügung semantischer Detailinformationen (E3):
(2) | K: | Der hat da rein getut. |
E1: | Rein getan. | |
E2: | Der hat etwas da rein getan. | |
E3: | Der Junge hat die Äpfel in den Korb getan. |
Um Kinder zur eigenen Sprachproduktion zu motivieren, nutzen die erwachsenen Bezugspersonen unterschiedliche Fragetypen, wobei mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortende Entscheidungsfragen ein nur geringes Anregungspotenzial besitzen – im Kontrast zu Fragen, die eine mehr Informationen enthaltende Antwort verlangen. Als besonders animierend gilt auch die Strategie der Widerspruchsprovokation. Hierbei benennt die/der Erwachsene einen Gegenstand falsch oder beschreibt einen Sachverhalt inkorrekt, um das Kind aus der Reserve zu locken. Anregend und förderlich für den Ausbau des sprachlichen Repertoires erweist sich zudem eine Gesprächsführung, bei der man gemeinsam möglichst lange an einem Thema bleibt (= vertikale Dialogstruktur) und das Kind somit einen inhaltlich wie auch strukturell differenzierten Input erhält.
(nach Ritterfeld 2000: 408–420)
Der an Zweitsprachenerwerbende gerichtete Input ist für gewöhnlich weniger angepasst. Wenn der Input in Qualität und Quantität nicht ausreichend ist, um Interimshypothesen über die Zielsprache oder Behelfslösungen über Bord zu werfen und es keine korrigierende Instanz gibt, besteht im ungesteuerten Zweitsprachenerwerb die Gefahr, dass sich nicht-zielsprachliche Konstruktionen verfestigen. Auch kann es sein, dass komplexe Strukturen nicht in Angriff genommen werden, weil sie nicht ausreichend im Input enthalten sind und/oder nicht eingefordert werden.
Auf dem Weg in die Zielsprache konstruiert die/der Lernende auf der Basis bisheriger L2-Erfahrungen (und anderer Faktoren wie z. B. Einflüsse der L1) ein individuelles Sprachsystem, das sich zunehmend der Zielsprache annähert. Man spricht auch von InterlanguageInterlanguage (Selinker 1972) oder Interimsgrammatik.