Der Reichtagbrandprozess. Walter Brendel
den so genannten Reichstagsbrand-Gegenprozess - jene öffentlichen Untersuchungen in Paris und London, die die Aufmerksamkeit des Auslands auf die Vorgänge im Dritten Reich lenkten.
Das "Weltkomitee für die Opfer "des Hitler-Faschismus" gebar einen "Untersu-chungsausschuss zur Aufklärung des Reichstagsbrandes". In der Praxis ging das so vor sich, dass Münzenberg sich von Vertrauensleuten eine Anzahl international renommierter Anwälte liberaler Prägung nennen ließ, die dann ein sehr sachliches Schreiben mit der schmeichelhaften Aufforderung erhielten, sich für die Verteidigung der unschuldigen Opfer der Hitler-Barbarei und für die Aufrechterhaltung des Rechts zur Verfügung zu stellen.
Aus der großen Zahl der ausländischen Anwälte, an die das Pariser Sekretariat des "Weltkomitees" herangetreten war, kristallisierte sich schließlich folgende "Internationale Juristenkommission" heraus: Frau Dr. Betsy Bakker-Nort (Holland); Gaston Bergery (Frankreich); Georg Branting (Schweden); Arthur Garfield Hays (USA); Vald Huidt (Dänemark); Vincent de Moro-Giafferi (Frankreich); Denis Nowell Pritt (England); Pierre Vermeylen (Belgien).
Keines der Mitglieder gehörte offiziell einer kommunistischen Partei an. Alle waren höchst respektable Angehörige des Bürgertums, die ihren guten Namen, ihre Hilfsbereitschaft und ihr Geltungsbedürfnis von Münzenberg für die Zwecke der Kommunisten einspannen ließen. Zum Vorsitzenden der Juristen-Kommission wurde der damals 45jährige Königliche Rat Denis Nowell Pritt aus London gewählt. Noch im Jahre 1957 erhielt Pritt von den dankbaren Kommunisten die Ehrenbürgerschaft der Stadt Leipzig. Und vor einigen Wochen wurde seine Schrift "Der Reichstagsbrand" vom Ostberliner Kongress-Verlag neu herausgebracht.
Die Kommission hatte sofort große Resonanz in aller Welt. Fast täglich erschienen Berichte über gefundene Dokumente, über sensationelle Zeugenaussagen, über "unwiderlegbare Beweise" für die Schuld der Nazis. Um im Interesse seines Mandanten unter keinen Umständen etwas Wichtiges zu versäumen, flog Dr. Sack, Torglers Verteidiger, am 8. September 1933 nach Paris.
Dr. Alfons Sack, einer der prominentesten Anwälte Berlins, hatte die Verteidigung Torglers übernommen, nachdem der einstige KPD-Fraktionschef den vom Reichsgericht beigeordneten Offizial-Verteidiger Dr. Huber abgelehnt hatte. Sack war Mitglied der NSDAP, hat sich aber dennoch bemüht, die Wahrheit zu finden. Vor Gericht verteidigte er zwar nicht die Kommunistische Partei, wohl aber den "Menschen Torgler". Er widerlegte zahlreiche von den Nazis oder auch von den Sachverständigen vorgebrachte Beweise" für die Schuld der KPD und machte sich dadurch bei den NS-Führern unbeliebt. Auch darf sein Buch über den Reichstagsbrand als die bisher detaillierteste Darstellung zu diesem Thema gelten.
An der fünfstündigen Besprechung mit Dr. Sack im Hotel "Bourgogne et Montana" nahmen neben dem schwedischen Mitglied der "Internationalen Juristenkommission", Advokat Branting, der amerikanische Anwalt Leo Gallagher und "ein angeblicher österreichischer Journalist" teil, der sich Breda nannte. In Wirklichkeit verbarg sich dahinter Otto Katz, Münzenbergs bester Mann.
Als Dr. Sack das Entlastungsmaterial für Torgler zu sehen begehrte, bekam er zur Antwort: "Man sei nicht berechtigt, die Adressen der Notare zu nennen, bei denen das Material hinterlegt sei."
Es war verständlich, dass man dem "Nazi -Gericht" die Original-Dokumente nicht zur Verfügung stellen wollte; aber welchen Sinn sollte es haben, sie auch dem Verteidiger Torglers vorzuenthalten? Noch überraschter war Sack, als er bemerkte, dass die angeblich so dokumententrächtige Kommission sich nicht scheute, ihn ungeniert auszufragen. Er gelangte daher sehr bald zu der Einsicht, dass man auch hier nur bluffte: Es gab keine Beweisdokumente für die Schuld der Nationalsozialisten.
Mit leeren Händen flog er am 9. September 1933 wieder nach Berlin zurück, immerhin stark beeindruckt von der Münzenbergschen Propaganda-Kampagne. Plakate forderten zu Massenkundgebungen auf; und am 11. September 1933 kam es sogar zu einer vom "Büro M" (= Münzenberg) organisierten Riesendemonstration mit 10 000 Teilnehmern in der Pariser "Salle Wagram".
Der französische Advokat und frühere Deputierte Vincent de Moro-Giafferi, der auch heute noch in Publikationen als "Doyen der französischen Strafverteidiger" bezeichnet wird, hielt das angekündigte "Plädoyer über den deutschen Reichstagsbrand". Er berief sich auf sein "eingehendes Studium der Akten" und riss die Massen durch theatralische Ausrufe wie diese hin: "Bei meiner Seele und meinem Gewissen erkläre ich: Göring hat es getan. Der Mörder, der Brandstifter, der Urheber des Verbrechens der Reichstagsbrandstiftung, das bist du, Göring!"
Maitre Moro-Giafferi hatte zwar die Akten des Kriminalfalls Reichstagsbrand bestimmt nicht gelesen; trotzdem hielt er es für richtig, "bei seiner Seele" ein Urteil zu fällen, so wie es andererseits Hermann Göring nicht genierte, unter Vorwegnahme dies Urteils am 4. November 1933 ebenfalls bei seinem Gewissen zu erklären: "Ich weiß geradezu hellseherisch, dass die Kommunisten den Brand entzündet haben."
Am 14. September 1933 fand im Saal der renommierten englischen "Juristen-Gesellschaft" (Law Society) in der Londoner Carey Street die erste öffentliche Sitzung der Kommission statt. Sir Stafford Cripps, später Botschafter in Moskau und Minister im Kabinett Attlee, hielt die Eröffnungsansprache. Unter den Zuhörern sah man viele prominente Männer, darunter den Schriftsteller H.G. Wells. Auch Bernard Shaw war eingeladen worden, hatte eine Teilnahme jedoch abgelehnt und die ganze Aktion mit der Begründung abgetan, ihm sei kein Fall bekannt, in dem eine Einmischung des Auslands in politische Prozesse den Angeklagten zum Vorteil gereicht hätte. Shaw: "Wenn ein Gefangener als Knüppel benutzt werden soll, um eine Regierung damit zu schlagen, so besiegelt man damit sein Schicksal."
Die Sitzung der Kommission fand im Stil einer Gerichtsverhandlung statt. Auf der Schmalseite des Raumes saß das "Gericht", die internationale Juristen-Kommission.
Als Dr. Sack, der am Nachmittag des 14. September 1933 nach Schluss der ersten Sitzung in London eintraf, am folgenden Tage die Szene beobachtete, sah er zu seiner Überraschung den Maitre Moro-Giafferi unter den Richtern. Schreibt Sack: "Vier Tage vorher hatte dieser französische Anwalt des Rechts in Paris erklärt, dass für ihn Ministerpräsident Göring als der Schuldige am Reichstagsbrand erwiesen sei. Jetzt saß er, den jedes Gericht der Welt als befangen abgelehnt hätte, als 'Richter' am Tisch."
Das amerikanische Kommissions-Mitglied Hays berichtet über Moro-Giafferi die folgende Episode: "Am dritten Tage der Vernehmungen beobachtete ich meinen Kollegen Moro-Giafferi, der augenscheinlich in tiefes Nachdenken versunken war. Er kritzelte eine Notiz und schob sie Bergery zu, der zu meiner Rechten saß. Ich fragte mich, was mir entgangen, diesem hervorragenden Advokaten aber aufgefallen sein mochte. Ich warf daher einen Blick auf den Zettel und las: 'Es ist nicht ein einziges passables Frauenzimmer im Saal!'"
Nicht nur die passablen Frauenzimmer blieben weg; auch das Interesse der Journalisten ließ schnell nach. Denn die Zeugen, die das Sekretariat bestellt hatte, wussten über die Angaben im Braunbuch hinaus natürlich nichts Neues zu berichten.
Theodor Plieviers ehemaliger Sekretär Harry Schulze-Wilde berichtete nach 1945, dass der KPD-Funktionär Albert Norden - später "Professor für neueste Geschichte" in der DDR - als "aus Deutschland stammender SA-Führer" mit verhülltem Kopf zur Zeugenaussage gekommen sei. Das geschah angeblich, weil ihm sonst Gefahr für Leib und Leben gedroht hätte, sobald er nach Deutschland zurückginge. Er sei jedoch weniger wegen seiner angeblichen SA-Zugehörigkeit maskiert gewesen, sondern wegen seines "prononciert nichtarischen Aussehens", denn sonst wäre der Schwindel sogleich erkannt worden.
Es wurden auch Zeugen geheim vernommen, weil sie auf "Todeslisten Londoner Naziklubs" standen. Die angebliche Liquidierungsliste eines solchen "Londoner Naziklubs" wurde vorgezeigt; sie war mit dem Schlusswort versehen: "Wenn Du einen von ihnen triffst, dann bringe ihn um; und wenn es ein Jude ist, dann brich ihm jeden Knochen im Leibe!" Der sonst recht findigen Londoner Polizei gelang es freilich nicht, auch nur einen der gefährlichen Naziklubs ausfindig zu machen.
Ein Zeuge besonderer Art war der Holländer "W.S.". Er bekundete, dass ihm ein Zutreiber des SA-Stabschefs Röhm namens Bell Anfang 1932 eine Liste von 30 Männern, bekannten Homosexuellen, gezeigt habe, die er, wie er sagte, Röhm "zugeführt" habe. "Auf dieser Liste stand auch der Name Marinus van der Subbe oder Marinus van der Lubbe und darunter die Bemerkung 'Holland'", so bekundete der Zeuge.
Andere Zeugen