Resilienz. Maike Rönnau-Böse
in den USA, Europa, Australien und Neuseeland durchgeführt (Werner 2006). Die bekanntesten Studien der Resilienzforschung sind:
▪Kauai-Studie (Werner / Smith 1982, 2001)
▪Isle-of-Wight-Studie (Rutter 1987)
In Deutschland:
▪Die Mannheimer Risikokinderstudie (Laucht et al. 2000)
▪Die Bielefelder → Invulnerabilitätsstudie (Lösel / Bender 2008)
Nachfolgend wird näher auf die Kauai-Studie eingegangen, da sie als die „Pionierstudie“ der Resilienzforschung gilt. Außerdem sollen die beiden deutschen Studien näher betrachtet werden, die für die Resilienzforschung in Deutschland eine wichtige Rolle gespielt haben.
Die Kauai-Studie: Als Pionierin der Resilienzforschung wird die Amerikanerin Emmy Werner gesehen, die mit der Forschergruppe um Ruth S. Smith den gesamten Geburtsjahrgang 1955 der hawaiianischen Insel Kauai über mehrere Jahrzehnte hinweg begleitete. Die Kauai-Längsschnittstudie von Werner und Smith ist die bekannteste und auch älteste Studie zur Untersuchung der Resilienz. Über 40 Jahre hinweg wurden 698 Menschen beobachtet, interviewt und Daten über ihre Lebens- und Gesundheitssituation erhoben. Ein Drittel dieser Stichprobe lebte mit einer hohen Risikobelastung, wie z. B. chronischer Armut, psychischen Erkrankungen der Eltern oder familiärer Disharmonie. Bei wiederum einem Drittel dieser Risikogruppe stellten Werner und Smith fest, dass diese sich trotzdem gut entwickelten und nicht – wie zwei Drittel der anderen Kinder dieser Gruppe – Verhaltensauffälligkeiten zeigten (Werner 2000). Die Probanden, die sich also als resilient erwiesen, konnten z. B. Beziehungen eingehen, waren optimistisch, fanden eine Arbeit, die sie erfüllte usw. Verglichen mit den anderen Probanden, die unter denselben schwierigen Bedingungen aufwuchsen, konnten bei ihnen im Alter von 40 Jahren eine geringere Todesrate, weniger chronische Gesundheitsprobleme und weniger Scheidungen festgestellt werden (Wustmann 2016). Im Gegenteil zeigten sie auf den verschiedensten Ebenen protektive Faktoren, wie z. B. eine emotionale Bezugsperson, einen stabilen Familienzusammenhalt, hohe Sozialkompetenzen und positive Selbstwirksamkeitserwartungen. Mit protektiv oder schützend sind in diesem Zusammenhang Prozesse und Faktoren gemeint, die den Kindern und später den Erwachsenen helfen, sich trotz der schwierigen Bedingungen positiv zu entwickeln (siehe Kapitel 2). Diese „Kette schützender Faktoren“ wie sie Werner nannte, interagieren miteinander und verstärken sich gegenseitig (Bengel et al. 2009).
Ähnliche Studien wurden dann auch in Deutschland durchgeführt. Zu den bekanntesten gehören die Mannheimer-Risikokinderstudie von Laucht und Mitarbeitern und die Bielefelder → Invulnerabilitätsstudie von Lösel und Mitarbeitern. Auch diese beiden Studien waren Längsschnittstudien, d. h., sie erstreckten sich über einen sehr langen Zeitraum und konnten verschiedene Entwicklungsstadien erfassen.
Die Mannheimer-Risikokinder-Studie: Die Mannheimer-Risikokinderstudie wollte herausfinden, wie sich Kinder mit unterschiedlichen Risikobelastungen entwickeln und welche möglicherweise protektiven (schützenden) Faktoren es gibt, um die Belastungen zu kompensieren. In der Studie wurden 362 Kinder, die zwischen 1986 und 1988 geboren wurden, jeweils im Alter von drei Monaten, 2, 4, 5, 8 und 11 Jahren untersucht. Die Ergebnisse konnten die Aussagen von Werner bestätigen und darüber hinaus deutlich machen, welche Risiken vor allem dazu beitragen, die Entwicklung von Kindern zu beeinträchtigen. Damit lag der Schwerpunkt dieser Studie nicht primär auf den Schutzfaktoren für die Entwicklung; die Autoren konnten aber beschreiben, welche Prozesse eine Rolle bei der gesunden Entwicklung von Kindern spielen.
Die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie: Die Bielefelder → Invulnerabilitätsstudie wollte dagegen explizit die seelische Widerstandskraft, also Resilienz von Kindern, die ein hohes Entwicklungsrisiko tragen, untersuchen und dabei speziell erfassen, welche Schutzfaktoren außerhalb der Familie zu einer resilienten Entwicklung beitragen können (Lösel et al. 1990). Sie ist damit die erste deutsche Resilienzstudie. Die Stichprobe der Studie setzte sich aus 146 Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren zusammen, die alle in Heimen aufwuchsen. Dabei wurden die Jugendlichen auf der Basis von Fallkonferenzen, Erzieherberichten, Selbsteinschätzungen der Jugendlichen und einem Risikoindex in zwei Vergleichsgruppen eingeteilt. Mit einem Risikoindex können Risikofaktoren erhoben werden. In diesem Fall wurden 70 Items zugrunde gelegt, die zum einen „objektive“ Faktoren erhoben, wie z. B. schlechte Wohnverhältnisse, Trennung / Scheidung der Eltern, Armut usw., zum anderen aber auch subjektive Faktoren wie erlebte Elternkonflikte, Alkoholprobleme etc. (Lösel / Bender 2008, 58).
In der einen Gruppe waren die 66 Jugendlichen, die aufgrund der oben beschriebenen Verfahren als resilient eingestuft wurden, in der anderen Gruppe waren 80 Jugendliche aus denselben Heimen, die eine gleichartige Risikobelastung aufwiesen, aber im Gegensatz zur resilienten Stichprobe starke Verhaltensauffälligkeiten zeigten (Lösel / Bender 2008, 58).
Die Jugendlichen beider Gruppen wurden interviewt und anhand von Fragebögen befragt. Dabei wurden vier Merkmalskomplexe erfasst: die biografische Belastung, Störung des Verhaltens und Erlebens sowie personale und soziale → Ressourcen (Homfeldt / Maag 2004, 417).
Und obwohl diese Studie in einem anderen Kulturkreis durchgeführt wurde und sich auf eine spezifische (Hochrisiko-)Gruppe beschränkte, kam sie zu ähnlichen Ergebnissen wie die Untersuchung von Emmy Werner auf der Insel Kauai: Die als resilient eingestuften Jugendlichen zeigten während der Studienlaufzeit eine Reihe von protektiven Faktoren wie z. B. eine realistische Zukunftsperspektive, ein positives Selbstwertgefühl oder eine hohe Leistungsmotivation. Auffallend war auch, dass sie bedeutend öfter eine feste Bezugsperson außerhalb ihrer Familie hatten, bessere Beziehungen in der Schule eingehen konnten und auch zufriedener mit der erhaltenen sozialen Unterstützung waren. Ob ein Jugendlicher über die Zeit der Untersuchung hinweg stabil resilient oder verhaltensauffällig blieb, hing vor allem auch damit zusammen, wie die Studienteilnehmer das Erziehungsklima in den Heimen erlebten, das im besten Fall → autoritativ, d. h. durch Empathie und Grenzsetzung, gekennzeichnet war, im schlechtesten Fall eher autoritär und restriktiv war (Lösel / Bender 2008).
Die Ergebnisse dieser Grundlagenstudien verifizieren sich auch in neueren Studien, die spezifische Erkenntnisse in verschiedenen Bereichen erheben. So zeigte eine Metastudie einen signifikanten Zusammenhang zwischen Resilienz und psychischer Gesundheit bei körperlich Erkrankten (Färber / Rosendahl 2018). Eine andere Studie konnte nachweisen, dass sich prosoziales Verhalten, emotionale Kompetenz und Freizeitaktivitäten positiv auf die Entwicklung von Resilienz bei Jugendlichen auswirken (Karpinski et al. 2017). Darüber hinaus werden vermehrt Studien aus dem neurowissenschaftlichen Bereich initiiert. Nationale Beispiele dafür sind das „Mainzer Resilienzprojekt“ oder die „Gutenberg Brain Study“ (Deutsches Resilienzzentrum Mainz 2017), international z. B. die „Marine Resiliency Study“ (US Department of Veterans Affairs Health Services Research and Development 2018; dazu insgesamt Kunzler et al. 2018 und Lindert et al. 2018).
Wie wesentlich Resilienz für die Entwicklung von Kindern mit sozioökonomischer Benachteiligung ist, hat eine Sonderauswertung der OECD PISA Daten ergeben. Hier zeigte sich, dass personale Resilienz – gefördert durch ein „positives Schulklima“, eine „offene Kommunikation“ sowie „vertrauensvolle Lehrer*innen-Schüler*innen-Beziehungen und Projekte, die die Selbstwirksamkeit unterstützen“ – eine verbesserte Schul- und Anpassungsleistungen von Jugendlichen trotz ungünstiger Startschwierigkeiten zur Folge hat (OECD / Vodafone Stiftung 2018).
Diese Studien zeigen, dass sich in unterschiedlichsten Regionen und in verschiedenen Problemfeldern,
„ein Kernbereich von Merkmalen ergibt, die für die seelisch gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bedeutsam sind [und] … für relativ breit wirksame protektive Faktoren sprechen“ (Lösel / Bender 2007, 59).
Im nächsten Kapitel soll näher auf diese Faktoren eingegangen, aber auch eine Verknüpfung zum Risikofaktorenmodell hergestellt werden.
Genauere Informationen über die einzelnen Studien, findet man bei den jeweiligen Autoren, z. B.
▪Werner (2008b): Entwicklung zwischen Risiko