Blut für Gold. Billy Remie
rutschte es nicht aus seinem Griff. Er drehte es geschickt und flink, wie ein Ganove einen Revolver. Und Darcar war beeindruckt, beinahe sogar neidisch.
»Ja«, brachte er etwas verspätet hervor und wunderte sich selbst über seine plötzlich raue Stimme.
Elmer zwang ein Auge auf, nur einen Schlitzbreit, und schmunzelte noch etwas deutlicher.
Darcar drehte das Gesicht zur Seite, wollte sich seine Unbeholfenheit und Beklemmung nicht anmerken lassen, er wäre auch gern so lässig und gleichgültig gewesen wie Elmer, denn seine Steifheit verriet ihn vermutlich mehr als jeder Körperkontakt. So ließ er sich wieder etwas tiefer ins Wasser gleiten, auch wenn er dadurch mit seinen Schienbeinen Elmers Schenkel berührte. Ein seltsamer Druck baute sich in seiner Brust auf, aber den konnte Elmer zum Glück nicht sehen.
Sie schwiegen wieder und Darcar blickte gedankenverloren zum Fenster. Der Regen tröpfelte gegen die dünne Scheibe, es klang beinahe so, als ob jemand Kieselsteine dagegen warf.
Da kam Darcar ein Gedanke und er legte die Stirn fragend in Falten. »Elmer?«
»Mhm, ja?« Der genüssliche Laut aus seiner Kehle klang beinahe wie ein raubtierhaftes Schnurren. Aber nur beinahe. Genau genommen, klang es sogar noch besser.
Darcar drehte das Gesicht wieder zu ihm herum. »Wenn du sagst, dass du von zuhause abgehauen bist, wie alt warst du denn dann?«
»Was schätzt du denn?« Er lächelte geheimnisvoll.
»Ich weiß nicht«, gestand er schulterzuckend, »ich glaube kaum, dass du mit zwölf ausgerissen bist, um in der Stadt Arbeit zu suchen.«
»Auf dem Land ist alles etwas anders, da wird man früher erwachsen«, meinte er altklug. »Sobald wir stehen können, arbeiten wir auf der Farm mit, mit fünfzehn werden wir manchmal bereits verheiratet und ziehen aus.« Dann öffnete er die Augen und ein helles Grün schlug Darcar entgegen, so hell wie die Blätter der Laubbäume im Frühling. »Ich schätze, als ich weglief, war ich so alt wie du heute.«
Verwundert runzelte Darcar die Stirn. »Aber ich bin fünfzehn!«
»Dann war ich ein Jahr älter als du«, korrigierte Elmer, wirkte dabei gut gelaunt, vielleicht überspielte er seine Gefühle aber auch nur mit seinem lockeren Grinsen.
Darcar wunderte sich immer mehr, er richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf. »Aber … wie alt bist du denn dann jetzt?«
»Neunzehn.« Elmers Lächeln wirkte mit einem Mal entschuldigend. »Ich sehe jünger aus, ich weiß.«
Darcar brauchte erst einmal einen Moment, um die neue Information richtig zu verstehen. Er hatte Elmer tatsächlich jünger geschätzt, war fest davon überzeugt gewesen, sie wären fast gleich alt. Doch nun ergab vieles so viel mehr Sinn. Sein Wissen über gewisse Dinge, zum Beispiel die Herstellung des Selbstgebrannten und seine Fähigkeiten, zu überleben. Er hatte schon ein paar Jahre länger hier gelebt als Darcar angenommen hatte. Und irgendwie hatte er auch von Anfang an ein wenig erwachsener gewirkt, organisierter, als Darcar es von einem Jungen in seinem Alter erwartet hätte. Nur eines passte jetzt nicht mehr ins Bild.
»Wenn du schon neunzehn bist«, hakte Darcar unsensibel direkt nach, »warum haben sie dich dann nicht schon mitgenommen?«
Vielleicht, weil er mager war, doch das waren hier alle, und Elmers muskulöse Arme zeugten deutlich von seiner Stärke.
Elmers Gesicht verdunkelte sich ein wenig, als ob ein Schatten darüber fiel. Er lächelte nachsichtig, aber nicht sonderlich fröhlich. »Nun ja, es hat auch seine Vorteile, jünger auszusehen.«
Darcar interpretierte seinen seltsamen Gesichtsausdruck falsch. »Du willst, dass sie dich holen?«
Elmer schnaubte. »Nein.«
Dann richtete auch er sich in der Wanne auf, dabei streifte sein Fuß Darcars Wade und brachte ihn innerlich zum Zusammenzucken.
»Das ist das Letzte, was ich will. Wenn sie kommen, bleibe ich im Gewölbe, da finden sie einen nicht, weil es ein Schmugglerversteck war, das natürlich auf den alten Stadtkarten nicht eingezeichnet ist. Es ist der einzig sicherere Ort, wenn sie kommen, und nur ihr und ich kennen ihn.« Elmer rieb sich mit nassen Händen das Gesicht und Darcar starrte ihn an, unfähig, seinen Blick von ihm loszureißen, denn zum ersten Mal hatte er den Eindruck, für einen Moment in Elmers Kopf sehen zu können, hinter die sonst so souveräne Außenfassade, die einfach alles im Griff hatte und alles über das Leben zu wissen schien, was ihm half, zu überleben.
Als Elmer die Hände durch sein Haar gleiten ließ, sorgte die Feuchtigkeit dafür, dass seine blonden Strähnen zu Berge standen. Er senkte die Arme und blickte Darcar unverwandt in die Augen. »Ehrlich gesagt, fürchte ich mich davor, diesen Ort zu verlassen.«
Darcar konnte das überhaupt nicht verstehen, er wünschte, er könnte einfach über die Mauer klettern und dem Rattenloch für immer den Rücken kehren. Doch sie war zu hoch und zu glatt.
»Hier kenne ich mich aus«, erklärte Elmer regelrecht entschuldigend. »Ich weiß, wie ich hier überlebe, was mich erwartet. Ich kenne jede Straße, jedes Gebäude, den Jahresablauf, weiß ganz genau, wie ich überlebe und kenne die Gefahren. Ich weiß vor was und wem ich mich hüten muss. Hier kann ich mich auf mich selbst verlassen. Da draußen … keine Ahnung, was mich da erwartet, wohin sie mich bringen, falls sie mich je in die Finger bekommen. Ob sie mich zwingen, im Krieg gegen die Wilden zu kämpfen, ob ich an der Front überlebe, ob ich es im Ganzen nach Hause schaffe? Und dann? Geht es von vorne los. Ob ich Arbeit finde? Ich? Ein ehemals Verbannter und Kriegsveteran? Mich stellt keiner mehr ein, ich werde wieder irgendwo in irgendeinem Loch landen.« Er schüttelte verdrossen den Kopf. »Selbst wenn wir die Front oder das Kohleschippen in den Dampfschiffen überleben, hört der Kampf um das Überleben für Menschen wie uns niemals auf.« Wieder dieses entschuldigende Lächeln, warm flutete sein Blick in Darcars. »Du bist ab jetzt kein reicher Junge mehr, Darci, dir wird nichts mehr geschenkt. Du bist einer von uns, eine Ratte. Daran kannst du nichts mehr ändern.«
Darcar ließ sich die Worte durch den Kopf gehen, schaute wieder zum Fenster und spürte sowohl Wut als auch Sehnsucht, während er an Zuhause dachte. »Ich bin keine Ratte«, sagte er leise, entschlossen. »Und du bist es auch nicht.«
Er spürte Elmers müdes Lächeln, doch dieser ging gar nicht darauf ein. »Darf ich dich eigentlich Darci nennen?«, fragte er ablenkend mit einem neckischen Grinsen auf den blassen Lippen. »Wenn ich dich Darci nennen darf, darfst du auch El zu mir sagen.«
Darcar wandte ihm wieder das Gesicht zu, kaum eine Reaktion auf den Zügen, wie so oft wirkte er unnahbar und hart, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Doch Elmer brachte das nur immer dazu, ihn deshalb umso freundlicher anzusehen, als wollte er ihm ins Gesicht sagen, dass ihn dieser Blick auf keinen Fall fernhalten konnte. Dass er ihn durschaute.
»Wenn du Darci sagst, dann sage ich Eli«, konterte Darcar trocken. »Oder Elmi.«
Das brachte Elmer zum Lachen. Ein schönes Lachen, kehlig und melodisch, so voller Freude. Und wie seine Augen leuchteten… Da wusste Darcar, was ihn an Elmer faszinierte, es war seine Fähigkeit, völlig normal zu sein, Freude zu empfinden, obwohl sie am wohl traurigsten Ort der Welt waren und nicht mehr tiefer sinken konnten. Elmer hatte nicht sein Lachen verloren. Darcar bewunderte ihn beinahe um seine Stärke, denn er selbst wollte die meiste Zeit einfach nur weinen oder sich die Seele aus Frust aus dem Leib brüllen.
»Wie wäre es mit Darc und El?«, schlug er Darcar dann vor und reichte ihm die nasse Hand. »Oder darf dich nur dein Bruder so nennen?«
Darcar schlug ein, Wasser spritzte hoch. »Abgemacht, El.«
Sie lächelten sich an und Darcar war sich Elmers festem, glitschigem Griff mal wieder überdeutlich bewusst, doch seinem intensiven Blick, der sich in seinen bohrte, sogar noch viel mehr.
Elmer ließ als erster los und lehnte sich sichtlich zufrieden wieder zurück.
Darcar jedoch runzelte ernst die Stirn, während Elmer sich Arme und Schultern mit der Seife schruppte.
»Was