Blut für Gold. Billy Remie
ich haben uns nicht geküsst – oder auch nur umarmt. Nun ja, den Kleinsten haben wir schon mal hochgenommen, aber mehr auch nicht. Meistens haben wir uns geprügelt, uns herausgefordert. Da war immer Rivalität zwischen uns. Ich bin es einfach nicht gewohnt, wie du mit Veland umgehst.«
»Vielleicht wolltest du ja deswegen von zu Hause abhauen.« Die Worte waren raus, bevor Darcar wusste, was er da sagte. Erschrocken sah er zu Elmer auf.
Doch dieser war gar nicht böse, er lachte sogar und nickte eingestehend. »Gut möglich, ich war nämlich nicht besonders weit oben in der Hackordnung.« Er zwinkerte Darcar zu. Sein Gesicht jedoch wurde wieder ernst. »Vielleicht mochte ich ja deswegen nicht, dass Henning seine eigene Hierarchie gründete und mit Gewalt jeden Frischling unterdrückt.«
Darcar konnte ihm nur noch schwerlich zuhören, denn Elmer zog sich weiter aus, vollkommen ungeniert.
Was für eine Ironie, Elmer kannte körperlich keine Scham, zog sich vor Wildfremden aus und verrichtete ungeniert seine Notdurft, wann immer er musste, aber als Darcar V einen Kuss gab, war das für Elmer nicht normal, ungehörig.
Sie stammten eindeutig aus verschiedenen Welten.
Als Elmer sich hinabbeugte und die Hose dabei von seinen Beinen streifte, wurde Darcar augenblicklich bewusst, dass der andere nicht wartete, bis er fertig gebadet hatte. Umgehend wollte er aufstehen, machte bereits Anstalten, sich zu erheben. Doch dann hielt er erschrocken inne, denn aufzustehen bedeutete, nackt und nass vor Elmer zu treten. Er setzte sich wieder.
Es wurde nicht besser, als Elmer sich aufrichtete und die Hose zur Seite trat. Darcar konnte nicht anders, als hinzusehen. Die Neugierde war zu stark, zu brennend. Er musterte den anderen, der sich vollkommen normal durch den Raum bewegte, als wäre er nicht splitterfasernackt. Und als würde Darcar ihn nicht mit leicht geweiteten Augen anstarren. Nicht, dass er sich vor irgendetwas fürchtete, abgesehen von seinem eigenen Körper, dessen intensive Reaktionen er noch nie unter Kontrolle hatte.
Der nackte Elmer wirkte plötzlich älter, reifer als der angezogene Elmer. Ob es an den weiten Lumpen lag oder schlicht an der Tatsache, dass Darcar ihn sich nicht so … gereift vorgestellt hatte? Elmers Bauch war flach, seine Brustmuskeln hoben sich sacht vom Rest des gertenschlanken Körpers ab, seine Haut war fast so weiß wie Milch, seine Brust war so gut wie haarlos, dafür spross deutlicher Flaum unter seinen Achseln, als hätte er sich Stroh unter die Arme geklemmt. In seinen Lenden lag ein ausgeprägter Muskel, der wie ein Trichter geformt war und nach unten zeigte. Dort hatte Elmer auch deutlich mehr Haare als Darcar es sich vorgestellt hätte. Mehr als er selbst. Das Dreieck zwischen seinen schlanken, aber strammen Schenkeln war vollkommen bedeckt. Aschblond wie das Kopfhaar, schimmerte der Flaum im Schein der Lampe, und darin ruhte, weich und seidig sein Geschlecht. Die Eichel schaute unter makelloser, glatter Haut hervor. Vorwitzig. Provozierend.
Darcar hatte noch nie das Geschlecht eines anderen Jungen so hautnah gesehen. Die seiner Brüder zählten selbstredend nicht. Und er konnte beinahe nicht mehr aufhören, hinzusehen. Erneut hatte er das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Erst als Elmer sich frontal zu ihm umdrehte, sah er schnell wieder auf das Wasser in der Wanne und atmete seinen erregten Puls herunter.
»Du hast gar nicht mehr gehustet«, stellte Elmer erfreut fest. »Die Dämpfe scheinen dir wirklich gut zu tun.«
Mehr als ein zustimmendes Brummen bekam Darcar leider nicht mehr hervor.
Mit der Seife in der Hand stieg Elmer erst mit einem schlanken Bein, dann mit dem anderen in die Wanne. Er hatte schöne Waden, stellte Darcar durch einen ungewollten Seitenblick fest. Wohlgeformt und durchtrainiert, fast wie einer dieser Langstreckenläufer, die immer bei den Sommerspielen im Stadtpark antraten.
Mit einem genüsslichen Seufzen setzte Elmer sich Darcar gegenüber. Beide hatten die Beine angezogen, sodass ihre Knie aus dem Wasser ragten und durch die Temperaturunterschiede leicht dampften. Elmer war allerdings größer als Veland, sodass es unvermeidbar war, dass sie sich berührten. Darcar versuchte, seine Beine so nah wie möglich an sich zu ziehen, setzte sich aufrechter hin. Elmer jedoch schien es nichts auszumachen, dass sich ihre Füße und Schienbeine hin und wieder berührten, er fläzte sich entspannt ins Wasser und schloss für einen flüchtigen Augenblick die Augen.
Darcar betrachtete seine sanften Züge. Nicht zum ersten Mal fiel ihm auf, wie freundlich Elmers Gesicht wirkte, unheimlich zart, aber nicht weiblich. Männlich zierlich. Es war ein schönes Gesicht, das ihm immer noch fremd war, aber ihm gleichwohl auch erstaunlich schnell sehr vertraut wurde. Noch immer entdeckte er neue Feinheiten in Elmers Zügen, ein blasses Muttermal, zwei ineinander verstrickte Sommersprossen, die zusammen eine große ergaben, der Schatten eines blonden Schnur- und Kinnbarts, die unglaubliche Dichte und Länge seiner hellen Wimpern… Immer wieder entdeckte er etwas Neues, aber er würde Elmer mittlerweile unter tausenden auf mehrere Meilen Entfernung erkennen können. Denn immer, wenn Darcar nachts aufwachte, betrachtete er heimlich das vom Feuer angestrahlte Gesicht ihres Gastgebers. Anfangs war es unbewusst geschehen, dieses Gesicht hatte seinen Blick magisch angezogen, irgendwann hatte er es ganz bewusst getan und nicht mehr wegsehen wollen. Doch im Schlaf sah Elmer jünger aus, das Gesicht schlaffer, verletzlicher. In diesem Moment dort in der Wanne, wirkte er maskuliner, erwachsener. Darcar mochte dieses Gesicht, ganz gleich was Elmer gerade tat. Ob konzentriert oder lachend. Und das machte Darcar Angst. Er mochte dieses Gesicht nämlich immer, wenn er ehrlich war. Das zu wissen, hatte keine zwei Tage gedauert, Darcar wusste immer sofort, wenn er sich für jemanden faszinierte. Als reicher Schnösel war er es schlicht gewohnt, zu bekommen, was er wollte. Er musste es nur beim Namen nennen. Doch was andere Jungen anging, hatte er auf schmerzhafte Art lernen müssen, dass es Dinge gab, die unerreichbar waren.
V hatte vollkommen Recht, ihm zu misstrauen. Aber früher war nicht heute und er war mittlerweile um einige Erfahrungen reicher. Zudem hatte er ohnehin genug andere Probleme, selbst Elmers hübsches Antlitz konnte ihn nicht davon ablenken. Höchstens für einen kostbaren, winzigen Augenblick, in dem sich plötzlich so etwas wie Normalität einschlich. Es war doch seltsam, dass ihm dieses unerfüllte Sehnen so vertraut vorkam, dass er sich dadurch regelrecht wohlfühlte. Aber diese Momente währten nie lange.
Immerhin hatte er innerhalb eines Atemzugs alles verloren. Vater, Haus, Name, einen seiner Brüder. Sie hatten ihnen alles gestohlen. Diese verdammte Stadt hätte eigentlich so gut wie ihnen gehört, denn durch das Erbe ihres Vaters, hätte ihnen alles zu Füßen gelegen. Aber man hatte es ihnen weggenommen, sie hatten ihnen alles weggenommen! Und Darcar dachte – wenn er nicht gerade nachts Elmers Gesicht anstarrte – unentwegt darüber nach, wie er herausfinden konnte, wer denn überhaupt »sie« waren. Der schwarze Rat? Ilona? Kenneth? Alle Kaufherren der Stadt?
Er würde es herausfinden, sobald er einen Weg aus diesem Loch gefunden hatte. Eins nach dem anderen – und alles andere war unwichtig. Vs Überleben musste gesichert werden, Rache musste genommen werden. Vielleicht würde er dann wieder schlafen können. Vielleicht würden die Schreie seines Vaters dann verstummen. Und ganz vielleicht würde er dann mit mehr Genuss heimlich Elmers Züge betrachten können. Ganz ohne dieses ungute Gefühl in der Magengrube, nur noch mit der sonst üblichen Angst davor, entdeckt zu werden.
Doch im Moment fühlte sich der Zeitpunkt, um wieder an normale Dinge wie heimliches Begehren zu denken, schlicht falsch an. Unpassend. Respektlos gegenüber seiner Verluste.
Trotzdem sah Darcar Elmer lange an, während er über all das nachdachte und der Dampf Elmers Poren öffnete, ihm den Schweiß aus dem Gesicht trieb, als hätten ihn frische Tautropfen überzogen. Und zum ersten Mal in seinem Leben dachte er angestrengt darüber nach, wie die Haut eines anderen Jungen wohl schmecken würde. Ob sie heiß war und der Schweiß auf ihr eine salzige Note besaß. Ob es ihm schmecken würde. Allein der Gedanke daran machte etwas mit ihm, sorgte für Unruhe in seinem Inneren.
Elmer blieb sehr lange still und reglos, den Hinterkopf gegen den Wannenrand gelehnt. Falls er Darcars Blick spürte, sagte er nichts dazu, aber nach einer Weile schlich sich ein Schmunzeln auf seine Züge. Ganz sacht, vollkommen unaufdringlich, aber es war da und wollte auch nicht wieder erlöschen.
Erst als Elmers Stimme die Ruhe durchdrang, wurde der zauberhaftstille