Das grüne Gesicht. Gustav Meyrink

Das grüne Gesicht - Gustav Meyrink


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der Hämorrhoiden im

       klassischen Altertum"? – "nun, Politik scheint, Gott sei Dank, nicht vertreten zu sein" – und er nahm: "Aalke Pott, Über

       den Lebertran und seine steigende Beliebtheit, 3. Band" vor und blätterte darin.

       Der miserable Druck und das elende Papier standen in verblüffendem Gegensatz zu dem kostbaren Einband.

       "Sollte ich mich geirrt haben? Handelt es sich vielleicht gar nicht um eine Hymne auf ranziges Öl?" – der Fremde

       schlug die erste Seite auf und las erheitert:

       "Sodom- und Gomorrhabibliothek"

       Ein Sammelwerk für Hagestolze.

       (Jubiläumsausgabe.)

       Bekenntnisse eines lasterhaften Schulmädchens.

       (Fortsetzung des berühmten Werkes:

       Die Purpurschnecke)

       "Wahrhaftig, man glaubt die 'Grundlage des zwanzigsten Jahrhunderts' vor sich zu haben: außen brummliges

       Gelehrtengetue und innen – der Schrei nach Geld oder Weibern", brummte er vergnügt und lachte dann laut hinaus.

       Nervös fuhr der eine der beiden wohlbeleibten Handelsherren von seinem Guckkasten empor (der andere, der

       Holländer, ließ sich nicht stören), murmelte verlegen etwas von "wunnerschoenen Sstädteansichten" und wollte sich

       schnell entfernen, nach Kräften bestrebt, seinem durch den überstandenen optischen Genuß ein wenig ins

       Schweinskopfartige zerflossenen Gesichtsausdruck wieder das altgewohnte Gepräge des unentwegt auf geradlinig

       strenge Lebensauffassung gerichteten Edelkaufmanns zu verleihen, da leistete sich der satanische Versucher aller

       Schlichtgesinnten in Gestalt eines hämischen Zufalls, aber fraglos in der Absicht, die Seele des Biedermanns nicht

       länger im Unklaren zu lassen, in welch frivoler Umgebung sie sich befand, einen höchst unziemlichen Scherz:

       Durch eine allzu eilige Flatterbewegung beim Anziehen des Mantels hatte der Handelsherr mit dem Ärmel das

       Pendel einer großen Wanduhr in Bewegung gesetzt, und sofort fiel eine mit trauten Familienszenen bemalte Klappe

       herunter; nur erschien statt des zu erwartenden Kuckucks der wächserne Kopf nebst spärlich bekleideten Oberleib

       einer über die Maßen frechblickenden Frauensperson und sang zum feierlichen Glockenklang der zwölften Stunde mit

       verschleimter Stimme:

       "Tischlah sejen

       "ganz verwejen,

       "hobeln flott drauf los;

       "fein und glatt

       "wird das Blatt – – –"

       "Blatt, Blatt, Blatt" – ging es plötzlich, sich rhythmisch wiederholend, in einen krächzenden Baß über. Entweder hatte

       der Teufel ein Einsehen oder war ein Haar ins Grammophongetriebe geraten.

       Nicht länger gesonnen, neckischen Kobolden zum Opfer zu fallen, suchte der Chef der Meere mit empört

       gequäktem "aarch anstößich" fluchtartig das Weite.

       Obschon mit der Sittenreinheit nordischer Völkerstämme wohl vertraut, konnte sich der Fremde dennoch die

       übermäßige Verwirrung des alten Herrn nicht recht erklären, bis ihm langsam der Verdacht dämmerte, er müsse ihn

       irgendwo kennengelernt haben, – ihm wahrscheinlich in einer Gesellschaft vorgestellt worden sein. Ein schnell

       vorübergehendes, damit verknüpftes Erinnerungsbild: eine ältere Dame mit feinen traurigen Zügen und ein schönes

       junges Mädchen, bestärkte ihn in seiner Annahme, nur konnte er sich des Ortes und der Namen nicht mehr entsinnen.

       Auch das Gesicht des Holländers, der soeben aufstand, ihn mit kalten, wasserblauen Augen verächtlich von oben bis

       unten abschätzte und sich dann träge hinauswälzte, half seinem Gedächtnis nicht nach. Es war ein ihm völlig

       Unbekannter von brutalem, selbstbewußten Aussehen.

       Immer noch telephonierte die Verkäuferin.

       Nach ihren Antworten zu schließen, handelte es sich um große Aufträge für einen Polterabend.

       "Eigentlich könnte ich auch gehen", überlegte der Fremde; "worauf warte ich denn noch?"

       Ein Gefühl der Abspannung überfiel ihn; er gähnte und ließ sich in einen Sessel fallen.

       "Daß einem nicht der Kopf zerspringt, oder man sonstwie überschnappt", schälte sich ein Gedanke in seinem Hirn

       los, "bei all dem verrückten Zeug, das das Schicksal um einen herumstellt! Es ist ein Wunder! – Und warum man im

       Magen Übelkeit empfindet, wenn die Augen häßliche Dinge hineinschlingen?! Was hat denn, um Gottes willen, die

       Verdauung damit zu tun! – Nein, mit der Häßlichkeit hängt's nicht zusammen", grübelte er weiter, "auch bei längerem

       Verweilen in Gemäldegalerien packt einen unvermutet der Brechreiz. Es muß so etwas wie eine Museumskrankheit

       geben, von der die Ärzte noch nichts wissen. – Oder sollte es das Tote sein, das von allen Dingen, ob schön oder

       häßlich, ausgeht, die der Mensch gemacht hat? Ich wüßte nicht, daß mir schon einmal beim Anblick selbst der ödesten

       Gegend übel geworden wäre, – also wird es wohl so sein. – Ein Geschmack nach Konservenbüchsen haftet allem an,

       das den Namen 'Gegenstand' trägt; man kriegt den Skorbut davon." – Er mußte unwillkürlich lächeln, da ihm eine

       barocke Äußerung seines Freundes Baron Pfeill, der ihn für Nachmittag ins Café "De vergulde Turk" bestellt hatte und

       alles, was mit perspektivischer Malerei zusammenhing, aus tiefster Seele haßte, einfiel: 'Der Sündenfall hat gar nicht mit

       dem Apfelessen begonnen; das ist wüster Aberglaube. Mit dem Bilderaufhängen in den Wohnungen hat's angefangen!

       Kaum hat einem der Maurer die vier Wände schön glatt gemacht, schon kommt der Teufel als "Künstler" verkleidet

       und malt einem "Löcher mit Fernblick" hinein. Von da bis zum äußersten Heulen und Zähneklappern ist dann nur noch

       ein Schritt und man hängt eines Tages in Orden und Frack neben Isidor dem Schönen oder sonst einem gekrönten

       Idioten mit Birnenschädel und Botokudenschnauze im Speisezimmer und schaut sich selber beim Essen zu.' – – – "Ja,

       ja, man sollte wirklich bei allem und jedem ein Lachen bereit haben", fuhr der Fremde in seiner Gedankenreihe fort,

       "so ganz ohne Grund lächeln die Statuen Buddhas nicht, und die der christlichen Heiligen sind tränenüberströmt. Wenn

       die Menschen häufiger lächeln würden, gäb's vermutlich weniger Kriege. – Da laufe ich nun schon drei Wochen in

       Amsterdam herum, merke mir absichtlich keine Straßennamen; frage nicht, was ist das oder jenes für ein Gebäude,

       wohin fährt dieses oder jenes Schiff, oder woher kommt es, lese keine Zeitungen, um nur ja nicht als 'Neuestes' zu

       erfahren, was schon vor Jahrtausenden in Blau genau so passiert ist; ich wohne in einem Hause, in dem jede Sache mir

       fremd ist, bin schon bald der einzige – Privatmann, den ich kenne; wenn mir ein Ding vor Augen kommt, spioniere ich

       längst nicht mehr, wozu es dient, – es dient überhaupt nicht, läßt sich nur bedienen! – und warum tue ich das alles?

       Weil ich es satt habe, den alten Kulturzopf mit zu flechten: erst Frieden, um Kriege vorzubereiten, dann Krieg, um den

      


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