Mit schwarzen Flügeln. Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln - Daimon Legion


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      „So ungefähr, Ramuel“, antwortete er ihm vertraut.

      Eindrucksvoll wie ein rauer Berg erschien Ramuels Gestalt im Türrahmen und kam auf ihn zu. Mit seiner Größe, dem schwarzen Zottelhaar, dem Spitzbart und den dicht bewachsenen Augenbrauen hätte der Engel Metatron und seinem Gebot zur Körperpflege einen gehörigen Schrecken eingejagt. Nicht einmal die saubere weiße Robe oder der Silberreifschmuck an Ramuels Armen hätte ihn in den Augen des Rates aufwerten können, aber Luzifel war das egal.

      Der Wirt machte eine spaßige Verbeugung vor dem Seraph und sprach: „Dass der Fürst aller Engel mir gewöhnlichen Grigori die Ehre erweist, meine bescheidene Kaschemme aufsucht, um sich an einer kleinen Sünde zu laben – jederzeit stelle ich mich in Euren Dienst.“

      „Jetzt übertreib mal nicht!“, lachte sein Gast schallend. „Mach lieber ’nen Spruch, was du mir anbieten kannst!“

      „Für dich, mein Freund, nur das Beste“, ließ Ramuel frech feixend die Höflichkeit sausen und griff nach einer versteckten Flasche hinter dem Tresen. „Ein erlesener Tropfen aus der Heimat, vom ältesten Rebstock.“

      Er stellte zwei Krüge auf die Tischplatte und goss diese voll mit lieblichen roten Wein, den man nur bei einem Grigori erstehen konnte. Hätte der Seraph als Ratsmitglied einst nicht für Ramuel gesprochen, hätte der längst seine Sachen packen müssen. Aus Dankbarkeit dafür brauchte Luzifel nie wieder für ein Getränk bezahlen. Die Bar unterstützte er dennoch weiter finanziell als stiller Teilhaber.

      Er mochte die Grigori. Sie machten sich nichts daraus, als zehnter Chor ganz unten in der Klasse zu stehen, waren gesellig, schlagfertig und fanden immer einen Grund zum Ausgelassensein. Sie genossen ihr schlichtes Bestehen in allen Zügen, tranken ihren Wein, sangen unverschämte Lieder und schwankten bereitwillig auf der Grenze zwischen Tugend und Sünde (welcher auch einige leichtsinnige Narren verfielen). Die Oberen hielten sie für Barbaren, obwohl das Blödsinn war. Sie hatten bloß andere Ansichten als Gott und ihr steifes Gefolge. Die Grigori wussten, dass für sie kein Platz in den Triaden war, und es war ihnen gleich. In fadenscheiniger Unschuld hätten sie nie leben können.

      Gern hätte er etwas von ihrer Seite gehabt. Gern würde er allen Problemen mit einem Lächeln trotzen. Wie schafften die es nur, so ungerührt zu bleiben? Jenes lockere „Was soll’s? Schwamm drüber!“ zu sagen, fiel ihm besonders schwer.

      Diesem sorglosen Gefühl wollte er sich ergeben. Hier einmal er selbst sein, unbedeutend, ohne Rang und Titel. Ein einfacher Jedermann, der sich einen Schluck Freiheit genehmigte.

      Dem Wirt prostete er kurz zu und trank den Wein in einem Zug.

      Michael suchte ihn überall in der Stadt, bis ihm zuletzt ein Flecken einfiel, von dem er zwar seinen Bruder hatte reden hören, dennoch es nie für möglich gehalten hätte, ihn dort vorzufinden. Schlicht, weil der Laden nicht gut genug war für den angesehenen Hauptmann der Weißen Garde. Was würden die Soldaten davon halten, wenn sie hörten, ihr Herr treibe sich in der untersten Schiene der Gesellschaft herum?

      Bei dem Gedanken kurz mit den Augen rollend, rannte der Engel durch die schmalen Gassen und schlüpfte durch einen schattigen Türbogen.

      Er glaubte nicht, was er sah.

      Sein großer Bruder saß mit einem gewöhnlichen dunklen Grigori zusammen an einen Tisch und beide waren sturzbetrunken. Sie soffen Wein aus Flaschen, welchen nur der zehnte Chor herstellen konnte, und redeten lautstark und lallend, dass Michael froh war über die Leere des Raumes, sonst wäre es peinlich geworden.

      Gut, er hatte auch vorgehabt, sich einen Drink zu genehmigen. Doch das?

      „Wenigstens du hörst mir zu“, vernahm er Luzifel, der zu dem Wirt vertraut redete. „Du kannst dir nicht vorstell’n, wie gut du’s hast, Ram. Ich da oben hab echt nur den Kürzer’n gezog’n! Die sag’n alle so ’nen Mist wie: ‘Mach dir kein’ Kopf, Lou, das kommt schon alles ins Lot’, aber verdammt, nein, kommt’s eben nicht! Ich mein, wo steh ich denn? Du hast ’nen super Platz, Ram, aber ich weiß nicht, wo ich hingehör! Und Gott kann da auch nicht helfen, wegen der hab ich ja die Probleme! Bin ich echt nur dazu da, ihre Teufel zu töten? Man nennt mich schon Todesstern. Super, wa’?“

      „Die ham alle kein Sch-immer, Lou! Ey, du bist der erste Typ, der sich darüber Gedanken macht! Ich weiß, du bist viel cleverer als all die Trottel im Rat. Und du hast recht! Du solltest zu Gott geh’n und der Schickse ordentlich die M-meinung geigen, dass die nicht so mit dir umzugeh’n hat. Du bist ’n En-Engelsfürst, Mann! Für wen hält die sich, hä?“

      „Ihr redet hier von Gott“, unterbrach Michael die Saufbrüder und beide sahen auf.

      Luzifel verzog unwirsch das Gesicht. „Och nö, da kommt der Anstandswauwau vom Chef ... Muss in die Herde zurück, wie? Wenn du hier bist, um mir was von dem Meta-Stinker zu sag’n, dann verzieh dich gleich, Mike.“ Er musste herzhaft aufstoßen, was Ramuel würdigend beklatschte.

      Verständnislos schüttelte Michael den Kopf. „Lass das Metatron nicht hören. Der schafft es, dich zu degradieren.“

      „Klasse, endlich kann ich diesen verflucht’n Job an den Nagel häng’n! Dann komm ich öfters rum, Ram“, lachte der große Bruder dem Wirt zu. Feierlich stießen beide mit den Flaschen an und tranken.

      Michael wandte sich Ramuel zu und sagte: „Ich nehme ihn besser mit. Der hatte entschieden genug und weiß nicht, was er da redet.“

      Schwankend wies Ramuel mit dem Finger auf ihn. „Sei ma’ nicht so sicher. Du magst ja die Muskeln gepachtet ham, aber Lou ist klüger als hundert von euch Hö-Hörigen.“

      „Ich gebe nichts auf Trinkergeschwätz, Grigori“, entgegnete sein Gegenüber.

      „Dann is’ Euch nicht geholfen, Seraph ...“

      Luzifel stützend, steuerte Michael das Anwesen des Gardeführers an. Sein Bruder hatte darauf bestanden, die letzte Weinflasche mitzunehmen und Michael hoffen um alles im Himmel, dass kein Bekannter sie des Weges erblickte. Diese Peinlichkeit wollte er sich und ihm ersparen.

      „Was kümmert’s dich! Is’ doch nicht dein Ruf, der den Bach abgeht ...“, nuschelte Luzifel mit einer Alkoholfahne ihm zu. Seine Augen konnte nicht mal mehr einen Punkt fixieren.

      „Trotzdem, du bist mein Bruder“, entgegnete der Jüngere.

      „Bruder, pah ... Wir teil’n ’nen Stern, nicht das Blut uns’rer Adern. Wann warssu mir je näher als die andern? Du verstehst nicht ma’ mein Denken ...“

      „Was gibt es da nicht zu verstehen? Du bist gelangweilt von deinem Leben – fein, hab ich kapiert. Du machst dir Gedanken, weil man dich Todesstern nennt – okay. Doch du kannst Gott nicht die Schuld dafür geben, weil du unzufrieden mit dir selbst bist!“

      Luzifel sah ihn gläsern an. „Wieso nicht? Gott hat mich erschaff’n, noch vor dir, Kleiner. Vor Meta und diesem Idioten Kam ... als Ersten ...

      Is’s zu viel verlangt, sich zu frag’n, was sie damit bezweckt hat? Was will sie von einem wie mir?“

      „Wir wurden geschaffen, um Gott zu dienen“, erklärte Michael überzeugend.

      „Als wenn sie zig von uns in ihr’m Dienst braucht. Und dann noch der Rat – was kommandiert der uns eigentlich rum? Wieso muss ich mir was von Meta Jupiter sag’n lassen? Nee, Mike, ich glaub, Gott hat uns alle nicht ganz durchdacht, als sie uns ins Leben warf und ganz sicher hat sie nicht vorhergeseh’n, dass einer von uns ma’ ihr kleines Konzept hinterfragt.

      Das Einzige, was sie macht, wenn einer zu denken anfängt, is’, ihm deutlich zu machen, wie schnell sie ihn wieder vernicht’n kann. Und der verdammte Rat petzt ihr jeden kleinen Fehltritt ...“

      „Sprichst du aus Erfahrung, Lou?“

      Michael war genervt und das hörte sein Bruder. Luzifel löste sich von seiner Stütze und ging wankend den Weg allein.

      „Du denkst auch nicht gern, was, Mike? Daran, was is’ oder sein


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