Immer mutig. Paul Scheerbart
zierlich die weißen Finger.
Ich würde wohl mit denen da drüben gut auskommen
– doch sie sind ja so fern – sie stecken alle in den Wolken
– und die Wolken sind hoch.
Wenn's doch regnen möchte!
Dann müssen sie ja runterkommen!
Es regnet aber nicht.
Der Weg zur Schlachtbank
Rede eines Ochsen
»Ich bin ein großes Tier und ein gutes Tier. Ich weiß,
wohin man mich führt. Und ich habe auch nichts
dagegen. Ich bin der wahre Wohltäter der Menschheit.
Ihr gehört mein Herz – ihr gehören auch meine Nieren
und meine Schinken – und meine Knochen mit dem
herrlichen Mark! Daß man mich nicht so ehrt wie andere
Wohltäter, macht mir nichts aus. Auf Dank hab' ich nie
gerechnet. Daß man mich aber noch schlägt mit dem
Ochsenziemer – halte ich für gemein. Muß ich auch noch
zum Märtyrer werden? Wozu?«
Als nun die beiden Herren mit Lesen fertig waren, ergriff ich zuerst
das Wort, da es mich immer ärgert, wenn ich in Gegenwart Andrer
bloß zuhören soll.
»Wenn ich,« sagte ich mit scharfer Betonung jeder Silbe zum
Pyramideninspektor, »die Erde bloß für eine große
Erziehungsanstalt halten soll, so komm' ich mir dabei auch nicht
sehr geistreich vor.«
»Dazu,« versetzte der alte Ramses, »hast Du auch gar keine
Veranlassung.«
Ich wollte sofort erwidern, wurde aber durch ein merkwürdiges
Gebimmel daran verhindert; die Luft in dem schwarzen Felsensaal
schien plötzlich zu Musik zu werden; unsichtbare kleine und
größere Glocken klangen bimmelnd und brummend durcheinander
– höchst melodisch – aber höchst merkwürdig.
»Das sind unsre unsichtbaren Diener!« sagte der
Pyramideninspektor.
Und dann vernahmen wir eine helle Knabenstimme, die laut
aus den Gewölben oben zu uns hinunter rief:
»Kommen Sie nur schnell, meine Herren! Das Abendbrot ist
fertig – kommen Sie – kommen Sie – sonst werden die Kartoffeln
kalt.«
Danach verstummten die Glocken.
Und wir erhoben uns aus unseren Schaukelstühlen.
Ich war recht ärgerlich und meinte brummig:
»Diese Erinnerung an das Abendbrot macht mich nicht grade
sehr heiter, denn schön ist es wohl nicht, daß wir unser Leben durch
Essen und Trinken erhalten müssen. Und daß Sie, meine Herren,
das auch noch müssen, imponiert mir ganz und gar nicht.«
Ramses fragte mich höflich:
»Sag mal, rauchst du vielleicht gerne?«
Ich bejahte die Frage, und der Pyramideninspektor meinte drauf
ganz trocken:
»Dann können wir's ja so einrichten, daß Du Deine
Mahlzeiten rauchend einnimmst. In diesem Falle müßtest Du aber
vorher ein elektrisches Bad nehmen. Zeit wäre noch dazu, denn
unser Luftknabe behauptet regelmäßig, daß das Abendbrot fertig
sei, wenn's noch zwei Stunden hin sind.«
Ich erklärte mich selbstverständlich sehr gerne bereit, sofort ein
elektrisches Bad zu nehmen.
»Es ist aber recht schmerzhaft!« erklärte der alte Ramses.
Ich aber war neugierig und versetzte kühl:
»Das tut nichts.«
Und danach gingen wir durch einen schnurgraden erleuchteten
Felsengang, in dessen schwarzen glatten Wänden unsre Gestalten
sich deutlich widerspiegelten, zum Badezimmer.
Das Badezimmer hatte sehr viele vierkantige Säulen, die auch
schwarz waren, aber nicht spiegelten. Jede Säule war von der
nächsten oder der Wand nur zwei Meter entfernt. Sehr viele gelbe
und weiße Metallgeräte standen umher, deren Bedeutung ich nicht
verstand; dieselbe hatte auch kein Interesse für mich.
Ich wurde hier dem Oberpriester Lapapi vorgestellt, der sich
natürlich auch in der Gestalt eines Nilpferdes zeigte und ebenso wie
die beiden andern einen blauen Flanellrock trug.
Die Herren baten mich, ihnen während des Bades doch was zu
lesen zu geben.
Und während ich nun mit einer Kühnheit, die mich selber
überraschte, ins Bad stieg, lasen die drei Herren:
Kapitel 2
Das neue Leben
Architektonische Apokalypse
Langsam dreht sich der alte Erdball um die alte Sonne,
die nicht mehr glüht und strahlt wie einst.
Dunkelviolett scheint die alte Sonne, so daß es nie
mehr Tag wird – auf Erden niemals mehr.
Stille Nacht ist überall.
Es ist sehr sehr still.
Der Himmel ist schwarz wie schwarzer Sammet.
Die Sterne aber funkeln so hell wie sonst – wohl noch
heller, da sie größer sind.
Goldene Sterne sind's!
Der Erdball ist ganz weiß – ganz mit weißem Schnee
umhüllt – mit leuchtendem Schnee!
Sternklare Winternacht auf den Höhen und im Tal!
Die tote Erde dreht sich immer langsamer.
Doch im sammetschwarzen Himmel wird's lebendig.
Die großen Erzengel kommen.
Mit riesig großen weißen Flügeln flattern sie eiligst
herbei. Es rauscht durch den Himmel.
Es wird so laut, so voll Trubel die Luft, als wenn viele
Millionen großer Völkerscharen zu neuem Leben
erwachen.
Aber es kommen nur die Erzengel. Es sind ihrer
zwölf. Sie sind so schrecklich groß. Sechs umflattern die
eine Hälfte der Erdkugel und sechs die andre, so daß man
von beiden kaum mehr was sieht.
Die Engel beugen langsam, Flügel schlagend, die
Köpfe herunter. Ihre Füße schweben hoch über den
beiden Polen der Erde. Die zwölf Köpfe bilden bald mit
ihren flatternden blonden Locken um des Erdballs Mitte