Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
Namen sie singend nannte, bewohnt werden, und
drunten das Tal werde von tätigem Volke wimmeln.
Eines Tages stieg Jetta zum Fuße des Geißberges
hinab, nach Schlierbach zu, wo ein Brunnen quoll,
den sie gern besuchte, da lag eine Wölfin am Brunnen,
die säugte Junge, zerriß und fraß die Jetta. Der
Brunnen heißt noch bis heute der Wolfsbrunnen. Das
Schloß auf dem Jettenbühel, die alte Pfalz, wurde am
Tage St. Marci 1536 durch einen Blitzstrahl entzün-
det, wobei ein Pulverfaß in Brand geriet und einen
Teil des Schlosses in die Luft sprengte. Kurfürst
Friedrich I. von der Pfalz erbaute, da er in des Kaisers
Acht gefallen war, einen starken und festen Turm und
nannte den Turm Trutz-Kaiser.
Gegenüber dem Kaiserstuhl liegt jenseit des Nekkar
ein Berg, der heißt Allerheiligen- oder Heiligenberg,
darinnen sind viele Höhlengänge und unterirdische
Klüfte. Schon zu Römerzeiten soll auf dem
Berge ein Tempel gestanden haben, ein Pantheon der
Heiden, und die unterirdischen Gänge sollen einem
Orakel gedient haben. Sie werden noch die Heidenlöcher
genannt und von Erdzwergen bewohnt. Von dem
Heidentempel aber hat der Heiligenberg keinesweges
seinen Namen, sondern von Kirchen und Klöstern, die
man in späterer Zeit dahinauf erbaute. Denn als die
Christenreligion in diese Gegenden drang, da schenkte
der deutsche König Ludwig III. (regierte 877-882)
dem nachbarlichen Kloster Lorsch den Berg zum Eigentum,
da wurde dem heiligen Michael zu Ehren
eine Kirche hinaufgebaut, allein sie ging wieder ein,
zwei Benediktinerklöster, eins nach dem andern, und
gingen wieder ein, eine Kirche dem heiligen Stephan,
ging ein, und noch eine Kirche dem heiligen Laurentius,
und ging wieder ein. Es war, als ob die alten Heidengötter
auf ihrem Berge unsichtbaren gewaltigen
Kampf führten gegen das Christentum und es auf
ihrem Sitz nicht duldeten, und jetzt sind die heiligen
Stätten wüst und öde, und nur die Heidenlöcher sind
noch vorhanden.
52. St. Katharinens Handschuh
Gar eine schöne Schildsage hatten die edlen Herren
von Handschuchsheim, deren letzter im Jahre 1600
des Todes verblich, indem ihn Friedrich von Hirschhorn
zu Heidelberg auf offnem Markt zur Nachtzeit
auf den Tod verwundet hatte, und mit deren erstem
sich das Folgende soll begeben haben. Er war ein
frommer junger Ritter, der ging fleißig zur Kirche,
und es geschah, daß er im Gebet vor dem Altare der
heiligen Jungfrau und Märtyrerin Katharina einstmals
entschlummerte. Da sah er drei überirdisch schöne
Jungfrauen vor sich stehen, doch die mittelste war die
schönste von den dreien, die sprach: Wir kommen,
dich anzuschauen, und deine Augen sind geschlossen;
siehe uns an, und willst du dir ein Gemahl erkiesen,
so wähle eine von uns dreien. Da sah der junge Rittersmann
an der Palme und am Zackenrad, welches
Flammen umweberten, daß St. Katharina selbst es
war, die zu ihm gesprochen, und gelobte sich ihr mit
allen Freuden. Sie aber setzte ihm einen Rosenkranz
auf das Haupt, des Rosen dufteten wie Blüten des
himmlischen Paradieses, und verschwand. Der Ritter,
als er von seinem Traumgesicht erwachte, fand wirklich
den Rosenkranz und bewahrte ihn heilig und
fand, daß dessen Rosen nicht welkten. Nun drangen
aber seine Verwandten in ihn, daß er sich vermähle,
hatten ihm auch schon eine sehr tugendsame adelige
Jungfrau auserkoren, und er konnte sich der Heirat
nicht entschlagen, fuhr aber doch fort, seiner himmlischen
Verlobten in Andacht zu dienen. Seine Hausfrau
nahm indes bald wahr, daß der junge Gemahl sie
nicht selten verließ, absonderlich des Morgens, wo er
nach der Kirche ging, und argwöhnte Schlimmes,
fragte auch ihre Kammermagd, wohin ihr Herr wohl
immer gehe. Diese nährte nur den Verdacht der Frau,
indem sie sprach, es dünke ihr, daß er zu des Pfaffen
Schwester schleiche. Da ward die Frau unsäglich betrübt
und weinte sehr, und als ihr Gemahl sie fragte,
warum sie weine, so sagte sie ihm ihren Verdacht und
ihren Kummer an. – Du bist töricht, antwortete ihr der
Ritter, die, so ich inniglich minne, ist des Pfaffen
Schwester nicht, ist eine viel Höhere und Schönere –
und wandte sich hinweg von seiner Frau. Dieser brach
solche Antwort fast das Herz, zumal sie gesegneten
Leibes sich befand, und in Unsinnigkeit der Eifersucht
ergriff sie ein Messer und stach sich's in den
Hals.
Da der Ritter nach Hause kam vom Gebet und das
Unheil sah, erschrak er, daß ihm das Herz kalt ward,
und fiel in Ohnmacht, und als er wieder zu sich kam,
raufte er sein Haar und klagte aller Schuld sich an und
rief unter tausend Tränen seine Heilige um Schutz und
Beistand. Da erschien ihm die heilige Katharine abermals
sichtbarlich mit ihren beiden Jungfrauen und
sprach: Auf dein Gebet und meine Fürbitte ist deine
Frau wieder lebendig geworden und hat ein Töchterlein
geboren! – und neigte sich über ihn und wischte
mit ihrer Hand über seine tränenquillenden Augen,
daß die Hand ganz davon überfeuchtet wurde, und
siehe, da ward aus dem Tränennaß ein Handschuh, so
weiß und zart wie das Häutchen im Ei, und St. Katharina
streifte ihn sanft ab und entschwand mit ihren
Begleiterinnen, und der Ritter fand den Handschuh in
seiner Hand liegen. Indem so kam ein Bote, der ihn
suchte, und rief: Herr! dein Gemahl lebt und hat ein
Töchterlein geboren. – Da ging der Ritter freudenvoll
heim, umarmte und küßte Weib und Kind,