Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein

Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen - Ludwig Bechstein


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der Blick in Thüringens sagenreiche Frühzeit,

       auf seine gefeiten Hochgipfel, seine von Sagenwundern

       durchrauschten Wälder, seine Klostertrümmer

       und Geisterschlösser. Das nachbarliche Vogtland erschließt

       seine Welt voll mythischen Zaubers, und

       Gera, Ilm und Saale führen zu dem thüringischen

       Flachland, das an Sachsen angrenzt. Die sächsischen

       Ebenen gewähren ihre Ausbeute, welche, sobald erstere

       verlassen werden, das Erzgebirge wie das Riesengebirge

       in noch reicherer Mannigfaltigkeit erschließen.

       Bis in des deutschen Böhmens Herz, die uralte

       Praga, erstreckt sich die Wanderung und wendet

       dann, um, vom Fichtelgebirge niedersteigend, fränkischem

       Boden zu nahen, dem Laufe der Werra durch

       heimisches Gebiet bis wiederum auf hessisches zu

       folgen, vom Hessenlande aus das Rhöngebirge zu besteigen

       und von diesem herab Mainstrom und

       Spessartwald ab und auf zu befahren. Von Bamberg

       nach Nürnberg läßt sich schnell gelangen, im Fluge

       ist Regensburg erreicht, zu dessen östlichem Stromgelände

       der Böhmerwald sich niedersenkt. Durch des

       Bayerlandes Gauen mitten hindurch geht es stracks

       nach Schwaben und durch Schwaben noch einmal

       westlich bis zur Pfalz und nach Baden, wo die letzte

       Umkehr genommen wird, um durch Südschwaben und

       Südbayern nach den Ufern des Lech und der Isar zu

       gelangen, von da zum Hochland emporzusteigen und

       vom südlichsten Endpunkt, wie beim Beginn auf Alpenhöhen,

       in die steinernen Meereswogen Österreichs

       hinüber zu grüßen: Auf Wiedersehen! –

       Auf dieser Wanderung nahm ich gern gründliche

       und gediegene Sagensammler zu freundlichen Geleitsmännern,

       deren Namen ich nur zu nennen brauche,

       um der Aufzählung von Büchertiteln überhoben zu

       sein. Voran stehen mit vollem Recht die Brüder J.

       und W. Grimm; es folgen K. Simrock und A. Stöber

       für Rhein und Elsaß, J.W. Wolf für die Niederlande,

       K. Müllenhoff für Schleswig-Holstein und Lauenburg,

       J.W.A.v. Tettau und J.D.H. Temme für Ost-

       und Westpreußen und Litauen, J.D.H. Temme und A.

       Kuhn auch für die Marken. Wo ich selbst am besten

       Bescheid wußte, bedurft' ich keiner Führer. Für

       Baden sorgte treulichst B. Baader, für Schwaben G.

       Schwab, und nach ihm E. Meyer, für Bayern A.

       Schöppner, letzterer nur mit zu vielem Ballast von

       Balladen und Romanzen, die an ihrem Ort wohl erfreuen

       mögen, und auch in ausschließlich metrischen

       Sammlungen, wie die allgemeindeutschen A. Rothnagels,

       H. Günthers, A. Kaufmanns für Franken u.a. gut

       beisammen stehen, aber in Sagensammlungen wie die

       vorliegende nicht gehören. Daß neben den genannten

       noch viele andere Werke benutzt werden mußten, Provinzsagensammlungen,

       Chroniken, Topographien u.

       dgl., versteht sich von selbst. Auch dem vogtländischen

       altertumsforschenden Vereine zu Hohenleuben

       verdanke ich schätzbare Beiträge.

       Keinen einzigen Gewährsmann habe ich geradezu

       abgeschrieben, weder die neuen, noch die alten, denn

       das erachte ich für eine gar geringe Kunst. Kinderleicht

       ist es, ein Buch zu füllen, wenn man wörtlich

       abdrucken läßt, was andere bereits drucken ließen.

       Nur wo ich Sagen in Dialekten in das Hochdeutsche

       zu übertragen hatte, übertrug ich meistens treu, um

       ihre Spitzen nicht abzustumpfen; außerdem habe ich

       jede Sage zu meinem Eigentum gemacht und sie nach

       meiner Eigentümlichkeit wieder neu erzählt; nur aus

       eignen, früher von mir selbst veröffentlichten Sagensammlungen

       nahm ich einzelne wörtlich wieder auf,

       und auch diese nicht ohne Feile.

       Ob ich den rechten Ton traf, wird sich zeigen. Einfachheit

       im Ton der Erzählung ist beim Wiedergeben

       der Sagen unerläßliche Bedingnis; keine novellistische,

       romanhafte Verwässerung, keine blümelnde

       Schreibweise steht der Behandlung der Sagen an, wo

       diese Selbstzweck ist – wohl aber darf der Erzählungston

       wechseln je nach dem Stoff, ja selbst nach der

       Zeit, der dieser Stoff angehört; er darf streng, herb

       und derb, romantisch, lustig, kernhaft, nicht minder

       idyllisch, rührend und erschütternd sein. Der Sagenerzähler

       muß wissen, welche Tonart er anzuschlagen

       habe; eine nach vorgefaßter Meinung bestimmte von

       ihm zu fordern, dazu ist keine Berechtigung vorhanden.

       Über einen Leisten läßt sich nicht alles schlagen.

       Die Sagen können so wenig eines Schriftstiles sein

       wie Häuser und Kirchen eines Baustiles. Das Einerlei

       ermüdet, und leicht wird ein frischer Geist des trockenen

       Tones satt. Viele Sagen sind so durch und durch

       voll Humor, daß ernste Erzählungsweise sie töten

       hieße – darum ward zum öftern die heitere vorgezogen.

       Metrisch bearbeitete Sagen in Prosa aufzulösen

       trug ich die größte Scheu und habe es nur einigemal

       getan; einmal beim alten Tannhäuserlied, dann bei

       Nr. 81, Der wilde Jäger, nach Bürgers Gedicht, weil

       dessen Ursprung ausschließlich in der bezeichneten

       Gegend zu suchen ist, bei Nr. 174, Die Schlacht auf

       dem Tausendteufelsdamme, nach einem Gedicht von

       Th. Fontane, und endlich bei Nr. 966, Eines Vaterunsers

       Wert, nach einem Gedicht von Th. Holscher (bei

       Schöppner), weil mir beide letztere Stoffe ausnehmend

       wohl gefielen, und namentlich auch die poetische

       Behandlung.

       Manche Sage, die ich allzudürftig auffand, konnte

       ich erweitern, aus Kenntnis ihrer Örtlichkeit oder aus

       andern schriftlichen und mündlichen Quellen, manche

       andere mußte ich kürzen und auf das rechte Maß zurückführen.

       Viele Sammlungen,


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