Dr. Patchwork und die Insekten. Gordon Goh
geschlossenen Fingerspitzen in Richtung der bläulich weißen 3D-Projektion und beginnt zu erklären »Meine Damen und Herren! Ich präsentiere Ihnen den Zirkelpanzer. Dieses schwerbewaffnete Einrad ist 17 Stockwerke hoch und die Radbreite beträgt knapp 7 m. Er wird von einem Piloten im Cockpit gesteuert, der sich in der Radmitte befindet. Das Rad umgibt diesen sogenannten Kern mit einem Innendurchmesser von 37 m. Dieser Ring beinhaltet das elektronische Kugellager, das den Zirkelpanzer in Rotation versetzt und so nach vorne zieht. An beiden Seiten des Cockpits befinden sich jeweils vier Plasmakanonen, die dreidimensional in alle Richtungen bewegt werden können. Laterale Stützen können an den Seiten ausgefahren werden, um den Panzer wieder aufzurichten, falls er auf die Seite kippen sollte. Er wurde bis jetzt noch nicht getestet, denn wir bauen gerade den ersten Prototypen fertig. Der Zirkelpanzer könnte es locker mit der Plage und der Matrix aufnehmen. Er könnte in weniger als einem Jahr fertig sein, doch die Materialkosten sind für diese Konstruktion selbstverständlich wesentlich höher als für einen herkömmlichen Lehemoziz.«.
Lehemoziz sind die flugfähigen Amphibienpanzer der Interstellar-Force. Auch diese Dinger halte ich für komplette Geldverschwendung. Würden wir mehr Geld und Arbeit in die Erforschung der einheimischen Lebensformen investieren, könnten wir eine Methode entwickeln, sie ohne viel Aufwand zu unterjochen und vielleicht sogar zu kontrollieren. So sehe ich das. Aber dieses russische Trockenbrot will ja nur demonstrieren, wie viele Tonnen Perlen sie mit ihren Spielzeugen in verbrannte Scheiße verwandeln kann.
Nachdem Belgrad ihren Vortrag beendet hat, entnimmt sie ihren Infrarotchip und lehnt sich in ihren weißen Fieberglasstuhl zurück. Sinclair drückt noch ein herzliches »Dankeschön!« aus und fordert mich mit einer ruhigen Handbewegung zum Vortragen auf und sagt mit sarkastisch höflichem Unterton »Steinberg!«.
Ich löse mich von meiner bequemen Sitzhaltung, um aufzustehen. Eigentlich ist das völlig unnötig, aber ich stehe lieber, wenn ich rede, um den anderen klar zu machen, dass ich über ihnen stehe und die Krümel leise zu sein haben, wenn der Kuchen redet. Ich bin zwar nicht der Chef in dem Laden, aber darauf pfeife ich einfach. Alles was ich erreiche, ist keine Unterwürfigkeit, sondern arrogante Blicke, die ich auf mich ziehe. Aber das ist OK, denn das heißt, die Flaschen haben meine indirekte Botschaft verstanden. Diese Verachtung ist auch nur eine Form der Unterwürfigkeit. Genau das brauche ich, um mich wohl zu fühlen. Nur so habe ich ihre Aufmerksamkeit, die ich brauche, um mit meinem Vortrag zu beginnen. Und jetzt hört mir gut zu, denn was ich gleich sage, ist von größter Wichtigkeit!
»Gabriel, dein Vortrag war scheiße! Kalle war ganz in Ordnung, aber du nicht. Du warst scheiße!« sage ich und richte mein Monoggle zurecht, damit ich besser auf die leeren Protokolle in meinen Händen starren kann, die Ivy mitgeschleppt hat, um so zu tun, als hätte ich etwas Handschriftliches.
Sinclair packt sich genervt an die Stirn und stöhnt »Steinberg, bitte...!«.
»Auch wenn Mr. Voyage der Meinung sein mag, die Matrix als Problem Nummer 1 festzulegen, sehe ich in der Plage wesentlich mehr Gefahr für die Kolonie als auch sehr viel Potential, das wir für unsere eigenen Zwecke nutzen könnten, wenn wir sie mehr erforschen würden.« sage ich, bevor mich Jeremy Needle vorlaut mit folgender Frage durchbohrt »Was genau haben Sie denn herausgefunden, wenn ich fragen darf?«.
Ich antworte, ohne Needle auch nur einen Blick zu würdigen »Obwohl die Proben von der Interstellar Force verkohlt und beinahe komplett nutzlos waren, konnte ich einige DNA-Reste extrahieren und analysieren. Sie besitzen zwar ein Genom, welches der Zusammensetzung unserer DNA gleicht, doch diese tauchen eher als kleine Fragmente im extrazellulärem Raum auf. Diese DNA-Fragmente treten immer im Zusammenhang mit einem Enzym auf, das an den DNA-Fragmenten koppelt, wenn sich diese im extrazellulärem Raum aufhalten. Im intrazellulären Raum existieren diese Enzyme nicht. Diese DNA-Fragmente verhalten sich wie Viren, werden durch das Enzym wie ein Hormon durch den gesamten Organismus oder an bestimmte Stellen im Körper transportiert und dann in bestimmte Zielzellen eingeschleust, um sich dort mit dem zellulärem Genom zu vereinen und dieses zu modifizieren, damit es neue Funktionen und Strukturen ausbilden kann. Auf diese Weise kann der gesamte Organismus noch im selben Lebenszyklus mutieren, um sich seiner Umgebung besser anzupassen. Wir reden von einem „genetischen Chaos“. Ich bin davon überzeugt, dass, egal welche Verteidigungsmittel wir auch entwickeln, die Plage immer einen Weg findet, dieses Hindernis zu umgehen oder zu eliminieren. Es kann keine Endlösung geben. Um die Plage als Bedrohung los zu werden, müssen wir sie erforschen und herausfinden, wie sie funktioniert. Was wir bisher wissen ist, dass die Plage kollektiv denkt. Es gibt ein Nest, aus dem die sogenannten Drohneninsekten ausschwärmen. Und sie mobilisieren die meisten Drohnen dort, wo sie am meisten gebraucht werden. Die einzelnen Insekten haben keine hohe Intelligenz, doch anhand ihres strategischen Vorgehens muss es eine Intelligenz geben, die alles überschaut und koordiniert. Entweder geht ihre Intelligenz von einer Königin aus oder sie ist ein Zusammenspiel aus kollektivem Bewusstsein, verankert in ihrem Genom und gesteuert durch pheromonelle Kommunikation, ähnlich wie bei Ameisen. Wir kennen bereits fünf bekannte Drohnen, die wir wie folgt klassifizieren. Da gibt es einmal die bis zu drei Meter großen Kampfdrohnen mit ihren zwei vorderen Fangarmen und den langen Mandibeln, mit denen sie sogar Edelstahl durchbeißen können. Von denen gibt es die meisten und sie tauchen auch leider meist in viel zu großer Zahl auf. Das Beste wäre, wenn wir denen einfach aus dem Weg gehen. Die sogenannten Orgaschinen sind bis zu zehn Meter hohe fünf- bis neunbeinige Panzerinsekten, die Laser verschießen können. Es wäre sogar möglich, dass es keine Lebewesen sind, sondern von anderen Drohnen gesteuert werden. Auch diesen Drohnen sollten wir aus dem Weg gehen. Die Explosionsdrohnen sind kleine flugfähige Wespen mit einer Sprengladung am Hinterteil, die explodieren, sobald sie ein feindliches Ziel berühren. Die Späher-Drohnen sind ebenfalls flugfähige wespenartige Insekten, die bestimmte Orte auskundschaften und Kampfdrohnen hinschicken, falls diese Orte für die Plage von Interesse sind. Die letzte Gruppe ist ein Mysterium, von denen noch nie lebende Exemplare gefunden oder beobachtet wurden. Wir wissen nur, dass an manchen Außenposten tote Offiziere der Interstellar Force mit aufgeschlitzten Kehlen vorgefunden wurden. Dabei handelt es sich um drei parallel verlaufende Kratzspuren am Hals, die mit Sicherheit, von einem wilden Tier stammen müssen. Ich benötige ein lebendes Exemplar, um die Plage besser zu untersuchen. Entweder sie schicken mir einen Späher oder sie suchen neue Exemplare, die sich nicht wehren können.«.
»Und wo sollen wir so einen Späher finden, Adam?« fragt mich meine eigene Schwester.
»Im Hive!« antworte ich direkt.
»Im Hive? Warum denn dort?« erwidert sie mit Entsetzen und erbosten Augenwinkel.
Ich antworte wieder direkt »Draußen sind nur die Drohnen, die sich wehren können. Die kleinen Schützlinge befinden sich dort, wo Mommy auf sie aufpassen kann.«.
»Du sagst deiner eigenen Schwester, sie soll sich in ein Himmelfahrtskommando stürzen?« fragt mich mein eigener Vater erzürnt.
Ich sehe ihm nicht in die Augen und schweige.
»Mal ganz davon abgesehen, warum sollten wir die Plage erforschen, wenn wir sie einfach vollständig eliminieren können? Ich denke, gegen den Tod können sie sich nicht anpassen.« ergänzt Gabriel.
»Einen Dreck können wir eliminieren, du Holzkopf! Selbst wenn wir sie flächendeckend bombardieren, können wir nie sicher sein, dass wir alles zerstört haben, was militärisch wichtig wäre. Jede Drohne könnte mit ihrem genetischen Chaos die Fähigkeit entwickeln, selbst ein Hive zu gründen.« sage ich als Vorwarnung.
Doch was ich jetzt sage, lässt mir fast ein Grinsen im Gesicht wachsen, was ich mir gerade noch so verkneifen kann.
»Außerdem könnten wir mit diesem genetischen Chaos Erkenntnisse gewinnen, die uns dabei helfen könnten, die dritte Bedrohung zu beseitigen. Ich rede von der Flora.«
Das hat gesessen. Anhand ihres verstörten, aber ehrfürchtigen Gesichtsausdrucks erkenne ich ihre volle Aufmerksamkeit, die sie mir nun schenken. Sogar Sinclair kann sich ein verblüfftes Stottern nicht verkneifen, als er mich fragt »W... W... Wie meinen Sie denn das jetzt?«.
Ich sehe zu seinem bleich gewordenen Gesicht und erkenne, dass er mir eine Frage stellt, auf die er die Antwort eh schon kennt.
Aber