Mann meiner Träume. Nicole Knoblauch

Mann meiner Träume - Nicole Knoblauch


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Gähnend stellte Marie ihr leeres Weinglas ab und stand auf. „Ich glaube, ich geh ins Bett. Wenn ich mich hier so umschaue, haben wir morgen viel zu tun.“

       Annas Blick wanderte durch den Raum. Vor dem großen Bücherregal, das eine ganze Wand des geräumigen Wohnzimmers einnahm, stapelten sich die Bücherkisten. Einige alte Modestiche lehnten an der Wand und warteten darauf aufgehängt zu werden.

       „Das schaffen wir und dann sind wir wieder eine richtige Familie, so wie früher!“

       „Danke, dass du das organisiert hast und ich etwas hatte, wohin ich zurückkommen konnte.“ Marie legte ihre Arme um Anna.

       „Gern geschehen. Du weißt, dass ich schon vor Jahren mit dir zusammenziehen wollte.“ Anna stellte ebenfalls ihr Glas ab und drückte ihre Cousine.

       Marie erwiderte den Druck. „Ich weiß. Jetzt war einfach der richtige Zeitpunkt. Im Februar wäre ich eh hierher gezogen, da ich dann an der neuen Schule anfangen werde.“

       „Meine Cousine die Grundschullehrerin! Wer hätte das gedacht. Und jetzt wohnst du nur knapp tausend Meter von der neuen Schule entfernt. Gut, dass du Stefan los bist! Mit ihm an deiner Seite wäre ich nicht mit dir zusammengezogen. Und du nicht mit mir.“

       „Stimmt.“ Marie löste sich von Anna und stand auf. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Ich glaube, die Napoléonsachen sollten in mein Zimmer. Ich will sie um mich haben.“ Ein verlegenes Lächeln zog über ihr Gesicht. „Außerdem werde ich den Napoléontraum aufschreiben. Das will ich nicht vergessen. Es ist fast ein wenig, als hätte ich ihn echt getroffen.“ Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer und Anna blickte ihr versonnen nach. Das war ganz entschieden die alte Marie!

       7. November (Juli 1789)

       „Ich habe nochmal von ihm geträumt.“ Scheinbar ruhig butterte Marie ihr Brötchen. Zu ruhig, wie Anna fand. Die beiden Frauen saßen am großen Tisch im Wohnzimmer und frühstückten.

       Anna hatte bei Maries Worten ihr Messer sinken lassen und starrte sie mit großen Augen an. „Erzähl!“

       „Ich habe es aufgeschrieben.“ Marie schob Anna ein Notizbuch zu und sie begann gespannt zu lesen.

       Revolution

      Mein Blick fiel auf einen Fluss. Die Seine, dachte ich sofort. Doch die Stadt, die sich ans andere Ufer schmiegte, sah nicht aus wie Paris. Massive Mauern ließen mich an eine Festung denken. Die wenigen Häuser und der einsame Kirchturm dahinter deuteten darauf hin, dass diese Stadt viel kleiner als die französische Hauptstadt war.

      Das Wasser bahnte sich in sanften Biegungen seinen Weg. Wenige Meter vor mir verwandelte sich das grüne Auenufer in einen schmalen Kiesstrand. Hinter mir und über mir spendeten Weiden Schatten gegen die Mittagshitze.

      Eine Straße und eine breite Steinbrücke wenige hundert Meter rechts zogen meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie verschwanden hinter den Stadtmauern. Der schmale Trampelpfad, der den Weidenstrand mit dem Weg in die Stadt verband, zeigte, dass ich nicht die Erste war, die ihn entdeckt hatte.

      Nach wenigen Metern erhaschte ich einen Blick auf Fußgänger, Reiter und Kutschen, die sich scheinbar ungeordnet ihren Weg in die Stadt oder aus ihr heraus suchten.

      Gerade wollte ich aus dem Gestrüpp treten, da hielt mich ein Widerstand zurück. Mein langer Rock und die Schürze, die ich darüber trug, hatten sich in einer Hecke verfangen. Ich zog und zerrte. Gar nicht so einfach, sich in diesen eng geschnürten Miedern zu bewegen. Mit einem lauten Fluchen schaffte ich es, die Kleider von den störrischen Ästchen zu lösen. Ich taumelte leicht und die Haube, die mein Haar bedeckte, rutschte mir ins Gesicht. Diese historischen Sachen mochten ja schön aussehen, aber praktisch war etwas anderes.

      Ich schob alle Kleidungsstücke wieder an ihren Platz und betrat die Straße in Richtung Stadt. Die Menschen, die mir begegneten, trugen einfache Kleidung. Wenn mein Eindruck nicht täuschte, unterschied ich mich äußerlich kaum von den anderen Frauen, die sich ihren Weg zwischen den Fuhrwerken hindurch suchten. Hoffte ich zumindest.

      Um mich herum sprachen alle Französisch. Warum überraschte mich das nicht?

      Sobald ich das Stadttor hinter mir gelassen hatte, verteilten sich die Menschen. Da ich keine Ahnung hatte, wo ich mich befand - oder auf was das alles hinauslaufen sollte - folgte ich einfach der breitesten Straße. Wenn 'Straße' das richtige Wort für diesen mit Schlamm und Unrat bedeckten Kopfsteinpflasterweg war. Kleine Fachwerkhäuser mit schmalen Fenstern drängten sich zu beiden Seiten. Und es stank. Der Geruch von Pferdemist, Tieren, Rauch und menschlichen Ausdünstungen vermischte sich zu einem übelriechenden Dunst, der mir das Atmen schwer machte. Wie hielten die Menschen das aus? Aber niemanden schien der Geruch zu stören.

      Ich kam an einer Gruppe Männer vorbei, die um einen langen, ausgemergelt wirkenden Kerl herumstanden und ihn beglückwünschten. In der einen Hand hielt er einen Hahn ohne Kopf, in der anderen eine kleine Axt, von der Blut tropfte.

      „Das wird den Pfaffen lehren, uns Vorräte vorzuenthalten!“, rief er mit durchdringender Stimme und Jubel schlug ihm entgegen. Das sah nach Ärger aus. Schnellen Schrittes bog ich um die nächste Ecke und sah einen gut gekleideten Herren, der von einer Horde schmuddeliger Kinder verfolgt wurde. Die Kinder trugen Schleudern und Stöcke, mit denen sie wild in Richtung des Mannes fuchtelten. Sie blieben jedoch weit genug entfernt, dass er sie nicht zu fassen bekam. „Dich bekommen wir auch noch, du Fettsack!“, tönten ihre Rufe durch die Straße. Einige der anderen Erwachsenen nickten den Kindern freundlich zu, andere blickten betont desinteressiert in eine andere Richtung.

      Hier würde ein Funke reichen, um einen Aufstand anzuzetteln. Was wohl der Grund war?

      Wenn ich hätte raten müssen, hätte ich getippt, mich im Sommer 1789 zu befinden. Der Beginn der Französischen Revolution: Im ganzen Land brannten Schlösser und Klöster, es wurden Bürgerwehren gebildet, die gegen Adel und Kirche kämpften, raubten und plünderten. Der Sturm der Pariser Bevölkerung auf die Bastille am 14. Juli 1789 hatte ein Feuer entfacht, das sich in Windeseile über ganz Frankreich ausgebreitet hatte. Sollte ich tatsächlich mittendrin sein?

      Das war nicht gut. Die meisten dieser Aufstände endeten blutig. Fieberhaft suchte ich nach einem Anhaltspunkt, was ich hier wollen könnte. Und da sah ich ihn: einen Artilleriesoldaten. Ich erkannte die Uniform. Sie glich der Uniform, in der man Napoléon oft auf Bildern sah: französische Artillerie.

      War ich deshalb hier? Sollte dieser Mann mich zu ihm bringen? Ich sah meine Chance und ergriff sie. Ohne nachzudenken oder einen Plan zu haben, sprach ich ihn an: „Monsieur, könntet Ihr mir bitte verraten, welchen Tag wir heute haben? Ich war lange auf Reisen und befürchte, mir sind die Tage durcheinandergeraten.“ Ich lächelte ihn verlegen an. Bitte, bitte, lass ihn diese Erklärung schlucken.

      „Natürlich, Madame!“, antwortete er mit einer leichten Verbeugung. „Wir haben den 26. Juli.“

      „Welches Jahr?“

      Der Mann kniff misstrauisch die Augen zusammen. Sie leuchteten in einem eigentümlichen Braun und musterten mich eindringlich. Lächelnd hielt ich seinem Blick stand.

      Mit einem kurzen Schulterzucken antwortet er: „1789, Madame.“

      26. Juli '89: wenige Tage nach dem Sturm auf die Bastille. Ich brauchte nicht lange, bis mir einfiel, wo ER zu diesem Zeitpunkt stationiert war: Auxonne. Seit 1788 diente er dort als Artillerieleutnant. War das hier Auxonne? „Würdet Ihr mir freundlicherweise eine weitere Frage beantworten?“

      „Das kommt ganz darauf an.“ Ein unverbindliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

      „Ich suche meinen Bruder, der hier stationiert ist. Vielleicht kennt Ihr ihn. Sein Name ist Napoleone Buonaparte.“

      „Ihr seid eine seiner Schwestern?“ Das Lächeln erstarb.

      „Ihr


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