RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson
eines Sandsturmes. Meine Eltern waren unterwegs, als der Sturm plötzlich losbrach und sie zwischen einigen Felsen Schutz suchten. Diese Pause habe ich genutzt um drei Wochen zu früh das Licht der Welt zu erblicken“, er lächelte verlegen. Er sprach nicht gerne über seine Vergangenheit. Aber er wusste auch, dass bei Clara alle seine Geheimnisse gut verwahrt blieben.
Für sich dachte er, dass es eigenartig war, gerade heute darüber zu sprechen, denn am Vortag war sein 17. Geburtstag gewesen. Clara hatte er dieses Datum allerdings nicht mitgeteilt, sodass sie nichts davon ahnte.
„Ich möchte dich gerne meinem Vater vorstellen“, sagte sie unvermittelt. Rayan dachte, sich verhört zu haben. „Was?! Du spinnst wohl?!“
„Hör zu. Ich will ihnen nur endlich zeigen, mit wem ich meine ganze freie Zeit verbringe. Sie denken schon ich mache verbotene Dinge“, sie grinste spöttisch. „Stell dir vor, mein Vater erwischt uns in flagranti.“
„Aber wir haben noch nie …“ begehrte Rayan auf. Clara grinste weiter „aber wir könnten. Zumindest könnte mein Vater das Denken, wenn er uns so heimlich herumtuscheln sieht.“
„Nein! Und dabei bleibt es!“, machte Rayan seinen Standpunkt klar.
Doch einige Wochen später hatte sie ihn natürlich weichgeklopft.
2014 - In der Wüste nahe Dubai - Eine grausige Entdeckung
Carina war außer sich vor Freude! Endlich waren sie wirklich unterwegs. Die Karawane bewegte sich langsam und behäbig vom Sammelplatz weg in die offene Wüste hinein. Was für ein Glück hatte sie gehabt, dass sie Hatem gefunden hatte. Dies musste einfach Schicksal sein.
Sie war gerade damit beschäftigt, sich an der Schönheit der aufgehenden Sonne über dem Sand zu erfreuen, als sie vor sich Unruhe bemerkte. Die anderen Mitglieder der Karawane schienen auf einmal nervös ihren Trott zu beschleunigen.
Und bald sah sie den Grund: direkt am Wegrand war etwas angebracht worden. Ein Monument? Hier mitten in der Wüste?
Als sie näher kamen, packte sie das Grauen und sie konnte die Nervosität der anderen Reiter verstehen. Das war ein Mensch, der da hing!
Jemand hatte ihn an Holzpfählen befestigt, in circa zwei Meter Höhe, damit jeder der hier vorbei ritt, ihn anschauen musste. Er schien tot zu sein.
Wie er aussah! Sein Körper war blutüberströmt, er war sowohl ausgepeitscht worden, schien aber auch mit einem Messer misshandelt worden zu sein. An einigen Stellen des Körpers schien die Haut eingeschnitten und abgezogen worden zu sein. Aus diesen klaffenden Stellen war das Blut über den ganzen Körper gelaufen.
Carina konnte von Entsetzen gepackt nicht wegblicken und so brannte sich jedes Detail in ihrem Kopf fest. Sie hatte ihr Kamel angehalten, ohne es zu bemerken.
Über dem Mann hing am Holz ein Schild, das eine Inschrift zu tragen schien, die sie jedoch nicht lesen konnte, da sie natürlich in arabischen Schriftzeichen verfasst war.
„Wer tut so etwas?!“, fragte sie halblaut, ohne dass sie sich eine Antwort erwartete.
Als hätte der Mann ihre Worte gehört, hob er auf einmal den Kopf und sah sie flehentlich an. Er versuchte zu sprechen, aber es gelang ihm nicht. Sein Kopf sackte weg, er schien erneut das Bewusstsein verloren zu haben. „Oder gestorben zu sein“, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf.
Der Blick ging ihr durch Mark und Bein und dann lief es ihr auf einmal eiskalt den Rücken hinunter. Sie kannte diesen Mann! Sie hatte ihn am Flughafen gesehen! Aufgrund der Entstellungen hatte sie ihn nicht gleich erkannt und doch wusste sie nun sicher, dass es sich um den Attentäter handelte.
Carina fröstelte trotz der bereits stark zunehmenden Temperatur und sie wandte sich an Hatem, der sein Kamel auf gleiche Höhe mit ihrem gebracht hatte und gerade in ihre Zügel griff, um ihr Kamel zum Weitergehen zu motivieren.
„Oh Gott Hatem! Er lebt noch! Es muss doch jemand etwas tun?!“
Doch Hatem zog mit finsterer Miene und ohne auch nur einen Moment zu zögern ihr Kamel weiter.
„Ihm kann niemand mehr helfen. Halten Sie sich aus Dingen raus, die Sie nichts angehen!“
Die Tränen rannen Carina übers Gesicht.
„Was stand auf dem Schild?“, verlangte sie zu wissen. Als Hatem nicht antwortete, sagte sie noch einmal. „Bitte Hatem, ich muss es wissen!“ Und leise antwortete er: „Nehmt Euch in Acht! So ergeht es allen Feinden des großen Scheichs Suekran al Medina y Nayran.“
Carina stöhnte. „Oh Gott! Das darf nicht wahr sein!“
Der Scheich? Was für ein Monster musste er sein, dass er so etwas zuließ?
Hatem hielt noch immer die Zügel ihres Kamels, als fürchte er, sie könne etwas Unüberlegtes tun.
„Wie lange mag er da schon so hängen?“, fragte sie Hatem mit zitternder Stimme. Er schien ebenfalls erschüttert zu sein.
„Vermutlich bereits seit gestern Morgen. Ich habe Gerüchte gehört, der Attentäter sei noch in der gleichen Nacht aus dem Gefängnis geflohen …“
„Aber warum tut man so etwas Grausames?“
Hatem lachte trocken und ohne jeglichen Humor auf: „Sie haben doch gehört, was auf dem Schild stand. Eine Warnung. Nun wird sich jeder andere überlegen, ob er es wagt, gegen den Scheich vorzugehen.“
Dann fügte er hinzu: „Und nun Miss Carina verstehen Sie, warum ich Ihnen gesagt habe, dass Sie keine Ahnung haben, auf was Sie sich da eingelassen haben. Wir sind hier in der Wüste und die Gesetzte, die Sie zuhause kennengelernt haben, können Sie vergessen. Hier herrscht das Gesetz des Stärkeren. Wer nicht stark genug ist, stirbt. Ganz einfach!“
Und sanfter fuhr er fort: „Jetzt könnten wir noch umkehren. Sind Sie sicher, dass Sie das durchziehen wollen?
Carina gab sich einen Ruck und setzte sich wieder gerade auf ihrem Kamel hin. Sie hob den Kopf und sah Hatem fest an. „Ich bin umso mehr entschlossen!“
So folgten sie weiter dem Trampelpfad der Kamele, die vor ihnen ritten, immer tiefer in die Wüste hinein.
1990 - Rabea Akbar - Der General
Es war Anfang November, als Rayan ziemlich nervös am Haus von General Jack Tanner klingelte. Er stand vor einer Tür aus dunklem Holz, mit goldenem Türgriff und goldener Klingel.
Die Mauern waren frisch weiß getüncht, was den eleganten Eindruck, den das ganze Anwesen machte, noch vertiefte.
Rechter Hand konnte er den Garten hinter dem hohen Zaun und der dahinterliegenden Hecke nur ahnen, aber er hörte einen Brunnen plätschern.
Durch eine Lücke im Zaun war eine Terrasse über die ganze Breite des Hauses zu erspähen, mit gemütlichen Holzmöbeln, die mit bunten Kissen zum Hinsetzen einluden.
Er war zum Mittagessen eingeladen worden. Nachdem er im Camp als „Einheimischer“ normalerweise mit einer gewissen Herablassung behandelt wurde, war ihm dieser Sonderstatus einer Einladung zum Essen beim „Big Boss“ überhaupt nicht recht. Er war sich nicht sicher, wie die Soldaten reagieren würden, wenn sie davon erfuhren.
Außerdem hatte er schon so lange nicht mehr an einem Tisch gegessen. Hierzulande waren überwiegend die niedrigen Tische üblich, an denen man auf dem Boden sitzend aß. Er dankte in Gedanken seiner Großmutter, dass sie darauf bestanden hatte, ihm die Tischmanieren aus Deutschland beizubringen, wenn er sie besuchte. Clara hatte ihm versichert, dass die amerikanischen Tischgewohnheiten ähnlich waren, jedoch nicht ohne dabei spitzbübisch zu grinsen. „Na toll“, hatte er gedacht, „das wird ja eine schöne Blamage.“
Ein Bediensteter des Generals öffnete ihm die Tür, er wurde eingelassen und in den Salon gebracht.
„Da ist er ja, unser ‚Sohn der Wüste‘.“