Das Visum ins Paradies Europa – Sammelband. Dantse Dantse
1973 geboren, während der großen Mais-Erntezeit.“
Er wurde in dem schönen bergigen Land Westkamerun, in der Stadt Banganté geboren. Banganté liegt in der NDE-Region und gehört dem Volk der Bamileké. Er rühmte sich damit, dass er aus dem NDE kam. Der NDE ist die Abkürzung für „Departement des gens Nobles, Dignes et Elegants“ (Land von adeligen Menschen voller Würde und Eleganz). Und so versuchte er sich immer nach außen zu verhalten, zumindest was die Eleganz betraf.
Als er zehn Jahre alt war, wurden seine Eltern beruflich bedingt nach Bafoussam geschickt. Bafoussam ist die Hauptstadt der Bamileké Region. Das Land der roten Erde. In Kamerun ist es so, dass die staatlichen Beamten ständig von Stadt zur Stadt abkommandiert werden, damit ihre Dienste das ganze Volk erreichen. So will das Land die Einheit und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken.
Er hatte sechs Geschwister, zwei Brüder und vier Schwestern und er war der Letztgeborene der Familie. Dementsprechend wurde er sehr verwöhnt. Er war der Chou-Chou (Liebling) der Familie. Er hatte nicht gelernt, durch Anstrengungen etwas zu erreichen. Alles wurde ihm zu Füßen gelegt und er genoss diesen Zustand sehr.
Seine Geschwister, die, bis auf eine Schwester, nach ihrem Abitur in Europa und Amerika studierten, schickten ihm immer die schönsten Kleider, Spielzeuge usw. Deswegen wollten alle in der Stadt - Jungs wie Mädchen - mit ihm befreundet sein. Damals nannte man ihn Chaudgars (Hot Guy).
Eine Schulparty ohne den Chaudgars wäre nichts. Er war das Zentrum des Geschehens in der Stadt.
Jeden Mittwochnachmittag sowie Samstag und Sonntag verbrachten die Jugendlichen ihre Zeit am Sportplatz „La Pelouse“ hinter dem Rathaus von Bafoussam. An diesen Tagen versammelten sich Schüler von verschiedenen Schulen dort und taten so, als ob sie Sport treiben würden. Tatsächlich ging es da mehr um Show, wer hatte die neuesten Schuhe, das neueste Handy, und auch darum, Mädchen anzubaggern.
Hot Guy war immer der Bestangezogenste, er hatte immer etwas Neues dabei und oft auch viele Leckereien aus Europa. Sie wurden ihm von seinen Geschwistern geschickt.
Man hätte erwartet, dass er damit angab. Aber erstaunlicherweise war Johnny nicht arrogant oder hochnäsig. Er war immer gut gelaunt, immer mit einem lächelnden Gesicht. Er brüskierte nie seine Freunde und war sehr hilfsbereit. Er konnte auch gut geben, ohne zu zählen.
Schon damals merkte man, dass er sehr intelligent war. Wenn er sich etwas in seinen Kopf gesetzt hatte, konnte ihn nichts daran hindern, das zu erreichen.
Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen hatte er mehr als genug. Er strahlte schon damals als Schüler eine unwiderstehliche Persönlichkeit aus, obwohl er nicht der hübscheste war.
Die Schule absolvierte er mit Erfolg. Nach seinem Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1 ging er in die Wirtschaftsstadt Douala, um zu studieren.
Ein Jahr später starb sein Vater bei einem mysteriösen Unfall. Alle sprachen von Magie, weil sein Vater Mitglied einer satanistischen Sekte gewesen sein soll. In Afrika stirbt man nicht auf natürliche Weise. Es gibt immer einen Grund, warum man stirbt. Es wurde viel erzählt; zum Beispiel sagte ein Mann, dass der Vater von Johnny sterben musste, weil er kein Opfer, keinen Preis für seinen steilen und schnellen Erfolg geben wollte, obwohl er für diesen Erfolg einen Pakt mit den Geistlichen gemacht hatte. Als Strafe musste er in einem komischen Unfall sterben, um andere Leute in der gleichen Situation abzuschrecken. Der Unfall schien auch tatsächlich seltsam zu sein. Er war unterwegs von Bafoussam nach Douala, auf der schönsten bergigen Landstraße Kameruns, die sich in einer wunderschönen grünen Landschaft zwischen Bergen schlängelt, als er den Autounfall ohne Unfall hatte. Man sah später das Auto mitten auf der Straße stehen, der Motor lief noch und der Mann saß einfach hinter dem Lenkrad, als ob er sich erholte. Er war aber tot. Im Auto war eine Boa zu sehen, die aber auch tot war. So die Erzählung.
Eine Boa? Am helllichten Tag? In einem klimatisierten Auto? Obwohl niemand die Boa gesehen hatte und es keinen Beweis dafür gab, reichte es, um die Fantasie der Menschen zu schüren: „C‘est un sectaire“ (Er ist Mitglied eines Geheimbundes). „Nun verstehen wir, warum er so viel Geld hatte“ und „ja, und alle seine Kinder sind in Europa“ sagten die einen, „oh ja, und sein Bruder, der vor fünf Jahren gestorben ist! Hatte er ihn umgebracht für den ersten Pakt...?“, sagten die anderen. Damit stand fest und es war klar, der Mann war ein sectaire. Er hatte sein Geld mit Blut verdient und war auch genauso gestorben. Ob es wahr war oder nicht, interessierte eigentlich niemanden. Die Menschen interessierte nur die Geschichte.
Als die Gerichtsvollzieher nach dem Tod seines Vaters all sein Hab und Gut konfiszierten, wegen angeblicher hoher Schulden, waren es nicht mehr nur Gerüchte, nein, es war nun mathematische Wahrheit. Dieser Mann gehörte einem magischen Bund an, der den Teufel anbetet. Du bekommst alles, was du willst: Ruhm, Geld, Erfolg..., aber irgendwann musst du es zurückzahlen und all dein Reichtum verschwindet einfach nach deinem Tod, wie es auch gekommen ist.
Solche Menschen sind zwar physisch bzw. körperlich tot, aber sie leben weiter in einer anderen Welt und arbeiten all das ab, was sie auf der Erde bekommen haben. Das ist die Strafe. Auf jeden Fall wird es so in Kamerun erzählt.
So sind in der afrikanischen Kultur und im Glauben die Toten nicht tot. Sie leben weiter. Deswegen ist auch der Kult der Toten sehr wichtig. Sie leben weiter in einer anderen Dimension, aber sie sehen alles, was wir hier machen und man kann sogar mit ihnen in Kontakt treten. Man hört deswegen überall von Geschichten über Leute, die bei einem afrikanischen Geistlichen ihre verstorbenen Verwandten gesehen und mit ihnen geredet haben. So können sie zum Beispiel erfahren, was die Ursache des Todes war.
Diese Geschichte hatte Hot Guy sehr getroffen, weil sie falsch war. Nach dem Tod seines Vaters war auf einmal seine heile, reiche Welt zusammengebrochen. Den Luxus und das schöne Leben konnte er nicht mehr so einfach finanzieren. Seine Geschwister in Europa und Amerika hatten alle nun auch eigene Familien und konnten und wollten sich nicht mehr um ihn kümmern. Aber tapfer hielt er durch.
Die Zeit verging und er war inzwischen 32 Jahre alt. Alt genug, um alleine durch die Welt zu gehen. Inzwischen hieß Hot Guy in Douala nun Johnny Walker. Er beendete mit 27 sein Studium der Philosophie und Psychologie. Aber was konnte er damit in Kamerun anfangen? Als Lehrer arbeiten und dafür ca. 200€ im Monat bekommen? Nein, das war für den einfallsreichen Mann zu wenig. Er lebte deswegen von kleinen Vermittlungsgeschäften und von verheiraten Frauen reicher Männern, die sich sehr gerne junge Männer zum Vergnügen suchten.
Es war sehr erstaunlich, wie Johnny Walker sich der neuen Realität angepasst hatte. Er hatte nie gejammert. Von seiner Würde und Eleganz hatte er nichts, aber auch gar nichts verloren. Er entwickelte Strategien, um zu leben. Andere würden das Überleben nennen, aber Johnny Walker war kein Mensch, der sich anmerken ließ, dass es ihm nicht gut ging. Nein, sein Stolz war dafür zu ausgeprägt.
Er kaufte sich in Second Hand Shops gebrauchte Markenkleidungen aus Europa, die die afrikanischen Märkte überflutet hatten. Diese ließ er in den modernen Reinigungen waschen und danach waren sie wie neu und deswegen sah er immer top gekleidet aus, wie früher.
Die Frauen liebten ihn. Es machten sich Gerüchte breit, dass er im Bett ein Hengst wäre, aber lieb, weich, achtsam. Man sagte, dass er in viele Stundenhotels der Stadt gar nicht mehr hereingelassen wurde, wenn er in Begleitung einer Dame war. Der Grund dafür wären die lauten Lustschreie der Frauen, die nicht nur andere Hotelgäste stören würden, sondern sogar die Nachbarn. So hätte die Polizei mehrmals intervenieren müssen, damit es leiser zuginge. So wurde J.W., ohne es zu wollen, ein Frauenheld in Douala.
Er lebte in einer beschaulichen 3-Zimmerwohnung in einem normalen Viertel im Stadtteil Bonaberi mit Rita und ihren zwei gemeinsamen Kindern.
Er war zwar nicht zufrieden mit seiner neuen Situation, aber er hatte sich damit arrangiert. Er beklagte sich nie. Wenn er Geld hatte, war der Abend hot bis zum letzten Cent. Am Tag danach, mit leeren Taschen, blieb er einfach zu Hause, ohne jemanden zu stören, oder er las Bücher oder verbrachte Zeit bei Wadjo, einem Moslem aus Nordkamerun, der ein kleines Internetcafé betrieb.
So ging J.W. immer gut gelaunt durchs Leben, ob nun