Tahiti. Gerstäcker Friedrich

Tahiti - Gerstäcker Friedrich


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und er benutzte die erste nur einigermaßen passende Gelegenheit, aufzustehen und in den Garten zu gehen. - Aber Sadie war nirgends, weder zu hören noch zu sehen. Die Sonne stieg indessen schon ziemlich hoch, und er warf sich endlich, als er die Gänge unzählige Male auf- und abgelaufen, ermüdet in dem Schatten eines Orangen- und Citronendickichts nieder, von wo aus er, da der Platz erhöht lag, das ruhige Binnenwasser, das die Insel umgab, und die weiter draußen von der Brandung hoch beschäumtcn Riffe deutlich übersehen konnte. Dicht hinter dem kleinen Orangenhain lief die Einfriedigung des Gartens hin, und gleich von diesem ab begannen ziemlich steil die nächsten, mit Guiaven- und Citronenbüschcn bedeckten Hügel emporzusteigen.

      Wohl eine halbe Stunde hatte er so so gelegen, und wilde wunderliche Luftschlösser gebaut mit träumenden Gedanken. - Oh wie reizend lag seine künftige Heimath unter den wehenden Palmen und duftigen Orangenblüthen dieser Wälder - wie schaukelte sein Canoe so still und friedlich auf der klaren herrlichen Fluth, wenn er Abends vom Fischfang heimkehrte - und welch' holdes Bild stand in der niedern Thür der Bambushütte und winkte ihm mit dem wehenden Tuch das fröhliche, herzliche Joranna entgegen - Halt! - das waren /54/ Schritte - dicht hinter den Orangenbäumen den Hügel herab - ein leichter Sprung über den Zaun - er fuhr

      empor, und an ihm vorüber schoß mit flüchtigen Schritten die holde Wirklichkeit seiner schönsten Träume.

      „Ha!" sagte das Mädchen und warf halb scheu, halb erschreckt den Kopf zurück, den die vollen dunkeln Locken heut wild umflatterten. Als sie aber ihren Schützling erblickte, färbte wieder jenes dunkle Roth, das ihrem Antlitz einen so unendlichen Zauber verlieh, die lieblichen Züge der Maid. Rasch auf ihn zutretend, reichte sie ihm freundlich und zutraulich die Hand, die er fest in der seinen hielt, während seine Blicke mit inniger Lust an den ihrigen hingen.

      Es war aber heute ganz wieder das wilde Kind wie an jenem Tage, wo sie wie ein zürnender Geist zwischen Verfolger und Verfolgten getreten. Das lange Gewand von gestern hatte sie abgeworfen, und das Schultertuch verrieth mehr von den üppigen Formen des wunderschönen Mädchens, als es verdeckte. Auch durch die Locken wand sich wieder ein dichter Kranz duftender Blumen mit einem hochgefärbten Farn durchflochten, während zwei große weiße Sternblumen über ihren Ohren staken und die feine Bronzefarbe der Haut nur noch mehr und reizender hervorhoben.

      „Wo bist Du aber nur so lange geblieben, Sadie!" sagte jetzt René mit leisem, fast zärtlichem Vorwurf.

      „Lange geblieben?" lachte das wilde Mädchen - „lange geblieben? hab' ich denn überhaupt kommen wollen? - wunderlicher Mann, wie weißt Du nur, wo ich überall heute Morgen schon gewesen bin - und Deinetwegen noch dazu" - setzte sie mit leichtem Erröthen und halb abgewandtem Gesicht hinzu - „doch komm," fuhr sie rasch fort, als sie mehr fühlte wie sah, daß er etwas darauf erwiedern wolle - „komm, ich habe gute Nachrichten für Dich, und wir wollen indessen ein wenig zu meinem Lieblingsplätzchen auf jenem Hügel gehen."

      „Aber ich habe meine Waffen im Haus gelassen," sagte der junge Mann.

      „Du brauchst sie nicht mehr, wenigstens für den Augen /55/blick nicht," hielt ihn das Mädchen zurück - „unser Häuptling selber hat mir sein Wort gegeben, daß Du unbelästigt auf der Insel bleiben sollst, bis das Schiff wiederkommt und Dich noch einmal zurückfordert - und selbst dann wird er nicht streng mit Dir sein, - wenn sie ihn nicht dazu treiben. Er ist ein guter Mann, und nur erst seit Ihr Weißen uns so viel Sachen herübergebracht habt, ohne die wir nun einmal nicht mehr glauben leben zu können, ist seine Habgier geweckt, und er thut Manches, was er sonst nicht gethan haben würde."

      „Und bist Du meiner wegen heute Morgen schon drüben an der andern Seite der Insel gewesen?" rief René erstaunt, fast erschreckt aus - „Mädchen, da mußt Du ja vor Mitternacht aufgebrochen und die ganze Zeit gewandert sein, durch Dorn und Wildniß, mit den zarten Gliedern."

      „Bah!" lachte das wilde Kind und warf sich mit rascher Kopfbewegung die Locken um die Schläfe, daß die losgeschüttelten Blüthen auf ihre Schultern niederfielen - „ist das der Rede werth? - schon als kleines Mädchen von vier Jahren hab' ich den Weg allein gemacht, und jetzt bin ich fünfzehn. - Aber gestern durft' ich ja doch nicht gehen," setzte sie ernster hinzu - „gestern war Sabbath, und - ich wollte doch auch nicht, daß Du wie ein Gefangener im Hause sitzen bleiben solltest. - Doch wir wollen ja hier nicht stehen bleiben, ich bin müde und will mich setzen - komm," sagte sie und zog ihn nach sich, der Gartenpforte zu, durch die sie gingen und links davon einen kleinen Hügel emporstiegen, wohinaus ein ordentlicher Pfad ausgehauen und geebnet war.

      Es ließ sich kaum ein lieblicheres Plätzchen auf der weiten Gotteswelt denken als das, wohin das schöne Mädchen jetzt den jungen Mann führte. - Drei niedere Palmen, in ihren Kronen fast gleich, überhingen die kleine Stelle, und zwar so, daß die schattigen Blätter, weil nach vorn überneigend, die Sonne auffingen, wenn sie nur wenige Stunden hoch am Himmel stand. - Der Boden war mit einem feinen wohlriechenden Farrn bedeckt; der duftende anei, wie reich mit Blumen geschmückte Büsche bildeten die Rückwand, und mehrere mit Blüthen überstreute und zu gleicher Zeit von /56/ goldenen Früchten fast niedergebeugte Orangenbüsche die Seitenwände, während ein breiter niederer Sitz, mit feingeflochtenen Matten doppelt und dreifach weich überlegt, mit einer von Bambus gezogenen Rücklehne, die weite, freie Aussicht

      auf das blaue Meer und die schäumende Brandung der Riffe gewährte.

      René stand lange in schweigender Bewunderung der reizenden Scene, mit dem schönen Mädchen, das ihn lächelnd betrachtete, an seiner Seite.

      „Nicht wahr, das ist ein lieblicher Platz hier auf der kleinen freundlichen Insel?" - sagte sie endlich leise, als ob sie fürchtete das, was sein Herz in diesem Augenblick fühlte, zu unterbrechen.

      „Oh wunder - wunderschön!" rief René begeistert, ihre Hand ergreifend - „ein Paradies, dem selbst die Engel nicht fehlen."

      „Pfui, Fremder," sagte aber das Mädchen ernst und fast traurig - „Du mußt nicht lästern, während der liebe Gott das Licht seiner Sonne auf Dich niedergießt und die Wunder seiner Welt um Dich her ausgebreitet hat - und Du thust mir auch weh damit, und ich habe Dir doch nichts zu Leide gethan."

      „Sadie!" bat der junge Mann, tief ergriffen non der einfachen, rührenden Natürlichkeit des holden Kindes.

      „Laß nur gut sein," sagte sie aber wieder etwas freundlicher, „und setze Dich hierher - nein, nicht so nahe zu mir - da in die Ecke - so, und nun sollst Du mir eine Frage beantworten."

      Sie sah ihm dabei treuherzig in die Augen, und wenn sie auch nicht duldete, daß er den Arm um sie legte, ließ sie doch ihre Hand in der seinen ruhen.

      „Und was willst Du fragen, Du holdes Lieb?"

      „Zuerst heiß' ich Prudentia, höchstens Sadie, aber nicht anders - doch wie heißt Du eigentlich?"

      „René!"

      „René - das ist ein hübscher kurzer Name und klingt nicht so schwerfällig wie die anderen englischen Worte, René; - das könnte auch der Mitonare im Haus behalten," setzte sie /57/ leise hinzu, und ein schelmisches Lächeln blitzte ihr durch die Augen; es war aber auch im Moment wieder verschwunden.

      „Und was wolltest Du mich fragen, Sadie?"

      Das junge Mädchen wurde in diesem Augenblick recht still und ernsthaft, und sah ihm erst eine ganze Weile forschend, schweigend in die Augen, als ob sie dort lesen wolle, wie es selbst in seinem innersten Herzen beschaffen sei. Dann aber schüttelte sie mit dem Kopf - hatte sie nicht gefunden, was sie suchte, oder war sie über sich selbst böse? - und sagte jetzt, aber noch immer keinen Blick dabei von ihm verwendend:

      „Ist es wahr, René daß Du ein Ferani bist?"

      „Wenn Du, wie ich glaube, Franzose darunter verstehst - ja," erwiderte René, offen, aber auch halb erstaunt über den tiefen Ernst dieser doch gewiß höchst gleichgültigen Frage.

      „Und bist Du ein Christ?" frug das Mädchen ängstlich.

      René konnte ein Lächeln kaum verbergen, er erinnerte sich aber auch zugleich der Fragen des kleinen Mitonares und sagte kopfschüttelnd:

      „Liebes


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