Denk mal!. Helmut H. Schulz
Große Bewegungen werden nicht durch einen Menschen begründet, sondern aus dem Bedürfnis nach Neuentwurf heraus von vielen gestaltet. Hätten sich Winckelmann und Goethe, Männer denen Zentraleuropa so viel verdankt, aufgemacht, das 'Land der Griechen wirklich zu suchen', und nicht nur mit der Seele, sie würden sich nach Asien gewendet haben, denn der Hellenismus verhält sich zur griechischen Kultur wie die Gipswerkstatt zum Atelier. Ändert das etwas an Wesen und Wirkung der Klassik? Aber Asien war natürlich der Hort der Barbarei und der Rohheit, und das, obwohl ausgedehnte Hochkulturen im Osten bestanden haben, noch ehe eine struppige Wölfin aus Mitleid die ausgesetzten Sprösslinge halbtierischer Eltern auf dem capitolinischen Hügel zu säugen anfing.
Die Kirche lässt ihre Großwürdenträger weiter bezweifeln, dass um diese Zeit ein Ägypter so etwas wie eine 'Essener Sekte' gründete, sie vermisst die messianische Formel, nach welcher ein Gottmensch durch das Selbstopfer die Versöhnung zwischen den Menschen und Gott anbahnt. Erstens war Amon-Es Ägypter, er wird nicht alle Geheimnisse Israels erkannt haben, sie waren ihm vielleicht nicht einmal wichtig oder er ließ die messianische Formel einfach weg und wendete seinen Monotheismus ins politische. Dabei kommt freilich das heraus, was der Kardinal die 'soziale Disorganisation' nennt, es kommt heraus, die Basis für einen frühen und rohen Kommunismus. Allein für den Einfall, dass die damals schon recht entwickelte Welt die Schande des Menschenhandels zu überwinden habe, verdient Amon-Es hundert Orden.
Apropos Orden, die Kirche, diese mächtige Organisation hat es für angezeigt gehalten, mir Tugendrose, geweihten Hut und Degen zu überreichen, eine Ehre, die seit Menschengedenken keinem Manne meines Schlages mehr zuteilgeworden ist. Ich habe diese Ehre angenommen, in dem Bewusstsein, kein Atheist zu sein:
Mein Ideal ist der aufgeklärte Marxist auf dem Stuhle Petri.
Es gibt andere Widersprüche in den Rollen, die in der Tat einer Untersuchung wert sind. Meist lösen sie sich jedoch von selbst, zumindest für den, der zu lesen versteht.
3. Wie das Heer den Halys in Lydien die Grenze zu Groß-Persien überschritt und wie mithilfe der Zeugen des Ewigen und Einzigen das Heer gelä
Das hat Karos aus Kilikien miterlebt und niedergeschrieben.
Großer König, der Halys gilt bei allen Völkern als Grenzscheide zwischen den Welten; das Heer musste ihn im Monat Abib bezwingen, Karos sah einen anderthalb Stadien breiten Strom, aber er sah weit und breit weder Furten noch Schiffe. Den Leuten, welche ins Wasser wateten, um dessen Tiefe zu erkunden, reichte es nach wenigen Schritten bis zum Hals; sie mussten wieder umkehren. Der Fluss war zwar nicht reißend, aber seiner bedeutenden Tiefe wegen unpassierbar. Übereinstimmend sagten die landeskundigen Führer aus, dass es auf eine Länge von, wie sie es ausdrückten 'vielen' Pasarangen, nirgendwo eine Furt gebe.
Bei diesem Hindernis zeigte sich Amon-Es nicht gerade als der überlegene Führer eines großen Heeres. Vielmehr ließ er erkennen, wie fremd ihm Schiffe und alle mit der Schifffahrt verbundene Einrichtungen sein mussten. Das ist beinahe undenkbar, falls er wirklich Ägypter ist. Halbe Tage verbrachte er damit, im Zorn auf den ruhig fließenden Halys zu blicken; den Ewigen und Einzigen rief er öffentlich jedoch nicht an. Am Morgen des dritten Tages entschloss er sich zu einer Tat, er opferte einen makellosen schwarzen Stier, erwartend, dass der Flussgott sich gnädig erweisen würde. Nichts geschah. Weder wichen die Fluten vor uns zurück, noch bildeten die Wellen einen festen Weg, oder was sonst der Schändliche erwartet hatte. Der Nachmittag dieses Tages, der doch eine Wende hatte bringen sollen, brachte Sturm und Regen. Beides erregte den Halys, er trat über die Ufer, was zur Folge hatte, dass im Heer geflüstert wurde, die Gottheit zürne dem Amon-Es und habe sein Opfer zurückgewiesen.
Großer König, solche Gerüchte sind, wie du wohl weißt, nicht ungefährlich, und so war es vernünftig, uns um das Zelt des Ägypters zusammenzuziehen. Die Leibwache umlagerte es in dichtem Ring. Da es kalt war, hüllten sich die Soldaten in ihre Pänulen oder in die langen Ziegenhaarmäntel des Landes und schoben die Masken vor die Gesichter.
Karsos trat ins Zelt. Amon-Es wärmte sich die Hände über dem kleinen Feuerbecken und sagte:
"Hast du die Gerüchte gehört? Und weißt du auch, wer dahintersteckt? Simon, der Stumpfnasige. Ich werde mit ihm abrechnen. - Nun Grieche, was hältst du davon? Soll ich den Fluss peitschen lassen? Soll ich ihn mit Feuer verbrennen, da Opfer und Gebet nichts zu nutzen scheinen?"
In seinen Augen las Karsos weder Zweifel noch Furcht, eher kühle Neugier und Unverständnis darüber, dass sich ein Fluss zu widersetzen wagte und wohl auch darüber, dass der Ewige schwieg.
"Herr, hat der Ewige und Einzige keine Macht, dem Fluss zu gebieten? War es nötig, einen Frevel zu begehen, einen Stier zu opfern, ein dem Osiris wie dem Helios heiliges Tier, da wir die Eigenarten des Flussgottes doch nicht kennen?"
Mit einem kurzen und höhnischen Lachen antwortete der Ägypter: "Mitras hat auch den Stier getötet".
"Er war ein Gott."
"Darüber werde ich nachdenken. Was sollen wir tun, über den Fluss zu gelangen?"
"Meiner Ansicht nach ist es unnötig gewesen, die Götter zu erzürnen. Die Unsterblichen lassen ihrer nicht spotten. "
Der Ägypter warf eine Handvoll wohlriechender Holzspäne in das Glutbecken und sagte in fragendem Ton:
"Wir müssen den Fluss umgehen. Was liegt an einigen Tagesmärschen mehr oder weniger."
Karsos sah ein, es wäre besser, dieses Heer rasch nach Sesach zu führen. Da es aber weithin kein Holz gab für den Schiffsbau, auch keine Binsen, so blieb nur ein Ausweg.
"Herr, vielleicht weiß ich einen Weg, das Heer hinüberzubringen."
"Welcher Weg wäre das?"
"Es ist kein Weg, den uns die Götter weisen, es ist der, den Menschen gehen. Sie tun es allerdings nicht ohne sich des Beistands durch die Gottheit zu versichern. Wir haben Tiere, Schafe und Ziegen. Schlachten wir sie und ziehen sie in der Weise ab, bei dem der Balg unversehrt bleibt. Wenn wir die Beinstummel und das Halsstück fest verschließen, so wird die Luft aus dem Balg nicht entweichen können. Verfügen wir über viele solcher Luftschläuche, ähnlich denen der Weinhändler, wird man diese leicht miteinander zu Flößen verbinden können. Auf diese Weise, glaube ich, ist der Fluss nach und nach zu bezwingen."
So wurde der Halys innerhalb zweier Wochen überschritten.
Auf der anderen Seite des Flusses nahm Amon-Es eine neuerliche Musterung und Zählung des Heeres vor. Der Zug besteht jetzt aus rund dreitausend Bewaffneten. Hinzukommen die Dirnen und die Weiber der Krieger, deren Diener und Knaben, die Kleinhändler, die Köche, Handwerker, Viehknechte, die Ärzte, Priester und zuletzt eine gewisse Anzahl Kinder, die entweder schon mit den Eltern kamen oder auf dem Marsche geboren wurden.
Großer König, Karsos berichtet.
Nach dem Übergang fand ein geheimes Treffen zwischen Amon-Es und einigen seiner Satrapen statt, letztere führten dem Heer Pferde zu, aber sie brachten auch große Mengen Geld. An den Beratungen, die einen ganzen Tag dauerten, nahmen nur der schurkische Ägypter und die Würdenträger der umliegenden oder schon durchzogenen Satrapien teil. Großer König, es ist ein offenes Geheimnis, dass sich ein Aufstand anbahnt. Woher sollten die Mittel für das 'heilige Unternehmen' kommen? Versäume es nicht zu rüsten, am Euphrat muss der Gegenschlag geführt werden.
Nach so vielen Marschtagen ist die Stimmung im Heer nicht mehr gut. Die Leute bekommen wochenlang kein Geld, sie leben von ihren zwei Mahlzeiten täglich, die aus einer Handvoll Zwiebeln und Getreide bestehen, die Zahl der Kranken wächst und das Tempo des Marsches ist für das Heer insgesamt mörderisch schnell.
Großer König, Karsos wollte so verstanden werden, dass deine Satrapen den Zug nicht behindern, aber sie sollten ihn auch nicht durch Geldmittel befördern. Jetzt ist Sold ausgegeben worden und eine lange Rast wurde angeordnet. Amon-Es hatte plötzlich keine Eile mehr.