Die Grauen Krieger. S. N. Stone
dass diese beiden Männer nicht von Rom geschickt wurden, denn sie hatten die Loslösung, die Befreiung von der Kirche damals vorbereitet. Aber was hatte Cale hier zu suchen? Wer waren die Opfer dieses bestialischen Mörders?
Als sie den Toilettenraum verließ, stieß sie beinahe mit Caleb zusammen. Er hatte, an die Wand gelehnt, auf sie gewartete und da ließ sie ihrer Wut auf ihn freien Lauf.
„Was soll diese Theater? So ein Mist den, ihr hier erzählt! So ein Quatsch von wegen Rom hat euch geschickt. Wie hast du das angestellt? Was geht hier wirklich vor?“ Sie zitterte vor Zorn.
Seine Stimme war kalt wie Eis, als er ihr antwortete. „Was willst du von mir? Ich habe damit nichts zu tun. Es war nicht meine Entscheidung, weder, dass ich hier herkomme, noch, dass du mit uns arbeitest.“
„Und was ist mit dem Vatikan? Ich denke euer Ziel war es euch von ihnen zu lösen, wen habt ihr manipuliert, damit man euch hier mit offenen Armen aufnimmt?“
„Niemanden, wir sind tatsächlich im Auftrag der Kirche hier.“
„Hat euer Plan also nicht funktioniert? Sind all die Leute umsonst gestorben? Ich hätte dich damals der Polizei ausliefern sollen!“
„Hast du aber nicht und was wir mit der Kirche haben oder nicht geht dich nichts an!“
„Und ob es das tut! Ich weiß nicht was hier gespielt wird, aber ich mache dabei nicht mit. Ich gehe jetzt zu Schmidt und sage, dass er nicht auf meine Hilfe zählen kann.“ Natascha drehte sich um und ging den Flur in Richtung Schmidts Büro.
„Ohne deine Mitarbeit gibt es unsere Hilfe nicht!“, rief er ihr hinterher. Sie reagierte gar nicht, sondern lief weiter.
Wenige Minuten später schloss sie die Tür vom Büro wieder. Der Hauptkommissar hatte bestätigt, was Cale gesagt hatte. Die Mitarbeit der beiden Ermittler des Vatikans war unausweichlich an ihre Beteiligung an diesem Fall als Kontaktperson geknüpft. Würde sie nicht mitmachen, würde man die Herren hier abziehen und die eigenen Untersuchungen alleine weiterführen.
Schmidt hatte sie mit allem Nachdruck gebeten ihre Entscheidung zu überdenken, die Kriminalpolizei war auf die Hilfe der katholischen Kirche angewiesen. Sie fühlte sich hilflos dem Spiel ausgesetzt.
Natascha zog sich eine kalte Cola aus dem Getränkeautomaten in der Kantine und setzte sich abseits an einen Tisch. Sie öffnete die Flasche und trank den eiskalten Inhalt zur Hälfte. Sie sehnte sich nach Tom, der gerade seine Schwester Julia besuchte. Als er gefahren war, war Tascha froh gewesen ein paar Tage nur für sich zu haben. Sie liebte Tom aber mal wieder ganz alleine zu sein, lange zu schlafen, zu lesen und vielleicht endlich die letzten Kartons auszupacken, die nach dem Umzug vor einer halben Ewigkeit immer noch im Schlafzimmer standen, einfach mal die Seele baumeln zu lassen, hatten sie in Hochstimmung versetzt. Obwohl er sie gebeten hatte mit ihm zu kommen, hatte sie es vorgezogen in Berlin zu bleiben. Was würde er sagen, wenn er erfuhr, dass Caleb wieder in ihr Leben getreten war? Er hatte ihn nie gemocht und war für sie da gewesen als Cale sie so verletzt hatte. Es gab nie ein uns, diese Worte schwirrten immer noch in ihrem Kopf herum. Sie hatte Tom nichts erzählt, nur das Caleb sie unsanft abserviert hatte. Hatte nichts von seinem Geheimnis und nichts davon erzählt, dass er kein Mensch war. Sie hatte nichts davon erzählt, dass er ein eiskalter Killer war. Natascha hatte nur erzählt, dass er Schluss gemacht hatte. Was würde er sagen, wenn er erfuhr, dass er mit ihm zusammenarbeiten musste, dass sie mit Caleb zusammenarbeiten musste? Ach wäre er doch nur hier.
Ein Schatten fiel auf den Tisch und sie schaute auf.
„Es wurde eine weitere Leiche gefunden, kommst du mit mir?“ Caleb stand vor ihr, er war blass. „Du siehst grauenvoll aus!“
„Ich habe auch eine grauenvolle Zeit hinter mir. Was ist, wollen wir Nettigkeiten austauschen oder fährst du mit mir zum Tatort?“ Was blieb ihr anderes übrig?
Im Auto schaute Natascha ein paar Mal zu ihm herüber. Es war ihr unangenehm so dicht bei ihm zu sein, unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her. Als sie in die Straße einbogen, in der das Wohnhaus stand, in dem die Leiche gefunden worden war, wimmelte es vor Polizeiwagen und Schaulustigen. Die Beamten hatten Mühe die Leute zurückzuhalten.
Das Haus war Bestandteil eines riesigen Wohnkomplexes, der Anonymität versprach. Hohe, vielstöckige, eng aneinander gebaute Hochhäuser mit kleinen Rasenflächen an den Seiten und Jugendlichen, die bei Einbruch der Nacht auf den kleinen Spielplätzen herumlungerten, die wie Inseln in die Blöcke hineingeworfen waren.
Kaum war der Wagen zum Stehen gekommen, sprang Natascha schon heraus, froh diese unmittelbare Nähe zu Caleb los zu sein. Sie ging auf die Absperrung zu und wurde prompt von einem Polizisten daran gehindert, einen Schritt weiter zu gehen. Plötzlich stand Caleb hinter ihr und reichte dem Beamten ein Stück Papier. Dieser nahm es und studierte es wenige Augenblicke, dann nickte er und erklärte ihnen, wo sie hin mussten.
Natascha und Caleb stiegen die Treppe in den zweiten Stock hinauf, wo sie von einer Beamtin der Kripo in Empfang genommen wurden. Sie stellte sich als Kriminalkommissarin Ulrike Lotze vor und brachte Natascha und Caleb in die Wohnung.
Durch einen kleinen Flur gelangten sie in einen Raum, der nur karg mit einem alten Sofa und einem Tisch eingerichtet war. Die Wände waren weiß und es gab keine Bilder. Schwere, alte Gardinen waren vor den Fenstern zu gezogen und tauchten alles in ein klägliches ungesundes Licht. Ulrike Lotze führte sie weiter in das angrenzende Schlafzimmer. Natascha spürte, dass Caleb ein wenig zurück blieb. Ihr wurde bewusst, dass er ein Empath war und die Gefühle anderer wie seine Eigenen erlebte, was fühlte er hier?
Ein Bild des Grauens tat sich vor ihren Augen auf. Das Schlafzimmer war nur mit einem Doppelbett und einer Kommode eingerichtet. Die Wände waren, wie auch im Wohnraum schmucklos, jedoch nicht mehr einfach nur weiß, sondern über und über mit Blut bespritzt. Kleine und große rote Flecken bildeten ein bizarres Muster, das durch die grellen Lampen der Spurensicherung angestrahlt wurde. In der Mitte lag ein Körper, vor dem ein Mediziner kniete. Es war ein zierlicher Körper, nicht der eines Mannes, sondern der einer Frau. Ihre langen schwarzen Haare waren voll mit Blut und einer nicht definierbaren Masse aus Gewebe und was auch immer. Das Gesicht war zerschlagen. Die Frau war unbekleidet, der Körper geschunden, übersät mit Einstichen und ihrer Weiblichkeit beraubt.
Natascha wurde übel und sie spürte Calebs stoßweise Atem in ihrem Nacken. Er stöhnte leise auf und hielt sich am Türrahmen fest. Sie drehte sich zu ihm um und starrte in sein bleiches Gesicht, in seine Augen, die weit aufgerissen waren und funkelten. Er trat ein paar Schritte zurück und atmete tief ein.
„Ich warte unten“, flüsterte er und ging, bevor sie auch nur etwas erwidern konnte.
Natascha sah ihn auf einem Mauervorsprung sitzen, als sie aus dem Wohnhaus kam. Er zog an einer Zigarette und blickte starr vor sich hin. Sie ging das Stück zu ihm und blieb vor ihm stehen. Obwohl sie sich dagegen wehrte, fühlte sie sich trotz allem von ihm angezogen, die dunklen Haare, die vollen, sinnlichen Lippen, seine feinen Gesichtszüge, die markanten Narben, sein schlanker, muskulöser Körper, die langen Beine, die unglaublichen Augen.
„Was war das denn eben? Ich glaube, du hast schon Schlimmeres gesehen, wahrscheinlich schon selber Schlimmeres getan.“
Er schaute zu ihr hoch und kniff die Augen zum Schutz gegen die Sonne zusammen. „Ich glaube nicht, dass ich so etwas jemals getan habe.“ Er stand auf und trat die Zigarette aus. „Sind wir hier fertig?“, fragte er. Sie nickte und er ging zum Auto, sie folgte ihm. Er startete den Wagen nicht sofort, sondern schaute noch einmal zu dem Haus zurück.
„Was ist los?“ Natascha konnte sich sein Verhalten nicht erklären.
„Nichts!“ Caleb drehte den Schlüssel im Zündschloss um und der Wagen sprang an.
Zurück im Büro verschwand er mit dem anderen in einem Besprechungsraum. Natascha setzte sich an Toms Tisch, schloss kurz die Augen, dann nahm sie ihr Handy und wählte seine Nummer. Er nahm fast sofort ab, so als hätte er auf ihren Anruf gewartet.
„Schatz, schön von dir zu hören, wie geht es dir?“ Toms Stimme