Veilchen-Anthologie Band 1. Andrea Herrmann (Hrsg.)
Spinnweben glitzerten zwischen den Zweigen. Ich trat näher, und der Nebel schien im Kreis zu tanzen.
Nach einer Weile des Schweigens ging im Haus das Licht an, und der Bauer trat durch die Haustür. Ich sprach ihn an und wies ihn auf das Schauspiel hin. Er antwortete, dass dies hier öfter vorkäme. Dann wandte er sich ab, schwang sich auf seinen Traktor und fuhr davon.
Veilchen im Oktober 2006, Ausgabe 15
Karl Farr
Der Mann im Zug
Das ganze Jahr verbrachte er in seiner Wohnung, ging einkaufen, aß und trank und was man sonst noch so macht. Doch heute war der Tag da, an dem er mit der Eisenbahn fahren wollte. Denn einmal im Jahr gönnte er sich dieses Vergnügen.
Er legte seine besten Kleider an: die graue Hose, das weinrot gestreifte Hemd und das blaue Sakko. Darüber zog er den beigen Mantel und band den rosa Schlips um, den er für besondere Gelegenheiten bereithielt.
Um nicht so sehr unter den anderen Menschen aufzufallen, die oft Zug fuhren, kaufte er sich eine Zeitung am Bahnhofskiosk. Immer wieder sah er im Fernsehen Leute Zeitung im Zug lesen, und er wollte nicht als einer gelten, der nur einmal im Jahr mit der Bahn fuhr!
Am Bahnhof angekommen, begab er sich gleich auf den betreffenden Bahnsteig. Er beabsichtigte, den Zug nach Dortmund zu nehmen. Der kam bald und er stieg ein. Er bekam einen Platz gegenüber zwei jungen Männern, die miteinander sprachen. Beide trugen dunkle Hosen und hatten Lederjacken an. Es handelte sich um Bürger ausländischer Herkunft, die sich in einer ihm fremden Sprache unterhielten, die er nicht verstand.
Er wollte die Zeitung lesen, hatte aber in der Eile vergessen, seine Brille mitzunehmen. So las er nur die Überschriften. Das und das ungewohnte Bahnfahren strengte ihn jedoch so sehr an, dass er einnickte und erst kurz vor Bochum wach wurde, als der Zug über einige Weichen fuhr.
Innerlich war er ein wenig wütend, denn vielleicht war ihm etwas entgangen. In früheren Zeiten hatte er interessante Gespräche mit anderen Reisenden geführt!
Die beiden jungen Männer saßen ihm immer noch gegenüber und schienen auch nicht zu beabsichtigten, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Sie schauten eher teilnahmslos vor sich hin. So blickte er wieder in seine Zeitung, die ihm auf die Knie gerutscht war.
Schon bald erreichte der Zug Dortmund Hauptbahnhof. Er stieg aus, um sich noch ein bisschen in der Stadt umzusehen und genug Eindrücke für das anstehende Jahr zu sammeln. Die beiden jungen Männer fuhren weiter.
In ein paar Stunden wollte er wieder zurückkehren und so begab er sich in die Innenstadt. Dort schaute er sich die Schaufenster an. Was es da alles Neues gab; Dinge, von denen er eigentlich nichts verstand. Da gab es Handys, über deren Preise er staunte. Für einen Euro war so ein Ding schon zu haben! Wie machten es die Anbieter nur, für fast nichts ein solches Gerät zu verkaufen, überlegte er. Und dann im Gegensatz dazu die teure Kleidung in den Auslagen!
Er kam an einem Schaufenster mit Fernsehgeräten vorbei. Wie die Geräte heutzutage aussahen, überlegte er. Sie waren flach wie ein Zeichenbrett. Wenn er an seines zu Hause dachte, das war sperrig und klobig. Und er besaß es schon über zwölf Jahre!
Mit diesen Gedanken langte er am Bahnhof an. Er musste noch zehn Minuten warten bis sein Zug kam, denn der hatte Verspätung. So bat er einen anderen Reisenden, ihm einen Becher Kaffee aus dem Automaten herauszulassen. Er kam mit diesen Dingern nicht klar! Er gab dem anderen das passende Geld, der es einwarf und nach seinen Wünschen wählte. Dann hielt er einen Plastikbecher mit dem Getränk in der Hand, welches er schluckweise trank, denn es war sehr heiß. Aber es wärmte bei den kalten Außentemperaturen und tat gut!
Dann fuhr der Zug ein, und er stieg ein. Der Waggon war fast leer. Nur ein paar einzelne Reisende saßen da, und er setzte sich, da so viel Platz war, dazwischen.
Seine Heimreise verlief ohne besondere Vorkommnisse, denn die Leute schwiegen oder telefonierten mit ihren Handys. Er traute sich nicht, ein Gespräch mit ihnen anzufangen, denn sie saßen alle zu weit entfernt. Und sie machten auch nicht den Eindruck, dass sie sich unterhalten wollten.
Aber als er wieder zu Hause war, beschloss er, öfter einmal wegzufahren. Man versäumt so viel, dachte er, und das Leben ist doch so kurz!
Veilchen im Oktober 2007, Ausgabe 19
Karl Farr
Ein weiter Weg
Er war gegangen und gegangen, um aus diesem verfluchten Tal herauszukommen. Immer wieder war er querfeldein marschiert, in der Hoffnung, irgendwo auf eine größere Straße zu stoßen. Flugzeuge zogen Kondensstreifen am Himmel, und Fußgänger kamen ihm entgegen, zuletzt eine Frau in mittleren Jahren. Ein großer Bernhardiner, der frei ohne Leine lief, trottete in ihrer Nähe.
Der Mann hielt auf ein Kraftwerk zu, dessen Schornsteine und Kühltürme in weißen Wasserdampf getaucht waren. Noch war es hell, die Sonne beschien die Landschaft mit ihrem goldenen Licht. Er strebte auf das Kraftwerk zu, aber es wurde einfach nicht größer und kam nicht näher. Erst in der Dunkelheit sollte er es erreichen.
Der Mann durchquerte eine Ortschaft und kam an einem Gasthof vorbei. Er fühlte sich versucht, einfach einzukehren, aber er hatte nur noch wenig Geld in der Tasche, und so unterließ er es.
Jetzt am Samstagabend herrschte eine rege Betriebsamkeit im Ort. Autos fuhren und einige hielten. Leute stiegen aus, und die Autos setzten ihre Fahrt fort. An anderer Stelle starteten welche und fuhren davon. Sicher besuchten die Insassen Verwandte oder Freunde, dachte der Mann.
Er kam an einer Kirche vorbei, und die Glocken läuteten den Sonntag ein. Aber er wollte weiter, weiter in die große Stadt.
Nach Stunden kam er noch einmal in das Dorf, das nun ruhiger war, und ihm wurde bewusst, dass er im Kreis gegangen war. Noch einmal hielt er auf das Kraftwerk zu, welches inzwischen von tausend Lichtern beleuchtet wurde. Irgendwo startete ein Auto.
Endlich erreichte er die Anlage und staunte über deren Ausmaße. Überall leuchteten Lampen und Neonröhren. – Es waren hunderte, tausend. Er bemerkte den Waldweg, der am Werk vorbeiführte. Den beschloss er zu nehmen. Auf halbem Weg machte er in einer Hütte Rast und kam aus dem Wald heraus, als er weiterging.
Er war stundenlang marschiert, die Beine liefen wie von allein. Langsam wurde er müde. Er ging auf einem Fußgängerweg neben einer Straße. Inzwischen hatte er das Werk weit hinter sich gelassen. Da der Autoverkehr ihn nervte, beschloss er, die Straße zu verlassen und sich in die Büsche zu schlagen.
Aber auch hier blieb er nicht lange, da eine Bahnlinie hier entlangführte. Es war sicher gefährlich und auch verboten, hier zu gehen. Das zeigte sich schon allein durch die Güterzüge, die vorbeifuhren.
Bei der nächsten Gelegenheit kletterte er den Hang deshalb wieder hinauf und befand sich auf dem Gehweg einer Straße. Er war in einem Industrieviertel, wie die Werke, die sich um ihn herum befanden, verrieten.
Er war schon wieder eine Weile unterwegs, als ein Jeep neben ihm hielt. Der Fahrer in Zivil machte ihn darauf aufmerksam, dass er sich auf einer nicht öffentlichen Straße befand. Der Mann ließ sich den Weg erklären, verließ die verbotene Straße und wandte sich nun endgültig heimwärts zum nächsten Bahnhof.
Veilchen im April 2008, Ausgabe 21
Karl Farr
Sonntagnachmittag vor dem Café
Es war ein sonniger Märztag in Essen. Im Innenhof des Einkaufszentrums am Porscheplatz fuhren Rolltreppen meistens ohne Passanten zur U-Bahn hinunter oder hinauf. Am Fenster eines Einkaufscenters klebte ein Plakat, das für ein Theaterstück warb. Auf dem Plakat war der Kopf von Karl-Heinz von Hassel zu sehen.
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