Ssabena - Wilde Wege zum Seelenheil. Imme Demos
den Schatz,
nach dem sie auf der Suche gewesen war,
die ganze Zeit über
bei sich getragen hatte.
Erzählungen vom Suchen und Finden
sind so alt wie die Menschheit.
Es hätte die Geschichte eines jeden sein können,
doch in diesem Fall
ist es
Marlisas Geschichte ...
Für die Hoffnung,
die Antwort
und das Licht.
Aufbruch der Schale
Die Sehnsucht nach meinem Ursprung begann im Grunde bereits als Kind. Genauer gesagt am Tag, an dem meine Eltern meine neue Schwester nach Hause holten. Ich war dreieinhalb Jahre alt.
Stolz trug meine Mutter das hellblaue Bündel auf dem Arm die Treppe hoch ins Bad. Auf dem Tischchen über unserer Badewanne zog sie das Baby behutsam aus. Die geröteten Pusteln in seinem Gesicht und auf seinem Körper leuchteten mir entgegen, bevor mich seine braune Hautfarbe erstaunte. Neugierig begutachtete ich das kleine Wesen.
„Mami, wie war das eigentlich, als ich aus deinem Bauch gekommen bin?“
„Du bist nicht aus meinem Bauch gekommen. Dein neues Schwesterchen auch nicht. Ihr seid aus dem Bauch von anderen Frauen gekommen. Und die wollten euch nicht, aber wir wollten euch. Deshalb seid ihr jetzt hier bei uns, bei Papi und mir.“
DONG! Die schwarze Leinwand in meinem Gehirn blitzte auf. Bilder erschienen. Diese erste Erinnerung an mein Dasein auf Erden gab den Startschuss für das Erwachen meines Bewusstseins. Der Film meines Lebens begann.
Zunächst stürzte ich in einen dunklen Abgrund der Entfremdung, voller Fragen, Zweifel und Ängste, für die ich keine Worte fand. Sobald niemand bei mir war, den ich anfassen oder mit dem ich reden konnte, hatte ich Angst. Obwohl meine Eltern abends mit uns beteten und uns lieb in den Schlaf sangen, verbrachte ich die Nächte angsterfüllt. Kaum hatten sie das Zimmer verlassen, zog ich mir die Bettdecke über den Kopf und machte mich so klein ich nur konnte. Meine Angst, entdeckt zu werden, glich eher einer Panik. Um nicht zu ersticken, baute ich mir direkt vor meinen Nasenlöchern einen Lufttunnel nach draußen. Mucksmäuschenstill wagte ich nicht mehr mich zu bewegen, bis ich in Schlaf fiel und beängstigende Träume träumte.
Noch bevor ich in die Schule kam, spürte ich, dass auf dieser Erde etwas falsch läuft, was alle Menschen betraf, selbst die Tiere und die Natur. Nur hatte ich keine Worte dafür und niemanden, der mit mir über solche Dinge sprach. Mich quälte das Gefühl, dass wir Menschen wie Schneeflocken einzeln vom Himmel fallen, ohne uns zu berühren, um am Ende einfach im Erdboden zu versinken. Das soll Leben sein? Gibt es nichts, was uns verbindet? Haben wir, außer nebeneinanderher zu existieren, nichts miteinander zu tun?
Obwohl die meisten ihre elterliche Herkunft kennen, sollte ich noch viele Menschen mit denselben Fragen treffen. Mein inneres Suchen entwickelte sich zu einem starken Trieb, der mich in fast alle Kontinente dieser Erde führte. Ich begab mich in fremde Kulturen, Religionen und Lebensformen, um herauszufinden, welcher Sinn sich hinter unserem Dasein verbirgt und vor allem, ob es ein Ende dieser treibenden, rastlosen Sehnsucht gibt und wir irgendwo einen Frieden finden, der uns erfüllt, und der bleibt!
Ohne mir im Klaren darüber gewesen zu sein, hielt ich Ausschau nach Lehrern, nach Meistern, nach Weisen, nach Antworten.
So nahmen die Dinge ihren Lauf. Gemeinsam mit meiner Adoptivschwester wuchs ich wohl behütet auf. Als Töchter aus gutem Hause mit Schwimmbad im Garten und Limousine vor der Tür spielten wir Golf und verbrachten die Ferien am Strand. Jede Woche kam ein Privatlehrer zum Klavierunterricht. Meine Eltern boten uns die besten Voraussetzungen für eine glückliche Kindheit.
Dennoch schlief ich keine Nacht friedlich. Alpträume machten mir das Leben zur Hölle, gnadenlose Verfolgungsjagden von bösen Menschen. Hatten sie mich gepackt, zerriss der Schock abrupt meinen Schlaf und hallte nach bis zum Morgen. Auch am Tag ebbte der Irrsinn nicht ab. Ich nannte ihn meine Masken-Angst. Hinter jeder Tür, jedem Schrank, jeder Wand drohten Masken hervorzulugen, hinter denen sich bedrohliche Gestalten verbargen, um mir Schreckliches anzutun.
Oft war ich unglücklich und weinte, ohne zu wissen warum. Von niemandem verstanden, fühlte ich mich einsam, nicht dazugehörig. Zeitweilig plagte mich die Vermutung, behindert zu sein und keiner sagt mir die Wahrheit. Alle spielen ein Spiel und tun nur so als ob. Im Geheimen spielte ich auch manchmal – dass meine Familie ein Indianerstamm ist.
Angst haben gehörte zu meinem Leben, mit einer einzigen Ausnahme. Beim Musikmachen blieb sie fern. Dafür passierten andere unerklärliche Dinge. Wenn ich Klavier spielte, begann ich etwas um mich herum zu spüren, das in mir drin war und über mich selbst hinausging, endlos weit. Ich war Teil davon und konnte es gleichzeitig betrachten. Für das bloße Auge nicht erkennbar, sah ich es trotzdem überall fließen, um mich herum, durch mich hindurch, bis ins Universum und zu mir zurück. Die Musik glitzerte darin wie Sonnenstrahlen auf dem Wasser. Je kraftvoller mein Spiel, umso intensiver die Wellen, in denen ich mich wiederfand. Währenddessen saß ich in einer durchlässigen Kugel, nach oben hin geöffnet, wach, präsent, da! Doch kaum war der letzte Ton verklungen, setzten die Ängste wieder ein.
Eines Tages hieß es, mein leiblicher Vater sei Ausländer, ein Sizilianer. Das machte die Sache nicht gerade leichter. Wer oder was bin ich denn nun? Ich fühle mich schon immer zerrissen, ist es deswegen? Ist das bei allen Mischlingskindern so? Sollten wir nicht eher Bindeglieder sein? Wenn ich sowohl die eine Kultur als auch die andere in mir habe, kann keine davon falsch sein, sonst wäre ich zur Hälfte falsch. Demzufolge müssen beide richtig sein. Genau genommen bin ich reicher als die Einrassigen. Auf jeden Fall nahm Sizilien einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen ein.
Gerade volljährig geworden brach ich auf, meiner Seele folgend. Mein bester Freund begleitete mich.
Je südlicher wir fuhren, umso mehr geriet mein Inneres in Aufruhr. Bei Erreichen der Insel erblickte ich den ersten Sizilianer meines Lebens. Mein Gott, er könnte mein Vater sein, der andere mein Bruder, dieser mein Onkel, sie alle könnten meine Verwandten sein.
Aufgeregt bis in die Haarspitzen, brauchte ich mehrere Tage, um mich wieder zu beruhigen. So nah war ich meinen Wurzeln noch nie. Die Sonne, der Wind, das Zelten, die Natur, das Meer, das Licht, die Wärme, all das verkörperte die Verbindung zu meinem Ursprung. Mit jedem Atemzug sog ich diese Schwingungen ein, befüllte meine Zellen, was wirkte wie Balsam auf meine Seele. Nie wieder wollte ich innerhalb fester Wände schlafen.
Nach unserer Rückkehr bezog ich mit meinem Freund gemeinsam eine Wohnung, unser Nest, ein langersehnter Wunsch von mir, denn ich liebte ihn sehr. Ich bestand die schwierige Prüfung an der Hochschule und begann Musik zu studieren. Ich hatte allen Grund stolz und glücklich zu sein.
Dennoch hielten mich meine Ängste weiterhin fest im Griff. Sobald kein Mensch bei mir war, konnte ich mich nicht mehr vom Fleck rühren, blieb erstarrt sitzen, wo man mich allein gelassen hat, unfähig ans Telefon zu gehen oder auf die Toilette. Angst vor Maskenmenschen, die hinter Ecken lauern, vor Schlangen, die unter dem Bett hervorkriechen, vor Dingen, die sich von alleine bewegen, Schritten, die sich nähern, dem Ticken der Uhr, vor meinem eigenen Atem, vor der Stille und davor, dass gleich etwas unbeschreiblich Entsetzliches passiert. Mit all meinem Verstand konnte ich nichts dagegen tun – und ich bin nicht unintelligent.