Schlag auf Schlag. Christoph Wagner

Schlag auf Schlag - Christoph Wagner


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des Tages erstorben. Nur seine hämmernden Schritte hallten durch die neb­lige Nacht.

      *

      Er muss sterben – unbedingt sterben – schweigen muss er für immer –

      doch wer muss sterben? – wer muss schweigen? – wer hat herausgefunden – dass es mich doppelt gibt? – zwei Namen – zwei Personen – die nichts miteinander gemein haben – die sich hassen und die sich niemals begegnen dürfen – einer hat es durchschaut – was niemand durchschauen durfte – der Plan war perfekt – an alles gedacht – Entdeckung unmöglich – wo lag mein Fehler? – verstellt die Stimme am Telefon – ich müsste sie kennen – kommt das von den Russen? – wollen die noch mehr? – das glaube ich nicht – denn sie verdienen fantastisch durch meine schändliche Arbeit – oder haben die einen gefunden, der ihnen noch mehr bringt? – doch wenn nicht die Russen, wer dann? – kenne ich ihn überhaupt? – woher kennt er mich? – wa­rum bestellt er mich an den Brunnen im Schlosspark? – weiß er, was dort geschah? – was mich in den siebenten Himmel erhob – was später den Riss durch mein Ich noch unerträglicher machte? – vielleicht weiß er nur das – aber er will 100.000 – dann weiß er alles – es macht keinen Sinn, ihm das Geld zu geben – denn ich kann ja nicht wissen, ob er nicht immer mehr fordert – ihm zu vertrauen ist Wahnsinn – also gibt es nur eines: er muss ster­ben – unbedingt sterben – schweigen muss er für immer …

      *

      Der Mann durchschritt das Tor zum Schlossgarten. Hie leuchteten die Laternen heller als am Friesenberg, und so konnte er seine Schritte weiter beschleunigen. Der schmale und steile Anstieg durch das tief eingeschnittene Tal zwischen Scheffelter­rasse* und Ostseite des Schlosses führte ihn zwischen großen Bäumen hindurch, die im neblig fahlweißen Licht der Laternen am Wegrand Ge­spenstern glichen. Kurz leuchteten linker Hand im feurigen Orange der Scheinwerfer einige Bögen der Schef­felterrasse schemenhaft auf. Über enge Serpentinen eilte der Mann weiter, während hoch oben die hell erleuchtete Ostfassade des Schlosses mit Glockenturm*, Ottheinrichsbau* und Apotheker­turm* immer deutlicher aus dem Nebel hervortrat. Er ließ genau in dem Augenblick den Nebel unter sich und trat in die klare Nachtluft, als er den ersten Bau des Schlosses er­reichte, den Karlsturm*, der wie von der Faust eines Riesen zer­schlagen sein dunkles Inneres nach außen kehrte und ihm wie der drohende Rachen eines mächtigen Ungeheuers erschien, das gna­denlos alles verschlingt, was sich ihm nähert. Unter dem schwar­zen, sternenübersäten Himmel führte ihn der jetzt schnurgerade Weg weiter an den vollständig restaurierten unteren Befesti­gungsanlagen entlang auf die wuchtige Spitzkasematte zu, vor der sich der Weg nach links wendete und kurz den Blick freigab auf den vor mehr als dreihundert Jahren geborstenen Pulverturm*, einem Mahnmal gleich für alles, was unwiederbringlich zerstört ist. Durch eine letzte, steil ansteigende Biegung des Weges erreichte er die Scheffelterrasse.

      *

      Er muss sterben – unbedingt sterben – schweigen muss er für immer – ich will ihn töten – er hat keine Chance – trifft ihn die Kugel nicht gleich – dann wird ihn der Sender im Koffer verraten – der wird mich zu ihm führen – wohin er auch geht – damit rechnet er nicht – das ist sein Fehler – ich will triumphieren – die heutige Nacht – nur eine Episode – denn ich will weiterkämpfen – gegen Dämonen der Kindheit – ich will sie vernichten – mit ihnen mein dunkles Ich – meine Seele heilen – und trotz meiner heutigen Taten – wird, wie einstmals für Faust, – auch für mich dann der „Chor der Engel“ singen:

      ‚Wer immer strebend sich bemüht,

      *

      Völlig erschöpft durch den Aufstieg spürte der Mann, wie sein Herz raste und ihm bis zum Halse schlug. Er hielt an, drehte sich um und stützte sich mit der rechten Hand auf der steinernen Balustrade der Scheffelterrasse ab. Den Kopf tief gesenkt, at­mete er mit geschlossenen Augen einige Male langsam und tief aus und ein. Allmählich öffneten sich seine Augen wieder und sein Blick fiel auf die im Nebel verschwommenen Lichter der Altstadt und die vor dem schwarzen, sternenbedeckten Nacht­himmel feurig hell erleuchtete Ostfassade des Schlosses. Doch diese grandiose Kulisse erreichte sein Inneres nicht. Mit starrer Miene ging in den Schlosspark hinein. Vor ihm standen weit ausladende, uralte Bäume, deren Blätter sich ganz leicht im kaum spürbaren Wind bewegten. Rauschen von Wasser durchzog die Luft. Es deutete auf das Ziel seines Weges, den Brunnen des Vater Rhein*, den man in der südöstlichen Ecke des Parks mehr ahnen als sehen konnte, da er vom rötlichen Scheinwerferlicht nur matt erleuchtet war.

      Auf diesen richtete sich jetzt sein Blick und blieb auf ihm haften, während er langsam die Scheffelterrasse entlangging. Die Brunnenfigur wurde immer deutlicher, während der Mann an der ersten Wegkreuzung zunächst zögerte und dann nach links einbog. Kurze Zeit später stand er dem Vater Rhein gegenüber. Umringt von den hohen Fontänen des Springbrunnens, blickte die auf Felsbrocken liegende steinerne Figur mit verträumten Augen in unendliche Fernen. Viel musste sie gesehen haben in den fast vierhundert Jahren, die sie hier bewegungslos lag.

      *

      Er muss sterben – unbedingt sterben – schweigen muss er für immer –

      aber – kann ich denn morden? – wird meine Hand nicht zittern, wenn ich die Waffe erhebe? – dann wird er nur höhnisch lachen – und mein Kampf ist für immer verloren – – –

      aber – muss ich denn kämpfen? – ich kann die Waffe auch gegen mich selbst richten – und alle Not hat ein Ende – die Dämonen der Kindheit gebannt – ewiger Friede in meiner Seele –

      aber – wenn ich doch Rechenschaft ablegen muss – was werde ich sagen? – kann denn ein ewiger Richter ermessen, was es bedeutet, für immer Opfer zu sein? – immer wieder zu scheitern – zwanghaft tun zu müssen, was man nicht will? – ich sollte es darauf ankommen lassen – nur eine kleine Bewegung – und es ist alles vorbei …

      *

      Plötzlich war alles still. Die Fontänen des Brunnens schwiegen. Auch das warme rötliche Scheinwerferlicht war er­loschen. Die hell strahlende Schlossfassade war nur noch eine dunkle Silhouette mit gespenstisch leeren Fensterhöhlen. Es blieb das kalte weißliche Licht der Weglaternen. Zwölf Mal durchbrachen die Glockenschläge der Uhr vom Torturm* die mitternächtliche Stille. Das Gesicht des Vater Rhein war asch­fahl geworden. Es schien, als ob er ausgeträumt hätte und ihn hellsichtig Schrecken ergriffe vor dem, was nun geschehen sollte.

      *

      Die Fontänen verstummt – die Scheinwerfer dunkel – es ist jetzt Mitternacht – warum meldet er sich nicht? – ich will es hinter mich bringen – –

      ich darf mich nicht töten – denn ich werde gebraucht – ich muss doch noch denen helfen, die keinen Ausweg mehr sehen – ich muss ihnen zeigen, wo ihre verborgenen Wege liegen – und meine Kinder – Sebastian und Hannes – sie brauchen den Vater – ich muss ihre Unschuld bewahren – wenn der Vater sich tötet – bricht ihre Welt zusammen – dann wird auch offenbar das Tun meines dunklen Ichs – dann sind die Seelen auch dieser Kinder zerstört – und das Spiel beginnt wieder von vorn – das muss ich verhindern – sie muss ich bewahren vor einem Schicksal, das mich selber so quält ...

      *

      Sein Handy klingelte und riss ihn aus seinen Gedanken. Er hörte wieder die verstellte Stimme: „Sie gehen jetzt langsam auf das Portal der Grotte vor Ihnen zu bis zum Absperrgitter und stellen den Aktenkoffer an der linken Seitenwand ab. Dann blei­ben Sie stehen. Behalten Sie das Handy am Ohr und warten Sie auf neue Anweisungen!“


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