Eisblaue Sehnsucht. Ute Dombrowski

Eisblaue Sehnsucht - Ute Dombrowski


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Sie presste sich mit aller Kraft an den Baum, um nicht gesehen zu werden. Es war kein Fünkchen Angst in ihr, nur Aufregung und eine unbeschreibliche Energie, die sie noch nie wahrgenommen hatte.

      Linus sagte laut: „Was willst du hier?“

      „Das gleiche könnte ich dich fragen. Suchst du ein neues Opfer? Suchst du nach ihr?“

      „Opfer? Nach ihr? Wovon redest du?“

      „Das weißt du ganz genau! Ich bin mir sicher, dass die entführten Menschen der letzten Zeit auf euer Konto gehen.“

      Er stand jetzt direkt vor Linus und eisblauer Nebel hüllte beide ein.

      „Lächerlich!“

      Jetzt stieß der Mann Linus vor die Brust, aber er bewegte sich nicht von der Stelle.

      „Du hast sie schon einmal angegriffen. Wage es nicht, ihr nochmal zu nahezukommen.“

      Linus lachte, aber es war ein hässliches Lachen.

      „Du wirst sie nicht retten können. Ich habe gleich geahnt, dass sie zu dir gehört, doch du kannst nicht immer bei ihr sein. Vergiss das nicht! Aber erstmal hole ich mir die Feuerbraut.“

      Der Nebel wurde schwarz, er begann sich wie ein Tornado zu drehen und Kira konnte nichts mehr erkennen. Was passierte hier?

      Eine Minute später war der Spuk vorbei und sie stand allein im Park. Wer war die Frau? Woher kannte Linus den Mann mit den eisblauen Augen?

      Aus der Ferne hörte sie ein Flüstern: „Kira … Kira, geh fort von hier … du bist in Gefahr …“

      Die Stimme wurde eins mit dem Rauschen des Windes und alles schien wie ein irrer Traum. Jetzt dachte sie an das Wort Feuerbraut, die Frau, die Linus sich holen wollte. Sie spürte die Gefahr, die von ihm ausging, aber gleichzeitig hatte sie wieder die Verbindung gefühlt. Verwirrt machte sie sich auf den Heimweg und jetzt war es die Kälte, die sie zittern ließ. Es war zwei Uhr, als sie in ihrer Wohnung stand.

      „Wohin ist die Zeit gegangen? Wer bist du?“

      Sie schaute aus dem Fenster in die schwarze Nacht und ihr Herz klopfte laut. Sie horchte in sich hinein, aber sie hatte keine Angst mehr, seit sie IHN gesehen hatte. Irgendwie wusste sie, dass alles einen tieferen Zusammenhang hatte, den sie unbedingt entschlüsseln musste. Und sie würde Linus morgen suchen und zur Rede stellen. Mariella freut sich bestimmt, dachte sie und ging ins Bett. Entschlossen, das Rätsel zu lösen, schlief sie ein.

      7

      Am nächsten Morgen war Kira sich nicht mehr sicher, ob das Erlebnis im Park real gewesen war. Sie reckte und streckte sich, schlüpfte aus dem Bett und war eine Stunde später auf dem Weg in die Uni. Es war noch früh, aber sie war wach und fühlte sich frisch und voller Elan.

      Die kalte Luft kroch in Kiras Nase und streichelte ihre Wangen, als sie mit raschen Schritten durch den Park lief. Der Dunst, der von ihren Lippen aufstieg, erinnerte sie an den schwarzen und blauen Nebel, der die beiden Männer umgeben hatte. Und ja, es war real gewesen, Kira sah die beiden jetzt wieder vor sich. Ihr hitziges Gespräch hatte sich um eine Frau gedreht. Es klang, als hätte der Mann mit den eisblauen Augen eine Freundin oder Frau, die er beschützen musste. Darum hatte ihr auf dem Rückweg in ihre Wohnung auch das Herz so wehgetan. So würde sie ihn niemals kennenlernen. Und wer war die Feuerbraut, von der Linus gesprochen hatte? Sie würde ihn heute fragen.

      Sie brachte in der Bibliothek ein Buch zurück, gab zwei Stunden dem Porträt von Mariella den letzten Feinschliff und besuchte eine Vorlesung in Kunstgeschichte. Dann fieberte sie dem Treffen mit ihrer Freundin entgegen. Auf dem Flur war ihr niemand Bekanntes begegnet, auch Linus hatte sich nirgends blicken lassen. Gedankenversunken kramte sie in ihrer Tasche und sah auf ihr Handy, als sie aus dem Hörsaal trat. Wie groß war Kiras Schreck, als sie mit jemandem zusammenstieß, dessen Bücherstapel auf den Boden rutschte.

      „Mann, pass doch auf!“, fuhr der junge Mann sie an.

      Als sie aufschaute und eine Entschuldigung stotterte, sah sie in seine Augen, die böse funkelten. Plötzlich schien sich sein Ausdruck zu verändern. Er starrte sie an und war blass geworden.

      „Tut mir leid, dass ich dich angefaucht habe, es war nicht fair. Schließlich bin ich in dich reingelaufen.“

      Seine Stimme berührte Kiras Herz voller Wärme, doch als sie etwas erwidern wollte, raffte er die Bücher zusammen und lief davon. Sie sah ihm nach und zuckte zusammen, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte.

      „Das ist Alexandro, der ist ein bisschen verpeilt, meine Liebe“, hörte sie Linus sagen.

      Sie fuhr herum und erkannte hinter ihm die junge Frau von gestern Nacht.

      „Beeil dich, Linus, die Vorlesung fängt gleich an“, sagte sie unfreundlich.

      „Geh schon vor, Lima, ich komme sofort.“

      Die junge Frau zog die Augenbrauen hoch und ging mit erhobenem Kopf an ihnen vorbei. Linus achtete nicht weiter auf sie. Er hatte seine Hand noch nicht von Kiras Schulter genommen und jetzt schob sie sie weg.

      „Warst du gestern im Park?“, fragte sie und bereute es in der nächsten Sekunde.

      Linus‘ arroganter Blick verfinsterte sich zusehends, aber nur, um im nächsten Moment von ihr weg durch den Flur zu fliegen. Kira drehte sich um und sah Mariella auf sich zukommen. Sie lächelte und wollte Linus stehenlassen, aber die Freundin hatte nur Augen für den gutaussehenden Mann.

      „Kira, endlich habe ich dich gefunden!“, rief sie und umarmte sie überschwänglich. „Aber wer ist denn der nette junge Mann?“

      Linus ging an Kira vorbei, nahm Mariellas Hand und führte sie zu seinen vollen Lippen. Bei der Berührung zuckte Mariella zusammen, konnte ihren Blick aber nicht von Linus abwenden. Es kam Kira vor, als hätte er sie in eine Art Bann gezogen.

      „Ich bin Linus Karelios und studiere hier Mathematik. Und wer bist du schönes Wesen?“

      „Mariella Wörks, ich bin Tierarzthelferin aus Überzeugung.“

      Sie sahen sich so tief in die Augen, dass Kira sich räusperte.

      „Können wir los?“

      „Wohin?“, fragte Mariella und schüttelte sich.

      „Falls du dich nicht mehr erinnerst“, erwiderte Kira lachend, „ich bin Kira, deine Freundin, du bist hier, um mich abzuholen, denn du hast heute frei. Wir wollten in die Stadt gehen.“

      „Aber Linus kann doch mitkommen!“

      Der Student hob abwehrend die Hände.

      „Nein, ich muss noch in die Vorlesung und wenn ich nicht sofort losgehe, ist die Tür zu.“

      Er griff in die Innentasche seiner Jacke und holte eine Visitenkarte heraus, die er Mariella überreichte.

      „Ruf mich an!“

      Damit ging er an ihnen vorbei und verschwand hinter einer hohen Tür. Kira sah Mariella, die wie hypnotisiert schien, an und lachte. Dann hakte sie sich bei ihr ein und zog sie hinter sich her. Vor der Tür atmete Mariella auf und riss sich los.

      „Oh, ich bin verliebt! Ich kann dir gar nicht sagen, was ich gerade fühle. Ich will diesen Mann! Er ist so … so … so besonders. Und hast du seine Augen gesehen? Grün wie Smaragde. Die Haare golden und die Haut ohne Makel.“

      „Jetzt komm mal wieder runter. Das ist nur sein Äußeres, der schöne Schein. Du kennst ihn doch gar nicht. Seit wann bist du so oberflächlich?“

      „Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?“

      „Nein.“

      Kiras Herz machte einen kleinen Sprung, denn sie musste sich eingestehen, dass sie sehr wohl daran glaubte. Sollte sie Mariella von gestern Nacht erzählen? Lieber nicht, denn wenn sie wirklich in Linus verliebt war, würde das kompliziert werden. Aus irgendeinem Grund


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