Palmer :Black Notice. Stephan Lake
„Sie ticken nicht richtig, Agent“, sagte Palmer, die Worte fast nicht zu hören im tosenden Beifall hinter ihm.
Er drehte sich um und beobachtete die Band, die gerade ihr letztes Stück für den Abend gespielt hatte, er hatte es nicht gekannt. Vielleicht doch Jazz. Die Vier kündigten ihren nächsten Auftritt an, irgendeine Bar in irgendeinem Ort in New Mexico, stellten die Instrumente zur Seite, stiegen ungelenk von der Bühne und setzten sich schwerfällig an die Theke, wo bereits ihre Drinks warteten.
Einige der Gäste hatten wohl genug und standen auf, andere blieben sitzen, die Gläser noch voll oder noch nicht alles gesagt. Die Instrumente standen einsam auf der Bühne. Palmer spürte Azones Blick in seinem Rücken.
Gegeben die Umstände, war jeder Mensch zu allem fähig. Davon war er überzeugt. Aber Li ein Terrorist?
Er drehte sich zurück zu ihr. „Verbindungen zu Jemaah Islamiyah und Abu Sayyaf? Das sind Terrorgruppen, die dem Rest der Welt den Islam aufzwingen wollen“, sagte er.
„Richtig.“
Li war ein intelligenter, aufgeklärter Mensch und ein Fan des Westens. Viele seiner Freunde waren Deutsche, Briten, Franzosen, Amerikaner. Li und Kontakte zu terroristischen Gruppen? Absurd.
Ihr Westernkostüm kam ihm jetzt noch lächerlicher vor.
„Woher wollen Sie wissen, dass Li Kontakte zu diesen Gruppen hat? Welche Beweise haben Sie dafür?“
„Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen kann, Palmer.“
„Und wie haben Sie die Verbindung zwischen Li und mir entdeckt?
„Ich habe Ihnen gesagt, ich weiß, dass Mark und seine Frau Sie nach dem Tod Ihrer Eltern aufgenommen haben.“
„Ja, aber wie haben Sie das erfahren? Wie bin ich auf Ihren Radar gekommen? Und woher glauben Sie zu wissen, dass ich fähig sein könnte Li zu finden? Und wie haben Sie mich gefunden?“
„Hören Sie mit Ihren Fragen auf, Palmer. Ich würde gerne, glauben Sie mir, aber ich kann Ihnen das wirklich nicht sagen. Ich darf nicht. Gehen Sie davon aus, dass wir alles herausfinden können, denn wir haben ganz erhebliche Ressourcen. Darauf haben Sie vorhin selbst hingewiesen. Außerdem spielt es auch keine Rolle, woher wir unser Wissen haben. Sie müssen uns helfen, Li zu finden und von seinem Vorhaben abzuhalten. Sie haben die einmalige Chance, Ihrem Land einen großen Dienst zu erweisen, Palmer.“
Er schüttelte den Kopf. „Sie geben mir keine Antworten, Agent Azone.“
„Wenn ich Ihnen antworte, verliere ich meinen Job, so einfach ist das. Und ich“, sie suchte in ihrer Tasche, „mag meinen Job.“
Er sagte, „Was genau ist denn Ihr Job? Zu welcher der zahlreichen Behörden von Homeland Security gehören Sie denn? Border Patrol? Secret Service?“
„National Protection and Programs Directorate“, sagte sie, zog eine Zigarette hervor und steckte sie zwischen die Lippen. „Haben Sie Feuer?“
Keine Handfesseln.
Er schüttelte den Kopf.
Sie suchte wieder in ihrer Tasche, fand ein Feuerzeug, zündete die Zigarette an und nahm einen schnellen, tiefen Zug. „Office of Infrastructure Protection“, sagte sie und blies den Rauch an ihm vorbei.
Nicht Border Patrol. Pelosi war kein Kollege von ihr. Deshalb wusste sie nichts von New York.
„Office of Infrastructure Protection“, sagte er. „Ihr seid für die Sicherheit von öffentlichen Gebäuden zuständig.“
Sie nickte.
„Behaupten Sie jetzt, Li will ein Gebäude in die Luft sprengen? Hier in den Staaten?“
„So etwas in der Art, ja.“
„Etwas in der Art? Was heißt das denn?“
„Auch das kann ich Ihnen nicht sagen, Palmer. Aber glauben Sie mir, wir müssen Li finden. Sie müssen Li finden. Fliegen Sie nach Singapur oder nach Bangkok, Jakarta, wo auch immer er Ihrer Meinung nach sein könnte. Und suchen Sie ihn. Wir zahlen, Erste-Klasse-Flug und alles. Und ein gutes Handgeld. Und wenn Sie ihn gefunden haben, sind wir großzügig. Sie werden eine ganze Weile nicht arbeiten müssen. Und Sie können in Ruhe Ihr Leben weiterleben.“
Sie beugte sich nach vorne – ihre Bluse sprang noch ein Stück weiter auf – und sagte, „Hier in den Staaten gilt derzeit Warnstufe gelb, Palmer. Sie wissen, was das heißt. Es besteht nur eine mittelmäßige Gefahr eines terroristischen Angriffs auf amerikanischem Boden. Die Warnstufe könnte aber auf orange angehoben werden. Und Sie wissen auch, was das heißt. Mehr und schärfere Kontrollen an den Grenzen, auf Flughäfen, Bahnhöfen, Busbahnhöfen, auf Highways. In öffentlichen Gebäuden. Verstärkter Personenschutz für hochrangige Politiker, Verdoppelung der Bereitschaftskräfte bei Army und Navy. Das ganze Land wird in Aufruhr sein. Jeder, der eine Uniform zuhause im Schrank hat, wird auf Terroristenjagd geschickt. Das sind Tausende von Überstunden, Millionen Dollar Mehrkosten. Ganz alleine wegen Mark Li.“
„Mich interessieren Ihre Überstunden und Ihre Kosten nicht. Sagen Sie mir lieber, warum ich nach Singapur fliegen sollte.“
Wieder blies sie den Rauch an ihm vorbei. „Weil Li dort lebt. Wie Sie sehr wohl wissen. Und weil wir ihn dort zuletzt gesehen haben, wie ich vorhin sagte. Und weil dementsprechend dort Ihre Suche beginnen sollte. Denke ich.“
Wie sie an der Zigarette zog, hektisch, den Rauch fiel zu schnell wieder ausstoßend. Sie war eine Gelegenheitsraucherin, dachte Palmer. Rauchte, wenn sie nervös war, unter Druck stand.
Er sah Danny auf ihren Tisch zu kommen, ein freundliches Lächeln im Gesicht. „Tut mir leid, Honey, aber Sie dürfen hier nicht rauchen. So ist das Gesetz. Leider. Ich persönlich hätte ja nichts dagegen, ich finde, der Staat sollte sich aus solchen Dingen heraushalten. Aber das tut er nicht. Sie können aber nach draußen auf die Veranda gehen, das machen hier alle Raucher. Ich auch.“
„Ich bin das Gesetz“, sagte Azone.
„Nicht hier in meiner Bar“, sagte Danny und zeigte auf die Zigarette in Azones Hand. „Ich kann sie mitnehmen und für Sie ausmachen.“
Azone nickte und hielt ihr den Stängel hin. „Danke.“
Danny ging, die glimmende Zigarette in der Hand.
„Warum sind Sie nervös, Agent?“, sagte er.
„Ich bin nicht nervös. Wie kommen Sie darauf?“
„Nur so“, sagte er. „Wie auch immer, ich kann auch ohne Ihre Zustimmung in Ruhe mein Leben weiterleben.“
Azone sagte, „Mark Li ist eine große Gefahr. Und Sie sind der einzige, der ihn finden und ihm vielleicht auch das Leben retten kann.“
„Und wieso das Leben retten?“
„Weil Sie Li nicht töten werden, wenn Sie ihn finden, Palmer. Da bin ich mir sicher. Aber von unseren Leuten kann ich das nicht behaupten. Unsere Leute haben den Auftrag, Li zu ergreifen. Oder, falls das nicht möglich ist, ihn zu eliminieren.“
Palmer nickte. Ihre Sprache, Körperhaltung, ihr Gesichtsausdruck – sie meinte es ernst. Sie mochte frustriert sein wegen ihres blöden Westernkostüms und weil er nicht so reagierte, wie sie es wohl gehofft hatte, aber sie meinte es ernst. Was sie sagte, war im Kern wohl wahr. Li war in Gefahr. Warum und wie genau die Gefahr aussah, war ihm aber noch ein Rätsel. Aber er war sicher, dass es mit Terrorismus nichts zu tun hatte.
Palmer schaute wieder hinter sich in den Raum. Die Instrumente standen immer noch auf der Bühne, die Musiker saßen immer noch an der Theke, frische Drinks vor sich. Die meisten Besucher waren mittlerweile gegangen. Keiner konnte hören, was sie sprachen.
Er drehte sich zu ihr zurück. „Dann lassen Sie mich mal zusammenfassen, Agent. Ich soll für Sie Mark Li finden und dafür nach Singapur fliegen oder nach Bangkok oder Jakarta oder wo immer er sich gerade versteckt. Ihre Behörde