Victoria. Helmut H. Schulz

Victoria - Helmut H. Schulz


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sollte ein Mehrfaches der Ankaufsumme verschlingen. Das Paar verliebte sich aber in die Landschaft und in die See. Überdies war London per Fähre und ab der Eisenbahnstation Southampton leicht und schnell zu erreichen. Diese Mitteilungen wären ohne allen Wert, würde sich mit dem späteren Schloss nicht vielerlei verbinden, Politisches wie Privates. Hier schlug die Queen einen ihrer Alterssitze auf, und wer sie besuchen wollte, musste entweder nach Balmoral oder auf die Insel Wight, immer zu den passenden Jahreszeiten. Auf Balmoral in Schottland kommen wir gleich. Mister Willy zumal hielt sich als Kind, wie als Heranwachsender aus besonderen Gründen in Osborne House auf, er verstand es sogar seine Großmutter durch Unpünktlichkeit und Ungezogenheit zu verärgern, und er frönte dem Segelsport seines Onkels Eduard, dessen Name sich mit Cowes auf Wight eng verbinden sollte. Der Prinzgemahl, der alle Entwürfe für den Umbau des Hauses selbst gemacht haben soll, pflanzte seinen deutschen Geschmack mit ein. Man befand sich überhaupt in einer Gesellschaft von Ästheten; auch Augusta ließ sich bei den Neubauten ihrer Häuser wie bei der Innendekoration durch englische Vorbilder mit inspirieren und studierte die Zeichnungen, nach denen in England gebaut, vielmehr umgebaut wurde, wie sich Albert der kontinentalen Architektur annahm.

      Wir befinden uns im Zeitalter der Schwärmerei für das Mittelalter; in Deutschland wurden in Renaissance-Schlösser romanische Kirchen eingebaut und zur Unterhaltung genutzt, wie etwa in Babelsberg. Gotisches Schmuckwerk kam reichlich, überreichlich auf. In England hatte sich die Gotik im Tudor-Stil eine eigene Gestalt gegeben. Es handelt sich also um eine deutsch-englische Schwärmerei, an der vielleicht Albert den höheren Anteil gehabt hat. Augusta hinterließ wie gesagt den Preußen in Babelsberg das Schloss solchen Stiles und den achteckigen Turm nach englischem Geschmack, beziehungsweise ohne jeden Geschmack. Osborne aber war für Victoria reine und friedvolle Natur, war endlich die Freiheit und Ungezwungenheit, die sie einst erträumt hatte; hier konnte sie zum ersten Mal in ihrem Leben in der offenen See baden, was damals für eine Kühnheit und einen Luxus ohnegleichen erachtet wurde. Den Kindern - als der Umbau endlich abgeschlossen war, hatten sich einige weitere eingestellt - wurde an Ungebundenheit mehr geboten, als sie sonst in Buckingham und Windsor bekommen hätten. Vater Albert ließ sogar ein Fertighaus vom Festland importieren, das Schweizerhaus hieß. Fertighäuser sind also auch nichts ganz Neues.

      Vom Grundstück aus führte eine Treppe bis hinunter ins Meer; und vermittels einer der aufgekommenen Badekabinen konnten sich alle aus- und umziehen, ungestört und unbeobachtet baden und schwimmen. Schwimmen weniger; die Queen wenigstens hat es nicht mehr gelernt, badete aber sehr gern, was schon merkwürdig genug ist. Für die Kinder muss Osborne ein Paradies gewesen sein. Was die kleine Vicky nicht wissen konnte, wissen wir, und weil es nicht ohne Bedeutung für ihr späteres königliches Dasein ist, beschäftigen wir uns ein klein wenig mit den anstehenden Fragen englischer Innenpolitik.

      Dass Regierung und Parlament mit höchster Aufmerksamkeit über die Wahrung ihrer Rechte gegenüber der Krone wachten, ist bei einem Ausländer an der Seite der amtierenden Monarchin verständlich. Jahrhundertelang ging es bei den inneren Kämpfen des Inselstaates darum, wie viele Rechte der Krone, wie viele dem Parlament, wie viel der Regierung zugeteilt werden sollten. Dass der angeheiratete Prinz Albert sich an die Verhältnisse anzupassen versuchte, ohne eine Änderung seiner Rolle anzustreben, wurde von den misstrauischen Politikern bald erkannt und auch anerkannt. Politische Rechte hatte Albert vorerst nicht, einen Titel aber besaß er, er war offiziell Herzog. Dieser Prinzgemahl wusste in den Jahren nach der Geburt seiner ersten Tochter aus dem Mangel an Titel und Macht einen großen Vorteil zu ziehen, war er doch von keiner Gewalt, von keiner Partei abhängig. Bei einer drohenden Staatskrise 1841, dem Wechsel in der Macht von Melbourne auf Peel, erwarteten Tories und Whigs einen Zusammenstoß zwischen der Queen und der Administration. Melbourne war der enge Vertraute Victorias gewesen. Mit Peel wollte sie nicht zusammenarbeiten. Albert hatte dem Land einen Regierungskonflikt offenbar zu ersparen gewusst, indem er mäßigend auf die reizbare Queen einwirkte, die sich oft genug starrköpfig benahm. So wenigstens sahen es die englischen Politiker; und der Prinzgemahl wäre auch durchaus in der Lage gewesen, ihre Geschäftsgänge durcheinander zu bringen. Was für diesen Deutschen sprach, er war vernünftigem Rat zugänglich, den Stockmar jederzeit freigiebig aus dem Ärmel zog. Victoria war eine Whig, die neue Regierung bestand aus Tories. Ganz rein lassen sich die Parteilinien aber nicht darstellen; auch Lord Melbourne, Peels Vorgänger, war ein Whig, dessen Sozialpolitik allerdings einige Züge der Tories besessen oder angenommen hatte. Dennoch betrieb Melbourne andererseits eine harte Arbeiterpolitik; einige der berüchtigtsten Urteile, die an rebellierenden Proletariern vollstreckt wurden, hat er zu verantworten. Mit Peel vollzog sich also, an den damaligen Umständen gemessen, eine Wende zu den fortschrittlicheren Tories. Man wird sich den Zug zu pragmatischen Entscheidungen, wie ihn die beiden klassischen Parteien praktiziert haben, gut merken müssen, will man nicht zu Fehleinschätzungen kommen: Weder Tories noch Whigs ließen sich durch Grundsätze behindern.

      Die Queen stand ursprünglich und zu dem fraglichen Zeitpunkt 1841 noch ganz im Banne der Whigs, und so wäre ein Konflikt zwischen Krone und Regierung zumindest nicht völlig auszuschließen gewesen. Peel hat in dieser Lage gern seine Dienste angeboten, wie auch später, als Balmoral, das nächste Schloss, angemietet wurde. Balmoral liegt in Schottland, und es durfte als eine wahre Sensation gelten, dass sich Queen Victoria dieses Nest als zweiten Landsitz erwählte; denn die Beziehungen zwischen den schottischen Engländern und den englischen Schotten sind bis heute nicht die besten. Auch ist die Idee des Los-von-England unter schottischen Clan-Chefs nie ganz erloschen. I’m english, not british, musste sich der Kolporteur dieser Geschichte einer deutschen Kaiserin englischer Abstammung von einem jungen Londoner Gentleman noch 1992 sagen lassen, als er es diesem besonders recht machen wollte und ihn als Briten bezeichnete. 1848 mieteten Albert und Victoria das geräumige Haus Balmoral im schottischen Hochland auf vier Jahre; daraus sind mittlerweile beinahe 150 geworden. Jahr für Jahr schleppte sich der kleine Hofstaat und die Regierung stöhnend hinauf in das windige und dem verweichlichten Gentleman feindliche Gebirge, bevölkert von katholischen Schotten, die von ihren urwüchsigen Clanshäuptlingen geführt wurden, um dieses oder jenes mit der Königin oder dem König zu besprechen. Bedeutete für die reinen und wahren Engländer diese Ortswahl der Queen einen sanften Schock, so fanden es die Schotten selbst recht sonderbar, die Queen, den Prinzgemahl und schließlich die heranwachsenden Kinder des Paares im ländlichen Stil durch Schottland wandeln zu sehen, aber als gute Untertanen fanden sie sich damit ab, und fanden Gefallen an der kleinen dicken Dame mit dem Strohhut auf dem Kopf.

      Aus dem Jahre 1849, nämlich im September, als es die Witterung noch erlaubte, sich im freien aufzuhalten, stammt ein Bericht von Greville, einem Kabinettsekretär, über das, was er in Balmoral vorfand. Im ganzen Königreich wütete nämlich die Cholera, und die Regierung hatte es sich in den Kopf gesetzt, dem Mangel an Hygiene durch ein erhöhtes Maß an Gebet zu ersetzen, durch Edikt. Landauf, landab, musste also mehr gebetet werden. Dazu sollte die Queen ihren Segen erteilen. Greville beschreibt die Szene, die er vorfand so: Der Ort ist sehr hübsch, das Haus sehr klein. Sie leben ohne Aufwand, nicht nur als Privatleute, sondern als sehr einfache Privatleute, kleines Haus, kleine Räume, kleine Gesellschaft. Nirgendwo Soldaten, und die gesamte Garde des Souveräns und der königlichen Familie besteht aus einem einzigen Polizisten, der auf dem Gelände umherwandert. Und also nichts zu tun hatte. Aber auch Victoria hatte nichts zu tun, denn es war eines ihrer wenigen schwangerschaftsfreien Jahre. Dass Queen Victoria sich in Schottland frei, ohne besonderen Personenschutz bewegte, nimmt nicht Wunder; wahrscheinlich eignen sich Könige und Königinnen überhaupt mehr für bäuerlich-ständische Gesellschaften, aus denen sie ja auch hervorgegangen sind, als für moderne urbane Zentren. Victoria jedenfalls wandelte in Balmoral von Hof zu Hof, schwatzte mit Bäuerinnen, wenigstens der Überlieferung nach, weil wir keine Bäuerin mehr fragen können, mit der sie sich über Kinder und Hühner unterhalten haben soll. Ansonsten aber waren die Jahre 1848 und 1849 durchaus nicht sorgenfrei. Victoria war 1849 seit rund elf Jahren Königin. Der Royal Princess Victoria, 1840, waren 1841 Sohn Bertie, 1843 die zweite Tochter Alice und 1844 der Sohn Alfred gefolgt. 1846 erblickte Tochter Helena das Licht der Welt und 1848 kam noch ein Mädchen an, Tochter Louise, als das vorerst letzte Kind. Was sonst passierte, ist noch weniger erfreulich; von 1840 bis 1849 waren auf Victoria vier Attentate verübt worden, alle ohne Resultat, was zum Gottvertrauen der Queen nicht wenig beigetragen haben mag. Abgesehen von der Seuchenkatastrophe 1849 hatte das United Kingdom


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