Fälschung. Ole R. Börgdahl
die von äußeren Belastungen herrühren. Es gibt den Girlandensprung, der schon mit der Aufspannung der Leinwand im späteren Bild verankert ist.«
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, unterbrach ihn Heinz Kühler. »Was ist mit den sogenannten künstlichen Craquelés, den gefälschten Craquelésformen?«
»Gut, sehr gut«, antwortete Claudius Brahm. »Also ich will sagen, Ihr Labor sollte besonders auf die Craquelés achten. Sie sollten nach Aufzeichnungen, Aufmalungen oder sogar nach Einritzungen schauen. Bei unserem Objekt hier können Sie sehr schön erkennen, dass die Craquelierung zwar erst in einigen wenigen Bereichen vorhanden ist, aber sie ist vorhanden. Oft ist die Craquelierung jedoch nicht allein altersbedingt. Es wird Stellen geben, da werden sich voraussichtlich niemals Risse bilden, was auch mit der Maltechnik zu tun hat. Vor zweihundert oder dreihundert Jahren, als die Künstler mit Ölfarbe zu arbeiten begannen, wurde damit beinahe modelliert. Darum sehen viele Bilder heute auch wie ausgetrocknete Salzseen aus. Sie verstehen, die Rissbildung ist auf der ganzen Oberfläche zu finden. Wichtig bei dem Gauguin hier ist nur, dass die Craquelés alle echt sein sollten, aber ich denke ein vernünftiges Labor hat einen Blick dafür und Sie werden doch sicherlich ein vernünftiges Labor zur Hand haben, nicht wahr?«
Simon verstand, was Claudius Brahm meinte. Er wusste genau, dass er trotzdem jetzt und hier kein abschließendes Urteil erhalten würde. Wenn er Glück hatte könnte ein vorläufiges Gutachten vorliegen, wenn auch die Laboruntersuchungen abgeschlossen waren. Simon hatte sich zu dem nicht dazu geäußert, woher das Bild stammte oder wem es gehörte. Claudius Brahm hatte auch nicht danach gefragt. Er durfte noch drei Fotoaufnahmen von dem Gauguin machen. Die Diskretion bei diesem Auftrag war dabei selbstverständlich. Claudius Brahm verwendete keine Spielzeugkamera, wie er die kleinen Digitalfotoapparate bezeichnete, die höchstens mit ein oder zwei Megapixeln Auflösung ausgestattet waren, sondern hatte eine Profikamera mit acht Megapixeln, ein Gerät, das bestimmt mehrere Tausend D-Mark gekostete haben musste.
*
Die vorläufige Expertise war schon am nächsten Dienstag fertig. Sie lag in der Post, persönlich an Simon adressiert, so wie er es gewünscht hatte. Bei den Laboruntersuchungen gab es Probleme. Zwei Proben wurden durch Lösungsmittel unbrauchbar gemacht, sodass das Bild einen weiteren Tag im Labor blieb und neue Farbabstriche genommen werden mussten. Das Gemälde wurde dann aber wieder unverzüglich dem Kunst- und Auktionshaus Blammer zurückgegeben. Es dauerte aber trotzdem noch eine weitere Woche, bis endlich der Untersuchungsbericht vorlag. Edmund Linz hatte bereits am Freitag davor nach den Ergebnissen gefragt. Simon konnte ihm nur aus dem Gutachten des neu beauftragten Kunstsachverständigen zitieren. Sie stellten gemeinsam fest, dass sowohl Professor Lehner, als auch Claudius Brahm zu demselben Ergebnis kamen. Der Malstil, die Motivwahl, die Symbolik, generell alle Indizien sprachen für ein Werk aus der Hand des französischen Malers Paul Gauguin. Aber es gab eine Einschränkung, beide Expertisen machten ihre Aussagen von den Ergebnissen der Laboruntersuchungen abhängig. Simon empfahl den Gauguin weiterhin bei Blammer zu verwahren. Er hatte sich Edmund Linz neue Lebensverhältnisse schildern lassen. In Edmund Linz Wohnung gab es keinerlei Möglichkeiten, das Bild vor einem Diebstahl zu schützen, es überhaupt vor irgendetwas zu schützen. Edmund Linz sah es ein. Er hatte selbst auch noch eine andere Überlegung, warum er das Gauguin-Gemälde besser bei Blammer lassen wollte. Er teilte seine Gedanken zwar nicht mit, aber Simon konnte sich schon denken, dass es etwas mit dem Bankrott zu tun hatte. Nach Möglichkeit schwiegen sie sich jedoch über dieses Thema aus.
Als Simon den Laborbericht endlich in Händen hatte, rief er Heinz Kühler zu sich. In dem versiegelten Umschlag, den er bekommen hatte, befanden sich das Original und eine Kopie des Berichts. In der Kopfzeile standen zunächst die Angaben zum Labor und zu dem Untersuchungsobjekt:
Dr. Dr. Mannzahn (Dipl.-Chem.) Mikroanalytisches Labor
Dr. Guller (Dipl.-Phys.) München
Paul Gauguin: Julie des Bois, 50,5 x 51,3 cm
Naturwissenschaftliche Untersuchung zum Malmaterial und zum maltechnischen Aufbau
Simon und Heinz Kühler nahmen jeder ein Exemplar. Es begann mit einer Beschreibung dessen, was das Gemälde zeigte. Alle Objekte, selbst die Darstellung des kleinen Mädchens wurden eher nüchtern beschrieben, ohne jegliche Interpretation des Stils und der Symbolik. Es war schließlich auch ein, auf Fakten aufbauender Bericht und keine Prosa, wie man es oft in den Expertisen der Kunstsachverständigen fand. Die beiden Männer saßen still nebeneinander und lasen gleichzeitig das Gutachten.
Bildträger und Grundierung:
Als Bildträger wurde eine mittelfeste, relativ stark gewebte Leinwand in Leinwandbindung verwendet. Auf einen Quadratzentimeter der Leinwand kommen ca. vierzehn horizontal verlaufende Schussfäden und ca. vierzehn vertikal verlaufende Kettfäden. Die hell vorgrundierte Leinwand ist regelmäßig gewebt, weist aber zahlreiche Fadenverdickungen auf, die sich durch die Malerei durchmarkieren. Auf der linken Seite ist eine Webkante zu erkennen. Spanngirlanden sind an den Rändern nicht festzustellen. Die Leinwandspannung ist sehr gut, da die Leinwand auf einen höchst qualitätsvollen, ausgekeilten Spannrahmen genagelt wurde. Auf dem wahrscheinlich vorbehandelten Bildträger liegt eine dünne, porenfüllende weiße Grundierung, die wahrscheinlich von Hand aufgetragen wurde, auch wenn sie sehr gleichmäßig erscheint. Die Innenseite des Bildträgers zeigt leichte Verschmutzungen und Feuchtigkeitsflecken, die aber nicht auf die Gemäldeoberfläche durchgeschlagen sind.
Vorzeichnung und Farbschichten:
Auf der weißen Grundierung des Bildträgers befindet sich auf dem unteren Drittel eine gelbe und auf den oberen Zweidritteln eine blaue Ölfarbschicht. Die Farbe ist jeweils fast deckend aufgetragen. Auf diesen Schichten wurde dann mit kompakten, aber wenig pastösen Farben die Darstellung alla prima ausgeführt, das heißt also ohne Untermalung und ohne Lasuren. Die Farbe ist zumeist deckend. Der Pinselduktus, das heißt die Pinselführung, ist nur in wenigen Bereichen erkennbar. Ein ausgeprägtes Leinwandcraquelé ist nicht zu erkennen. An einigen Stellen liegen noch schwache Reste eines verbräunten Firnisses in den Tiefen des Leinwandkornes, wie zum Beispiel im rechten unteren Bereich, wo sich auch die Signatur und der Bildtitel befinden. Bei Betrachtung im UV-Licht lassen sich keine Retusche erkennen. Insgesamt lässt sich eine frühere Firnissabnahme und Wiederherstellung bestätigen, die aber professionell durchgeführt wurde.
Verwendete Materialien:
Der Schwerpunkt der Untersuchung lag auf der Identifizierung der verwendeten Pigmente und des Bindemittels. Es wurden gezielt kleine Farbschichtpartikel entnommen und analysiert. Die Identifizierung der Materialien wurde mithilfe mikroskopischer, mikrochemischer und physiko-chemischer Methoden durchgeführt. Hierzu fand der Einsatz der Rasterelektronenmikroskopie mit angeschlossener Röntgenfluoreszenz und Infrarotspektroskopie statt.
Als Pigmente wurden nachgewiesen:
Weiß: Zinkweiß ; Gelb: gelber Ocker ; Orange: Zinnober; Rot: Cadmiumrot und roter Ocker ; Blau: Ultramarin.
Die Grundierung besteht aus Calciumcarbonat und wenig Zinkweiß. Das Bindemittel der Malschichten ist ein Öl.
Zustand des Gemäldes:
Der Zustand des Bildes ist gut bis sehr gut. Die Spannkanten sind gleichmäßig lang. Es gibt keine sicheren Hinweise auf eine frühere Abspannung. Die Haftung der Grundierung zum Untergrund ist gut, es gibt keine sichtbaren Fehlstellen oder sonstige mechanische Beschädigungen, weder am Bildträger noch am Spannrahmen. Die Verschmutzungen an der Rückseite des Bildträgers sind nur sekundär. Das Gemälde wurde mindestens einmal fachgerecht gereinigt.
Ergebnis:
Alle nachgewiesenen Materialien waren am Ende des neunzehnten Jahrhunderts bekannt, und als Künstlermaterialien weit verbreitet.
Das Bindemittel ist nach seinen spektroskopischen Daten durchpolymerisiert