Die Missionäre. Gerstäcker Friedrich

Die Missionäre - Gerstäcker Friedrich


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zu jenen bigotten Wesen, die schon das Heiligste beleidigt glauben, wenn nicht jeder äußern Form genügt wird, und denen der Ausdruck innerer Zerknirschung unablässig in den Zügen liegt. Sie war im Gegentheil stets mehr heiterer als ernster Natur gewesen, und fromm nur aus innerer Ueberzeugung, nie zum Schein für Andere, so daß sie sich auch fast stets bei Anderen ihrem fröhlich sinnigen Charakter überließ und ihre Andacht für stille, unbe-/46/wachte Stunden aufsparte. Aber es verletzte sie, daß die Freundin nicht mehr Theil an einer Sache nahm, die ihre ganze Seele erfüllte, und als sie nach einigen Tagen allein wieder zurück nach dem Schölfenstein fuhr, murmelte sie leise vor sich hin:

      „Der Missionär hatte Recht – wie selten, oh wie selten findet man in unseren Kreisen ein Herz, das im Stande ist, der Prüfung zu widerstehen, die ihm Rang und Reichthum auferlegen! Und ist das wahre Frömmigkeit, die sich so leicht – so entsetzlich leicht von ihrer Bahn ablenken läßt? Bedarf es denn nur eines einzigen verlockenden Schimmers dieser Welt, um uns Alle in den breiten Strom des Gewöhnlichen hineinzureißen, und bin ich selber nicht vielleicht genau so wie die Freundin, in der ich mich jetzt getäuscht zu haben glaube? Nein – ich nicht,“ setzte sie fest entschlossen hinzu, „ich will dem Manne mit dem eisernen Charakter beweisen, daß sein Urtheil zu rasch – wenigstens zu allgemein war. Es giebt Ausnahmen, und möge mich Gott stärken, daß ich das, was ich mir vorgenommen, auch mit frischem und entschlossenem Muthe durchführe. – Er wird dann weiter helfen.“

      Von dem Tage an war Berchta eine Andere. Heiter wie sonst und freundlich gegen Alle, schien ein gewisser Ernst über sie gekommen zu sein, der selbst ihrem Vater nicht entgehen konnte.

      „Was hast Du nur in aller Welt, Kind?“ fragte er eines Tages, indem er sie bewegt betrachtet hatte; denn noch nie war sie ihm der verstorbenen Mutter so ähnlich vorgekommen, wie gerade heute. „Du siehst immer so froh und glücklich aus, und doch hab‘ ich schon ein paar Mal bemerkt, daß Dir plötzlich eine Thräne in’s Auge steigt, und Du Dich dann abwendest, um sie zu verbergen. Fehlt Dir etwas, Herz? Drückt Dich ein Kummer? Sag mir’s, und wenn’s in meinen Kräften steht – Du weißt ja, daß ich Alles thue, was ich kann.“

      „Ich weiß es, mein lieber, guter Vater,“ sagte Berchta herzlich, „ich bin es fest und innig überzeugt. Aber mir fehlt in der That nichts; ja ich habe mich im Gegentheil noch nie so wohl, so mit mir selbst zufrieden gefühlt, wie gerade jetzt.“ /47/

      „Manchmal siehst Du so aus, ja“, nickte der alte Mann, „manchmal aber auch wieder nicht, und dann kommt mir oft unwillkürlich der Gedanke, daß Dich irgend ein tiefer, kaum verhaltener Schmerz drücke, wenn ich auch keine Ahnung habe, was es sein könne. Quält Dich wirklich ein Kummer, Berchta? Oder bist du krank?“

      „Du irrst Dich, Vater,“ sagte die Jungfrau ausweichend; „mir fehlt nichts, und ich wüßte auch keinen Kummer, den ich haben könnte, ohne ihn Dir mitzutheilen. Aber haben wir nicht manchmal eine Zeit, in der wir wohl ernster, weicher gestimmt sind als sonst? Denk nur an den heutigen Tag – es ist der Geburtstag meiner seligen Mutter.“

      „Du hast Recht, Kind,“ sagte der alte Herr, indem ihm selber eine Thräne in’s Auge stieg, „arme Agnes, daß wir sie verließen mußten!“ und sich im Lehnstuhl an das Fenster setzend, stützte er den Kopf in die Hand und schaute, ganz seinen eigenen Gedanken nachhängend, hinaus in’s Leere.

      So vergingen wieder Wochen, und Diakonus Kästner kam fleißiger auf das Schloß denn je; denn so weich, so herzlich hatte sich Berchta noch nie gegen ihn gezeigt. Sie war immer freundlich gewesen, ja, aber nie so wie jetzt, und manchmal, wenn er ihr Auge traf, wie es mit innigem Antheil auf ihm ruhte, und sie erst halb verlegen oder erschreckt den Blick abwendete, sobald ihn der seine traf, zuckte es ihm durch alle Fibern seines Körpers, und er fühlte nur zu deutlich, daß die Leidenschaft zu dem bezaubernden Wesen mit jedem Tage wuchs und kaum mehr zurückgedämmt werden konnte.

      Aber ihr Vater? – würde der adelsstolze Baron je seine Einwilligung gegeben haben, daß er, der bürgerliche Geistliche, die Tochter des Schölfensteins zum Altar führe? Aber liebte er Berchta nicht wirklich mit voller Seele, und war es denkbar, daß er ein altes Vorurtheil höher achten würde, als das Glück der Tochter – des einzigen Kindes? Wieder und wieder zuckten ihm diese Gedanken durch das Herz, und er wagte deshalb keinen entscheidenden Schritt, wenn ihn auch selbst Berchta’s Unterhaltung mehr und mehr darin bestärkte, daß sie selber ein Entgegenkommen von seiner Seite wünsche und erwarte. Schon mehrmals hatte sie ihn nach der häuslichen /48/ Einrichtung eines Geistlichen gefragt, der, weit abgelegen von irgend einem Weltverkehr, nur seinen Studien und der Erziehung seiner Gemeinde lebe, - ob der Beruf schwer sei, - ob er nicht auch viele, viele Freuden mit sich bringe, - ob er selber sich wohl in dem seinigen fühle - lauter Fragen, die den jungen Mann mehr und mehr in dem Glauben bestärken mußten, daß Berchta dieselben nicht ohne eigenes Interesse thue. Und wie begeistert antwortete er ihr daraus - wie glücklich schilderte er den Zustand derer, die vielleicht einen höheren Rang in der Gesellschaft bekleidet haben könnten, aber dennoch nur in dem Gefühl der Liebe gegen Gott und die Menschen das Schwere auf sich genommen hatten, um ein anderes, sonst freundloses Wesen glücklich zu machen.

      Berchta's Augen leuchteten, während er sprach, aber sie erwiderte ihm kein Wort. Es war, als ob ihr Blick in weiter Ferne schweife und Raum und Zeit durchflöge, ihren Tagen voraus. Dann wendete sie sich plötzlich zu ihm, reichte ihm die Hand, sah ihn fest an und sagte herzlich, mit tiefbewegter Stimme:

      „Ich danke Ihnen, lieber Freund - ich wußte vorher, daß Sie so sprechen würden - so sprechen mußten. Ueberlassen Sie mir das Weitere. Nein, nicht jetzt" - unterbrach sie ihn abwehrend, als er, das Herz zum Ueberlaufen voll, darauf erwidern wollte. „Der Kopf wirbelt mir - nicht hastig darf ein solcher Schritt beschlossen werden, der dann ja bindend und entscheidend für ein ganzes Leben ist, sondern wohlüberlegt und mit kaltem, ruhigem Blute - nur in Gemeinsamkeit mit Gott. Lassen Sie mir Zeit dazu - berühren Sie das Thema nicht eher wieder, bis ich selber davon beginne - versprechen Sie mir das. Ich will nicht dazu getrieben werden - ich will aus eigenen freien Stücken darin handeln."

      „Ich gebe Ihnen mein Wort, Berchta!" rief Kästner, kaum seiner Sinne mächtig, indem er ihre Hand ergriff und sie an seine Lippen hob. Aber er wagte kaum einen Kuß darauf zu hauchen, so überraschend schnell war Alles gekommen, so betäubt fühlte er sich von dem Glück, das, wie er glaubte, über ihn hereingebrochen. /49/

      Berchta achtete gar nicht mehr auf ihn - sie hörte nicht die vertrauliche Anrede, die er noch nie gewagt. Sie fühlte kaum den leisen Kuß auf ihrer Hand, oder wenn so, schrieb sie es vielleicht dem Erstaunen zu, das ihn erfaßt haben mußte, wenn er ihr Geheimniß errathen.

      Still und schweigend wendete sie sich ab und schritt hinunter in den Garten, wo sie allein Stunden lang die einsamen Gänge durchwandelte.

      Aber dieser träumerische Zustand dauerte nicht lange. Berchta besaß keinen Charakter, der sich Jahre lang unschlüssig im Kreise bewegte. War sie früher schon fast mit sich einig gewesen, so hatte die Unterredung mit dem Diakonus, der ihr in allen Dingen beistimmte, den überhaupt schon gefaßten Entschluß nur noch mehr gekräftigt, und wenige Tage später fühlte sie sich so weit mit sich im Reinen, daß sie an die Ausführung desselben gehen konnte.

      Allerdings drängte es sie, vorher mit ihrem Vater darüber zu sprechen - hatte sie denn einen besseren Freund auf der weiten Welt? Aber sie fürchtete auch dessen Einwürfe, denn jedenfalls würde er versucht haben, sie in ihrem Entschluß wankend zu machen, und das mußte sie verhindern.

      Von der Zeit an correspondirte sie sehr viel mit der Missionsgesellschaft, was auch dem Vater nicht auffiel, da er ja recht gut wußte, daß sie Vorsteherin des Vereins sei, und sich darüber sogar sehr gefreut hatte. Sie bekam auch außerordentlich rasche und freundliche Antworten, und endlich traf, nach verschiedenen Anfragen von Seiten jener Gesellschaft, das entscheidende Schriftstück ein, dem sie eben so bestimmt und zusagend erwiderte. Jetzt war der Schritt geschehen und nun auch der Zeitpunkt gekommen, wo sie mit ihrem Vater sprechen mußte, - als er aber herannahte, wagte sie es nicht. Das Herz klopfte ihr schon bei dem Gedanken hörbar in der Brust, und sie beschloß endlich, den Diakonus Kästner rufen zu lassen und ihn zu bitten, das erste Eis zu brechen. Er hatte sie ja verstanden; er kannte ihr ganzes Herz, und mit dem


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