Das Ende der Clara. Helmut H. Schulz

Das Ende der Clara - Helmut H. Schulz


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Sonne fast ebenso sehr wie Feuchte und Frost. Häufig oder sogar am häufigsten hatte sie auch den Winter im Wasser oder im Eis überstanden. Der Skipper legte Strohbündel um den Schiffsrumpf, die das tiefe Durchfrieren des Wassers verhinderten. Die alten Bronzebeschläge hielten jedem Wetter stand. Mit einer Mischung aus Salz und Essig abgerieben, sahen sie immer aus wie neu. Aber von einem alten Schiff wird eben auch allerhand verlangt. Wurde die »LOUISA« aufgeslippt, dann eigentlich nur zu einer notwendigen Reparatur am Schiffsboden. Einmal jedoch entschloss sich der Alte zu einer durchgreifenden Neuerung, als er der »LOUISA« einen feinen Anstrich gab. Er verwendete einen farblosen Lack für die Decks, obschon man ihn vor diesem eleganten Lack warnte, weil Salz wie Brackwasser mit solcher Art Anstrich rasch fertig werden. Aber es blieb dabei; die »LOUISA« bekam neue Farbe, bis auf das Unterwasserschiff. Da blieb es bei der soliden alten Methode der Wikinger. Dass er neuerungssüchtig gewesen sei, konnte man dem Skipper also nicht nachsagen.

      Was das Rigg angeht, so dachte Rinkales nicht im Traum daran, sich der hölzernen Jungfern und der Taljereeps zugunsten der längst üblich gewordenen Wantenspanner zu entledigen. Je länger sie standen, desto besser wurden sie, so lautete die Regel. Am Mast wurden die Rundkauschen der daumendicken Drahtwanten über die Kälber gelegt. Durch die handgenähten Gattchen der Segel an den Lieken fuhr alles laufende Gut, Marlschläge auf dem Großbaum; in der Tat gab es auf der »LOUISA« noch allerlei Arten Knoten, die kaum noch ein sportlicher Segler kannte, geschweige denn verwendete. Allein der Skipper hätte das, was er seit Jahrzehnten auf dem Wasser mit seinem Boot trieb, auch niemals als Sport bezeichnet. Anstatt der Achtknoten machte er Knöpfe, und er setzte einen der Türkenbunde und Taljereepsknoten auf die Tampen der Enden; er kürzte das steife Tauwerk mit langen, kunstvollen Trompeten und hätte es für eine Verschwendung gehalten, ein Ende auf passende Länge zu kürzen, also zu schneiden. Auf jeden Tampen setzte er einen Takling. Alles Tauwerk war dunkel vom Gebrauch und fast so hart wie Holz. Ähnlich sahen die Fallen aus. Segel setzen und Schoten führen bedeuteten auf der »LOUISA« eine ernste Arbeit, eine Schinderei, die alte Yacht verlangte ihrem Skipper oder der Besatzung also auch einiges ab, aber sie hatte ihm dafür auch immer ein Gefühl der Sicherheit und der Treue gegeben. Er hütete sich gefühlsmäßig, grundlos an seinem Schiff etwas zu verändern, aus der Vorstellung heraus, an ihm zu freveln. Denn wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um und das mit Recht, womit nicht gesagt sein soll, dass es Rinkales an Selbstvertrauen fehlte. Wenn es darauf ankam, konnte er das alte Boot auch knüppeln. Er galt im Übrigen als ein schrulliger alter Griesgram, dem es keiner recht machen konnte. Seine Söhne hatten sich zurückgezogen, kaum dass sie flügge geworden waren. Was Rinkales nicht zur Kenntnis nahm.

      So lagen die Dinge, als er über die Lebensmitte hinaus war.

      3

      Rinkales war von einem auf den anderen Tag verwitwet. Er besaß zwei erwachsene, längst verheiratete Söhne, aber die wohnten weit weg. Gemeinsam stand die Familie den traurigen Tag der Beerdigung durch, der Vater teilte den Kindern Andenken an die Verstorbene zu und stellte die Frage, wer von ihnen denn die »LOUISA« übernehmen würde. Die Entschlafene hatte an Bord eine Menge Aufgaben zu erfüllen gehabt; kochen und räumen, auf die Kinder achtgeben, dass sie nicht unversehens über Bord fielen, und bei der Hand sein, wenn ihr Mann und Vorgesetzter ein Segelmanöver ausführen wollte. Sie hatte es gelernt, die richtigen Knoten zu machen, die Kniffe des Gaffelsegelns studiert, und konnte Ruder gehen, wenn der Schiffer in der Kajüte ein wenig ausruhte. Auf diese Weise waren sie beide ziemlich weit miteinander gekommen und hatten eine Menge Haffwasser gesehen. Rinkales lief bei jedem Wetter aus, solange die »LOUISA« mitmachte. Regelmäßig törnte er an den Wochenenden übers Haff in den Peenestrom hinein einem bestimmten Ziele zu, einer Kneipe in einer ruhigen Bucht. Dort traf sich seinerzeit die segelnde Elite der Haffküste zu Gedankenaustausch und Korn, und man blieb bis zum Sonntagmittag liegen. Der Alte trat die Rückreise stets so an, dass er sein Abendbrot am angestammten Liegeplatz verzehren konnte. Er hätte es sich wohl zugetraut, die Yacht allein weiter zu führen, aber er fürchtete sich vor den Erinnerungen an seine Frau, obschon sie miteinander nicht nur gute Tage an Bord gehabt hatten. Der Alte war abergläubisch und sah überall Gespenster, was er nie zugegeben hätte, nicht mal vor sich selbst. Mit einer Toten wollte er keineswegs seine Tage und Nächte auf dem Wasser zubringen. Er wagte es nicht, seinen Söhnen zu erzählen, dass er die Verstorbene leibhaftig gesehen hatte, still an der Pinne sitzend, wie ein Vorwurf, dass er noch am Leben, während sie gestorben war, aber weiteren Heimsuchungen durch die Gespenster seiner Einbildung fühlte er sich nicht ganz gewachsen. Skipper Rinkales spürte, dass er in die Jahre gekommen war, aber für die »LOUISA« musste er beizeiten sorgen. Und zuletzt gehörte ja die Yacht zum Erbe, ja, sie war der wichtigste Teil seiner irdischen Hinterlassenschaft, ideell wie materiell. Es war also Freude zu erwarten, wenn er die »LOUISA« an einen der Söhne abtrat, wie es sich von Rechts wegen gehörte.

      Hierin irrte der Alte. Die Söhne mäkelten herum, machten dumme Gesichter, als er ihnen das Schiff anbot, und ihre Frauen gar wiesen sein Ansinnen, die Yacht zu übernehmen, sie allein oder mit ihm, dem Alten, zu teilen, schnöde zurück. Sie wohnten nicht mehr in der Stadt und hätten an den Wochenenden herkommen und vieles an ihrer Lebensweise ändern müssen, behaupteten sie. Der Alte spürte, dass mehr dahinter steckte, dass sie die »LOUISA« nicht mochten und nie geliebt hatten.

      "Wie denkst du dir denn das eigentlich, Vadder? Sollen wir immer hin und her? So schön ist der Kahn nun auch wieder nicht. Wir haben unsere Kindheit darauf verbringen müssen, jedes Wochenende, immer dasselbe, weil du es so wolltest, übers Haff und zurück ... Und wieso musst du denn mit deinem Rheuma immer noch aufs Wasser, he? Ruh dich aus, kommst bald in Rente."

      Der Alte winkte ab. Rheuma plagte ihn ja wirklich, aber das hatte nichts mit dem Wasser zu tun. "Ich habe genug Interessenten", behauptete er.

      "Wer kauft denn so was? So verrückt wird doch keiner sein! Geh mal zum Yachthafen, kannst dir ansehen, wie Segelboote aussehen! Blitzblank alles, Chrom und Niro, weiß und blau, Plast, alles Plast und perfekt. So will man das heute. Na, Vadder, steck kein Geld und keine Zeit mehr in die olle »LOUISA«. Du kennst es doch? Unser Schiff ist ein Loch im Wasser, in das wir unser ganzes Geld werfen ... Na, also, es lohnt nicht mehr. Aber bitte, es ist natürlich dein Geld, und es ist deine Zeit und Gesundheit, uns verschone damit, ja? Wir sind doch nicht irre."

      "So? Ihr seid nicht irre? Aber ich bin dann wohl irre, was? Na, ich weiß Bescheid. Gut, dass eure Mutter diesen Tag nicht mehr erleben musste."

      Seit Jahren war er nicht mehr im Yachthafen gewesen und wusste trotzdem, wie die Boote da aussahen, traf er sie und ihre Besitzer doch oft genug auf dem Wasser, wenn sie mit ihren Segelmaschinen vorbeizogen, freilich unter Maschine, hin und wieder auch unter Segel. Und ständig mussten sie irgendwohin, kaum dass sie angekommen waren; hatten sie gerade festgemacht, schon sprangen sie in ihre Autos, flitzten in ihre Büros oder wer weiß wohin. Ihre Boote waren Geräte, Schüsseln, die zufällig segelten, wie alles, was schwamm und dem Wind ausgesetzt wurde. Übrigens traf man sich ja auch noch in den Kneipen. Da grüßten sie und grinsten ihn an, als seien sie seinesgleichen. Und er hatte hier einen Ruf, und zwar einen guten und durfte sich dagegen verwahren, mit diesen Leuten gleichgestellt zu werden. So lagen die Dinge um die Beerdigungszeit seiner Alten.

      4

      Frau Rinkales war um die Weihnachtszeit heimgegangen, als die »LOUISA« mal wieder auf dem Slip der Werft stand. Den Winter über verbrachte der Alte allein und einsam in seiner Wohnung. Zu tun hatte er genug, ging ja auch noch auf Arbeit. Kam er abends nach Hause, so musste er zuerst die Öfen heizen. Während das Feuer bullerte, kochte er sich sein Essen, immer um einen Tag voraus. Anscheinend hatte seine Alte hier doch was zu tun gehabt. Sonst hielt er es wie im Sommer, ging mit den Hühnern schlafen, eher noch früher. Nur einschlafen konnte er auf einmal nicht mehr so gut und so schnell wie früher. Sonntags zog er den guten blauen Anzug an, den mit zwei Knopfreihen, die Düffeljacke darüber und setzte die Schiffermütze mit dem Lorbeerkranz und der kleinen dreieckigen Flagge am Mützenschild darin auf. Achtern lugte unter dem Mützenrand ein weißer Haarkranz hervor. In seiner Kneipe trank er sein Bier und den Korn und klönte mit Bekannten und Nachbarn.

      Die »LOUISA« stand also auf dem Slip, wie schon erwähnt, und der Besitzer der Werft machte den Schiffer bei einem mehr zufälligen Treff in der Kneipe darauf


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