Das Ende der Clara. Helmut H. Schulz

Das Ende der Clara - Helmut H. Schulz


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auch der Wind stand wieder ordentlich nach den Regeln des Himmels in den Segeln. Der Alte schipperte gemütlich unter den Vorsegeln nach Hause. Er genoss die Heimfahrt, zumal sich sein Schiff tugendhaft benahm und Wind und Wetter alles taten, um ihn bei guter Laune zu halten. Die Yacht segelte wie von allein, er konnte aufstehen, sein Boot sich selbst überlassen, sie blieb auf dem Ruder und tat ihm schön wie eine entgegenkommende Frau. Auch beim Einlaufen und Anlegen, für einen Einzelnen manchmal ein schwieriges Manöver, ging alles vorzüglich. Ohne einen Bumser schmiegte sich die »LOUISA« längsseits des Kais an die Fender. Rinkales machte sie vorn und achtern fest und machte einen Spring, weil am Sonntag die Haffdampfer hereinkamen und wenig Rücksicht nahmen. Nach dieser Erfahrung sah er voraus, dass die »LOUISA« seinen eventuellen Heiratsplänen äußersten Widerstand entgegensetzen würde.

      6

      Obgleich der Alte davon überzeugt war, dass sich die »LOUISA« nie mit einer neuen Frau abfinden würde, brachte er doch wieder eine an Bord. Sein Verstand sagte ihm ja auch, dass sich all diese verrückten Sachen nicht wirklich ereignet haben konnten. Zumal über die Woche, wenn er arbeitete, pflegten die schrecklichen Ereignisse des jeweils vergangenen Wochenendes zu verblassen. Als Freier war der Alte außerordentlich erfolgreich, was in der Hauptsache darauf zurückgeführt werden muss, dass die Zahl der frauenlosen Männer in seinem Alter gering, die der Männer suchenden Weiber hoch war. Zuerst ließ er sich von seinen Freundinnen, Witwen zumeist, zu Kaffee oder Abendbrot einladen, aß und trank an fremden Tischen, ein Mann, ziemlich hoch, aber auch von respektabler Breite, mit einem weißen Haarkranz im Genick und dem Flimmerglanz einer sich im Wasser spiegelnden Sonne in den grauen Augen, Lachfältchen genug, kurz, ein Mann von Charakter, kein Seichtbeutel, kein Mitleid Heischender, also einer, der die Fantasie überreifer Frauen sehr wohl anregen konnte. Er hätte auch lieber heute als morgen zugegriffen, weil er das Alleinsein zwar auf dem Wasser ganz gut vertrug, nicht aber zu Lande, hätten ihn nur seine Alte und die »LOUISA« gelassen. Aber erzählen wir mal weiter, was geschah.

      Saß eines der Weiber auf der Backskiste, Rinkales steuerte, wie konnte es anders sein, die »LOUISA« passierte die Flussmündung und segelte hinaus aufs Haff. Die unter anderen ausgewählte Frau saß still, fiel durch nichts auf, unmöglich konnte die »LOUISA« was gegen sie haben, möchte man meinen. Mit erwachender Zuversicht, es könnte dieses Mal vielleicht gut gehen, steuerte Rinkales also seinen gewohnten Kurs. Er führte die neue Frau seiner Alten und der »LOUISA« gewissermaßen zur Begutachtung vor.

      Es ist unmöglich, alle Streiche aufzuzählen, die ihm die »LOUISA« spielte; eine kleine Auswahl der Vorkommnisse muss hier genügen. Nie hielt sie einen Plan ein, vielmehr bestand ihre Taktik gerade darin, den Skipper durch überraschende und unvorhersehbare Manöver mattzusetzen. Zuerst also ging die Fahrt normal vor sich, bis zu dem Moment, wo die »LOUISA« blitzschnell handelte.

      Beispielsweise brachte sie ihn in erhebliche Schwierigkeiten, als es ihr einfiel, entgegen dem Ruder und Seegang die Wende auf den anderen Bug zu machen. Er segelte am Wind, und er dachte an nichts Böses. Beim ersten Böenstoß fiel er mechanisch ab, aber die »LOUISA« blieb nicht auf dem Ruder, sie drehte entgegen dem Ruder bis auf Dreiviertelwind, er wriggte und arbeitete wild mit der Pinne, aber sie tat nicht, was sie sollte, und legte sich beim dritten Böenstoß auf die Seite. Krachend schlug der Baum gegen die Wanten, weil er die Schot hatte loswerfen müssen. Erst kurz vor dem Kentern ließ sich die »LOUISA« erweichen und richtete sich wieder auf, gehorchte dem Ruder, und die Reise konnte weitergehen.

      Sie bringt es fertig, sich selbst zu versenken, dachte der Alte, nur um mir eins auszuwischen, das verdammte Luderstück.

      Er wollte die kleine stille Frau beruhigen, eine ordentliche Gartenbesitzerin, aber Rinkales machte sich nichts aus einem Garten. Er sagte, so was käme bei derart schralenden Winden schon mal vor und habe nichts zu bedeuten. Allein, die stille Frau versprach ihm, dass sie nie wieder einen Fuß auf die verwünschten Planken seines Bootes setzen werde. Sie ließ ihm die Wahl, sie und der Garten oder gar nicht. Andererseits war Rinkales auch ein bisschen stolz auf die »LOUISA«, die so energisch gegen ihn auftrat.

      Ein weiteres Beispiel für die Bravourstücke, die sich das alte Schiff leistete, um ihn zu ärgern, soll noch gegeben werden. Hundertemal hatte Rinkales um eines der Kardinalseezeichen gewendet und gehalst, das allen Schiffen Nord als die sicher passierbare Seite signalisierte, und war immer gut freigekommen. Es gehörte sicherlich was dazu, die große Tonne zu rammen, und doch brachte es die »LOUISA« fertig, mit dem Bug und gegen das Ruder aufzulaufen. Die Kollision war so gewaltig, dass Rinkales aufs Gesicht fiel und zum ersten Male in seinem Leben am hellerlichten Tag Sterne funkeln sah. Es war ihm auch kein Trost, dass er im Schoß des Weibes landete, dessen Hände ihm einen Verband um den Kopf anlegten, während die »LOUISA« trieb, als sei nichts geschehen. Den folgenden Montag musste er sie aufslippen lassen, um das Unterschiff zu untersuchen, an dem zum Glück kein Schaden festgestellt werden konnte. Immerhin zog er sich noch einen Rheumaanfall zu.

      Und es gehörte noch zu den harmloseren Streichen der »LOUISA«, bei Flaute und Nieselregen auf einer Untiefe zu hängen, unter Verlust des Bugankers. Der Alte kriegte weder das Schwert hoch, da es sich verklemmt hatte, noch kam er von den Steinen klar, an die sein Schiff schlug. Fischer bargen ihn mitsamt seiner Flamme ab, diese lag unter Decken in der Koje; sie schrieb ihm dann ab, krank und gebrochen. Er machte ihr einen letzten Besuch und fand sie hustend im Bett vor. Diese Frau gab ihm dann auch den Rat, das unsinnige Herumfahren auf dem Wasser einzustellen. Allein mit der »LOUISA«, schimpfte er sie heimtückisch, machte sich viele Grogs von erstaunlicher Kraft und Wirkung, aber das alte Schiff erhörte ihn natürlich nicht, und es waren im Grunde ja auch nur unglückselige Zufälle, die diesen Sommer nach dem Tod seiner Alten über ihn hereingebrochen waren.

      7

      Um zum glücklichen Ende zu kommen, der Skipper, unermüdlich und unbelehrbar in seinem Kampf mit der »LOUISA«, erwartet ein neues Weib. Die Flusswellen wuschen am Rumpf der Yacht, sie kicherten und wischerten, und als er die Bodenbretter anhob, schien ihm das Bilgenwasser bedenklich gestiegen. Er setzte sich an die Pumpe. Im dicken Strahl zischte und pisste die »LOUISA« sich aus, brachte ihr überflüssiges Wasser nach außenbords. Es wunderte ihn, dass trotz aller Anstrengungen das Wasser nicht abzunehmen schien, vielleicht wollte ihm die »LOUISA« einen neuen und letzten Streich spielen und unter seinem Hintern einfach wegsacken. Während er diesen traurigen Gedanken nachhing, kam die neue Frau an Bord. Die brachte einen Sohn mit. Dies war allerdings nicht verabredet, gegen einen oder mehrere Söhne und Töchter hätte der Alte nichts einzuwenden gehabt, war er doch selber stolz auf seine Kinder und Enkelkinder. Es passte ihm nur jetzt nicht, am ersten gemeinsamen Tag. Der junge Mensch, im Gegensatz zu seiner breit behäbigen Mutter ein dürrer Spinnefix, jumpte an Bord, kiekte in die Kajüte, sah das Wasser und erbot sich, ihn an der Pumpe abzulösen, ohne dass ihn der Alte dazu aufgefordert hatte. Rinkales sah eine Weile zu, und er musste zugeben, dass die Sache besser flutschte als bei ihm. Binnen Kurzem war die »LOUISA« trocken. Mutter und Sohn machten sich schnell breit; sie staute die Sachen weg, kommandierte den Knaben, der auf dem Deck herumsprang wie ein Füllen, die Bändsel von der Spiere löste und alles bereit machte zum Setzen des Gaffelsegels. Die beiden Vorsegellagen an den Stagreitern ganz ordentlich klar, und die Vorschoten wurden sachverständig von dem Bürschlein durch die Leitösen geschoren. Beim Auslaufen ließ ihn Rinkales probeweise ans Ruder. Bald würde die »LOUISA« ja ihre blanken Zähne zeigen und den Jungen das Fürchten lehren. Übrigens aber fand er es ganz schön, als Kommandant bloß so mitzufahren. Er legte den Arm um die Schultern der neuen Alten, die brav auf dem richtigen Platz blieb, und begann mit ihr zu klönen. Der Spinnefix war ein Salzwasserfisch, trotzdem blieb Rinkales in Rudernähe, bereit einzugreifen, wenn die »LOUISA« ihren Rappel kriegte. Also der Spinnefix kam gut klar mit Ruder und Schoten, er hat was Glitzerndes und Misstrauisches in den blanken Augen, und er saß jedenfalls nicht das erste Mal am Ruder eines Segelbootes. Aber Rinkales spürte auch in seinem Hintern alle Fehler, die sein Steuermann machte, und er machte genug Fehler, korrigierte sie aber auch selber, was allemal die halbe Miete ist. Während Rinkales mit der Alten bloß so dasaß, aufs Haff guckte und den Wind auf der Backe fühlte, kam Freude in ihm auf.

      "Wie heißt denn das Kerlchen da?", fragte er die Mutter.

      "Jürgen heiß ich", sagte das Steuermännchen


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