Das Verschwundene Tal. Dietmar Preuß
konnte sich Wulfiard Medeme und seinem Essen widmen.
Dann wollen wir doch mal sehen. Sein Magen knurrte vernehmlich, denn er hatte seit drei Tagen kein warmes Essen mehr gehabt. Den Reizen der schwarzhaarigen Medeme würde er sich erst mit vollem Bauch zuwenden. Er stieg die zwei Tritte hoch in den Wagen, der unter der Stoffplane reichlich Platz für zwei sitzende Leute bot. Medeme hatte einen bunten Webteppich ausgebreitet und einen dampfenden Topf und einen Teller aus Steingut darauf gestellt. Sie selbst saß im Schneidersitz am Ende des Teppichs und hatte den Schleier abgelegt, sodass das schwarze Haar ihr Gesicht mit den ebenmäßigen Zügen umfloss. Wulfiard wunderte sich wieder einmal, wie schön die Frauen dieses Landes in ihrer Jugend waren und wie schnell ihre Schönheit in der Hitze verdorrte. Aber diese Blume würde er vorher pflücken!
„Erzähl mir eine Geschichte von deinen Reisen, Haimamud!“
Wulfiard setzte sich, griff mit bloßen Händen, wie es hier Sitte war, in den Topf, formte aus der dick eingekochten Hirse und dem geschnetzelten Lamm ein Bällchen und schob es sich in den Mund. Der Reis war gewürzt mit Safran und Kräutern und schmeckte köstlich. Eine Weile kaute er stumm vor sich hin, bis der schlimmste Hunger gestillt war. Medeme betrachtete ihn dabei, und immer wieder blieb ihr Blick auf seinem goldblonden Haar hängen. „Welcher glückliche Ort darf sich deine Heimat nennen, schöne Medeme?“, fragte er schmatzend.
„Mein Mann hat sein Kontor in Barisch, das sind zwei Stunden Fahrt mit dem Ochsenkarren nach Osten.“
Wulfiard hatte diesen kleinen Flecken, in dem es nicht einmal ein Gasthaus gab, vor ein paar Tagen durchquert. Er erinnerte sich, dass er danach durch ein überraschend kühles Wäldchen aus Zedern und hier seltenen Weiden gekommen war. „Jetzt weiß ich auch endlich, woher ich dich kenne“, sagte er.
„Ich glaube nicht, dass wir einander je begegnet sind.“ Medeme sah ihn verwundert an.
„Du hast Recht, aber ich habe von dir erzählen hören.“
„Wer hat von mir gesprochen, und was?“ Medemes Neugier war geweckt.
Das war die Gelegenheit, seine Kunst spielen zu lassen. Gleich war sie gefügig wie eine Houri aus Markisch. „Ich war vor einigen Tagen östlich von Fayum unterwegs und durchquerte ein verwunschenes, dichtes Wäldchen. Traurige Weiden hingen über klaren Tümpeln, in denen sich das Licht der abendlichen Sonne brach.“
„Dieses Wäldchen liegt nahe bei Barisch. Du musst ganz nah an meinem Heim vorbei gekommen sein“, flüsterte sie.
Er rückte ein Stück näher an sie heran und nahm ihre Hand. „Wäre ich nicht in Eile gewesen, ich hätte diesen gesegneten Ort aufgesucht“, sagte er und blickte ihr tief in die Augen.
Seine Worte wirkten, sie lechzte nach mehr, ihre Augen schimmerten. Jetzt würde sie alles glauben, was er ihr erzählte, und das gedachte er hemmungslos auszunutzen. „An diesem Abend in dem Zauberwäldchen überkam mich eine seltsame Müdigkeit. Ich legte mich unter eine der Weiden, nachdem ich mich entkleidet und in einem der Tümpel erfrischt hatte. Wie Tengris mich geschaffen hat, ruhte ich auf den weichen Mooskissen.“
Medeme errötete, aber sie schien sich dieses Bild nicht ungern vorzustellen.
„Ich schlief ein, bis ich von traurigem Gesang geweckt wurde. Ohne mich zu bewegen öffnete ich die Augen, und sah, wie eine wunderschöne Dryade dem Wasser entstieg, sich darin betrachtete und wieder und wieder seufzte. Mit sanfter Stimme sprach ich sie an und fragte, warum sie so traurig sei. Sie erschrak, aber sie erkannte mich als arglosen Jünger der Musen und begann zu erzählen von einer Prinzessin, die ihren Geliebten vor langer Zeit heimlich in dem kühlen Weidengrund getroffen hatte.“
Medeme verfolgte atemlos die Geschichte. Sie hatte eine Hand in den Schoß gelegt, die andere hatte das Kleid über ihren Brüsten geöffnet, wie um sich Luft zu verschaffen.
Wulfiard streichelte die wohlgeformte Pracht mit Blicken. „Eine große, unschuldige Liebe sei es gewesen, die von den Geistern der Weiden gut geheißen worden sei. Aber eines Tages ermordete ein Räuber den Geliebten hinterrücks. Als sie den ausgeraubten Leichnam fand, wählte die Prinzessin das Jenseits, in dem sie ihren Geliebten wiederzusehen hoffte. Die Bäume haben geweint, als die beiden Liebenden im Tode vereint dalagen, und aus den Tränen entstanden die klaren Wasser unter den Weiden. Die guten Geister des Waldes erlaubten der Prinzessin und ihrem Geliebten, als Dryaden ewig dort zu leben und zu lieben.“
Medeme war bei dieser Geschichte dahingeschmolzen, eine Hand hatte sie unter dem Kleid auf ihr Herz gelegt. „Wie schön …“
Wulfiard rutschte im rötlichen Licht, das durch die Wagenplane sickerte, zu ihr hinüber und streichelte ihre bebenden Schultern. „Ich fragte die Dryade, ob ich sie wiedersehen dürfe, aber dass musste sie mir verweigern. Wenn ich ihre Schönheit nicht wieder schauen könne, so sagte ich, müsse ich sterben. Da empfahl mir die Dryade, ich solle nach Barisch gehen, denn dort lebe die tugendhafte Frau eines Händlers, die ebenso schön wie sie sei.“
Medeme war betroffen, dass eine Dryade, die einst eine Prinzessin gewesen war, ihre Schönheit kannte und rühmte. Sie stöhnte auf, als Wulfiards Hand unter ihr Kleid glitt und die weiche Haut und die festen Brüste zu liebkosen begann, und ließ sich auf dem Teppich in seinen Armen treiben.
So ist das Leben, dachte Wulfiard. Gerade noch hungrig und allein, jetzt satt und in den Armen eine willige Frau …
***
Als Aguilar ibn Golg zu seinem Stand und dem Ochsenkarren zurückkehrte, verdorrte der Shishar in der Sonne, die vergorene Stutenmilch in den Tonkrügen roch bereits übel, das Eis in der Dose mit den Normolcheiern war nur noch laues Wasser. War dieser Halunke aus dem Norden gegangen, ohne seine Arbeit zu machen? Und warum hatte dann dieses faule Weib nicht selbst die verderbliche Ware in den Schatten geschafft? Er stieg in den Wagen und was er vorfand, verschlug ihm die Sprache. Medeme lag entblößt da, auf ihren Brüsten glitzerte das Salz getrockneten Schweißes, eine Hand lag auf ihrer Scham und zuckte, während sie im Schlaf lächelte. Seltsam, dass ihn der Anblick erregte, hatte sie ihm doch ganz offensichtlich gerade Hörner aufgesetzt! Von dem blondhaarigen Nordmann war keine Spur zu finden, abgesehen von dem seligen Gesichtsausdruck seiner Frau.
Trotz – oder wegen – seiner Erregung stieg Wut in Aguilar hoch, Wut auf seine Frau, Wut auf den Fremden, der ihn so schamlos ausgenutzt hatte, und Wut auf seine eigene Vertrauensseeligkeit. Auf dem Unsteten Pfad musste der Runländer noch ohne Arg gewesen sein, aber die üblen Absichten konnte er sich ja auch danach zugelegt haben. Na warte, Fremder, den dicken Aguilar solltest du nicht unterschätzen, dachte er. Aus einer Ecke des Wagens kramte er einen Knüppel hervor, in dessen keulenförmigem Ende zahlreiche Eisendornen steckten. „Medeme!“, brüllte er.
Seine Frau schrak auf, raffte ihr Kleid vor den nackten Brüsten zusammen und senkte den Blick. „Liebster Aguilar, ich habe geträumt, von dir. Du warst wie ein wilder Hengst und im Fieber muss ich meine Sachen zerrissen haben.“
„Schweig! Hältst du mich für einen Trottel?“, schrie er und hob die Keule. „Das wird dieser Fremde mir büßen!“ Er drehte sich um, während Medeme zu jammern begann, und schüttelte ihre Hand ab und. Blind vor Zorn stieg er vom Wagen und sah daher nicht, wie der Kupferschmied und die noch verbliebenen Händler einander anstießen und grinsten.
„Wenn ich zurückkomme, hast du den Stand abgebaut. Sieh zu, was du von der Ware noch retten kannst! Einen Monat lang werde ich dich bei Wasser und Brot einsperren!“
Die Leute lachten laut auf, aber der dicke Händler hob die Keule und das Gelächter verstummte. Dann wandte er sich Richtung Stadttor, wo er den Fremden vermutete.
***
„Wirst du manchmal an mich denken?“, hatte Medeme noch gefragt, kurz bevor sie eingeschlafen war.
„Aber natürlich“, hatte Wulfiard wie schon so oft zuvor gelogen. „Wärst du nicht verheiratet, würde ich dich mit mir nehmen, das schwöre ich bei Tengris.“ Bei Wodan und Freya hätte er nie im Leben eine solche Lüge beeidet, denn er hatte