Das Verschwundene Tal. Dietmar Preuß
blieb am Eingang stehen. Die Spuren des Kerkeraufenthalts waren äußerlich getilgt: Er trug nun graue Wickelhosen und ein dunkelgrünes Wams, das ihm um die Schultern zu eng war. Etwas Größeres hatte der Fundus der Garnison nicht hergegeben. Sein schwarzer Vollbart war sauber geschoren.
„Setz dich, Schmied Rayol!“ Doriah zeigte auf einen Stuhl.
Der Schmied folgte der Aufforderung, wobei er ihn aufmerksam ansah.
„Ich bin Hauptmann Moamin Doriah von der Garde des Khans. Hast du eine Vorstellung, warum du hier bist?“
„Wahrscheinlich braucht ihr jemand, der dumm genug ist, sich in irgendeine Räuberhöhle oder ein Nomadenlager zu schleichen, damit er den Hals nicht auf den Richtblock legen muss. So prahlt mancher Mann in den Schänken und nennt sich Spion.“
Der Schmied war offensichtlich nicht dumm. „Und du glaubst, deshalb seiest du hier?“, fragte Doriah nach einer Weile.
„Eine andere Erklärung fällt mir nicht ein.“
„Du liegst nicht falsch, aber erzähl mir zuerst deine Geschichte!“
„Ich habe vor dem Büttel alles zugegeben, und es tut mir immer noch nicht leid, dass ich diese Schweine umgebracht habe. Ihr habt euch den falschen Mann geholt, denn ich fürchte den Tod nicht. Er wird eher eine Erlösung für mich sein.“
Doriah hatte so eine Antwort erwartet und sie bestätigte ihm, dass er den richtigen Mann ausgesucht hatte.
„Recht zu sprechen ist Sache des Khans und seiner Büttel. Es geht mir hier ausnahmsweise nicht um den Buchstaben des Gesetzes. Ich will erfahren, ob du trotz deiner Tat ein rechtschaffener Mensch bist.“
Die Worte schienen etwas in dem Schmied zum Klingen zu bringen. Und da er nichts Besseres vorhatte, als auf den Tod zu warten, begann er zu erzählen.
„Vor zwei Jahren beendete ich meine Lehrzeit als Waffenschmied und wurde von Jassim Muktada losgesprochen.“
Moamin Doriah kannte Muktada als Meister seines Fachs, als ehrenwerten Mann, der sich seine Lehrlinge sorgfältig aussuchte, denn er hatte einen Ruf zu verlieren. Dass Rayol bei Muktada als Lehrling angenommen worden war, sprach für ihn.
„Er bot mir an, als Geselle für ihn zu arbeiten, aber ich entschied mich für ein oder zwei Wanderjahre.“
„So? Etwas Besseres kann einem Waffenschmied in diesem Teil des Khanats doch kaum passieren, als in der Werkstatt des Jassim Muktada zu arbeiten. Warum gingst du fort?“
Der Schmied dachte eine Weile nach, als wenn er sich die Gründe selbst noch einmal erklären müsse. „Aus Angst.“
In die Augen des Mannes war eine Spur Entschlossenheit zurückgekehrt, ein Abbild der Erinnerung an die Zeit vor zwei Jahren. Doriah musterte die breite Brust und die gewaltigen Arme des Schmieds. „Angst? Du? Wovor?“
Wieder suchte Rayol Jamsillah nach Worten. „Vor einer Frau, vor mir selbst, vor meinem Glück.“
„Glück ist meiner Erfahrung nach das Resultat von Können und Fleiß“, warf Doriah ein.
„Dennoch konnte ich mein Glück kaum fassen. An dem Tag meiner Lossprechung hielt ich um die Hand von Gaiana, der Tochter des ältesten Gesellen Muktadas an. Und Fahd ibn Fahd gewährte mir die Bitte, ohne Bedingung, ohne Brautgeld, ohne Morgengabe, denn ich war mittellos.“
„Der alte Geselle kannte deinen Fleiß und deine Fähigkeiten.“ Der Hauptmann fühlte sich bestätigt, aber der Schmied zuckte nur mit den Schultern.
„Noch am selben Abend war ich Gast im Hause Fahds. Gaiana und ihre Mutter hatten ein Festmahl zur Feier meiner Lossprechung zubereitet. Auch ihre drei Brüder feierten mit uns. Alle waren mir zugetan und die Hochzeit sollte schon zwei Monate später stattfinden.“
„Und du dachtest, das ginge zu schnell und fingst an zu grübeln, was du nicht alles verpassen würdest“, sagte Doriah, der auch einmal jung gewesen war.
Rayol sah ihn erstaunt an. Dass der Gardehauptmann seine damaligen Gefühle so genau nachvollziehen konnte, hatte er nicht erwartet. „Im Grunde war es Jassim Muktada, der mir diese Flausen in den Kopf gesetzt hatte. Er hatte in der Werkstatt oft und gerne von seinen Reisen durch das südliche Scimmien berichtet, von seinen Erlebnissen in fremden Ländern, und was er von anderen Meistern gelernt hatte.“
Jetzt, als es um seine Arbeit ging, begann der junge Schmied leichter zu reden. Sein Beruf musste ihm viel bedeuten, erkannte Doriah.
„Muktada bedauerte oft, dass er nie bei den Schmiedemeistern des Nordens gewesen war, geschweige denn bei den Zwergen in den Weißen Marken. Die sollen eine besondere Art der Stahlläuterung kennen. Angeblich verfüttern sie die Späne geschmiedeten Eisens an Hühner, indem sie sie unter die Körner mischen. Was sie ausscheiden verfüttern sie wieder an sie, wieder und wieder, was den Stahl besonders rein …“
„Du bist also auf Reisen gegangen und hast die Frau, die dir versprochen war, zurückgelassen?“, unterbrach Doriah das Fachgesimpel, das ihn unter anderen Umständen durchaus interessiert hätte. Aber er wollte das Gespräch in eine bestimmte Richtung lenken.
„Gaiana versprach, auf mich zu warten, und ihre Brüder standen mit ihrer Ehre dafür ein, dass sie bis dahin unberührt bliebe. Ich ging leichten Herzens, dachte nur an Abenteuer und ferne Länder und blickte nicht zurück.“ Rayol versank in Gedanken, und Moamin Doriah ließ ihm ein paar Augenblicke.
„Ich erlernte die Kunst der blutigen Läuterung von einem wandernden Zwergenschmied. Beim Alten Tengris, hatte dieser Kerl eine Kraft! Aber bald zog es mich zurück nach Chasar. Ich Troll brauchte drei Monde, bis ich begriff, dass dieses Ziehen in meiner Brust Heimweh und Sehnsucht nach Gaiana war. Nach und nach beschlich mich Angst, daheim etwas verändert vorzufinden, einen Fehler gemacht, Gaiana trotz der Brüder schutzlos zurückgelassen zu haben. Ich machte mich auf den Weg, aber es dauerte vier weitere Monde, bis ich zurück nach Chasar kam.“
Aus dem Protokoll des Büttels wusste Doriah, dass dem Mädchen Gewalt angetan worden war, als der Schmied von seinen Wanderjahren zurückkehrte.
„Gaianas Familie hegte keinen Groll gegen mich. Der Vater hatte ihnen erklärt, warum Wanderjahre für einen Waffenschmied so bedeutsam sind. Noch am Tag meiner Rückkehr gaben sie ein Fest, zu dem alle Gesellen der Werkstatt und die Nachbarn eingeladen wurden. Ein Lamm wurde geschlachtet, der Wein floss in Strömen. Sogar einen Trupp Akrobaten und Spielleute hatten sie kommen lassen. Als wir einen Moment unbeobachtet waren, bedeckte Gaiana mein Gesicht mit heißen Küssen und schwor, sich für mich aufgespart zu haben. Mein Glück war vollkommen, aber der Abend sollte eine böse Wendung nehmen.
Die Gaukler und Akrobaten waren verwegen, gelenkig, geschickt mit ihren Schwertern beim Schattenfechten und vor allem hinterlistig, weil sie nur auf Diebstahl und Raub aus waren. Weiß der Gehörnte, wo sie herkamen! Ihr Anführer war ein rothaariger, sehniger Mann, hochgewachsen, mit kraftvollen Bewegungen und durchbohrten Wangen, dem Zeichen, dass er schon einmal für eine Fälschung bestraft worden war. Zum Schluss ihrer Vorführung jagten sie auf ihren Reitkamelen durch die Gasse, in der das Fest stattfand. Aus den Sätteln bückten sie sich nach abgelegter Kleidung, Waffen und allem, was von Wert schien. Ehe wir uns versahen hob der Anführer in vollem Galopp auch Gaiana in seinen Sattel. Die wilde Jagd ging bis zum Ende der Gasse, und wir alle hielten es für einen Scherz. Erst als die Reiter mit meiner Verlobten nicht wiederkamen, ahnten wir, dass etwas nicht stimmte.
Natürlich stiegen Gaianas Brüder und ich sofort auf die Kamele und Dromedare, die wohlhabende Nachbarn herbeigeholt hatten. Aber es dauerte lange, bis wir die Spur der Halunken aufnahmen und ihr Nachtlager weit außerhalb der Stadt fanden. Wir schlichen uns an den Kreis der erbärmlichen Zelte heran. Die Kerle saßen um ein Feuer, brieten eine stinkende Hammelkeule und ließen eine Flasche Taufifusel kreisen. Gaiana war nicht auszumachen, aber als wir sahen, dass ein Mann aus einem der Zelte kam, ein paar unflätige Worte über sein …“, Rayol Jamsillah kam ins Stocken, „… über seinen dreckigen Schwengel grölte und grausames Gelächter erntete, schwante uns Fürchterliches. Ein anderer Mann ging auf das Zelt zu,