Die Methode Cortés. Klaus M. G. Giehl
beendete den Gedanken und machte mich auf den Weg in die Küche. Womöglich konnte ich Ming Li beim Kochen helfen.
Ming Li hatte sich eine weiße Schürze umgebunden und rührte in einer Wokpfanne. Sie schien Mühe zu haben, in die Pfanne zu sehen, denn sie war wirklich winzig. (Ming Li meinte ich. In beiden Fällen.) George stand, eine Flasche Chardonnay öffnend, am Küchentisch und lächelte, als träumte er von Knien.
Ming Li und George hatten sich in Philadelphia kennengelernt. Er stammte aus Philadelphia, sie aus Shanghai. Sie hatte damals in einem Labor in Philadelphia gearbeitet, er zuhause an seinen Knieschonern. Bei einer Soiree mit den beiden vor einer geraumen Zeit hatte mir Ming Li erzählt, sie habe George dann einmal gefragt, ob er sie heirate. Dadurch hätte sie bessere Karten, die Greencard zu bekommen. Das mit den Karten habe dann geklappt. Mit dem Job sei auch alles gut gegangen. Und später, hatte Ming Li kichernd ergänzt, habe sie festgestellt, dass George doch eigentlich ein ganz netter Kerl sei. So seien sie noch immer verheiratet. George hatte damals mit dem für ihn typischen abwesenden Lächeln kommentiert, er könne Ming Li jetzt sowieso nicht mehr „umtauschen“.
Unterdessen hatte George die Weinflasche entkorkt und mich bemerkt. Er fragte, ob ich ein Glas Wein wolle. Ich bejahte und erkundigte mich bei Ming Li, ob ich ihr beim Kochen helfen könne. Sie verneinte. Sie habe alles im Griff, sei ohnehin gleich fertig.
„Können wir dir wirklich nicht helfen, mein Schatz?“, versicherte sich George mit besorgt gekräuselten Brauen (Brauenflöhe hätten darauf rodeln können!).
„Nein, ich bin gleich fertig“, schüttelte sie ihren kleinen Kopf.
„Nimm wenigstens einen Schluck Wein mit uns!“, wiegte George, erneut Bedauern mimend, seinen dünnen Hals.
„Okay“, nickte sie, und schob sich ihre Brille mit dem Zeigefinger auf der nervös zuckenden Nase nach oben.
Ming Li huschte zu uns an den Tisch, wir prosteten einander zu, und sie huschte zurück an ihren Topf, wo ihre Brille sofort beschlug. Sie putzte sie an ihrer Schürze ab, setzte sie wieder auf, und schob sie, nachdem sie ein wenig heruntergerutscht war, mit dem Zeigefinger auf dem nervös zuckenden Nasenrücken nach oben. George und ich quatschten derweil und schauten Ming Li bei ihren Verrichtungen zu (sie rührte wieder). Ein schlechtes Gewissen brauchte weder er noch ich zu haben. Wir hatten unsere Hilfe angeboten!
George kannte meine Familie. Meine Frau war im Übrigen mittlerweile meine Ex–Frau. Wir waren am 30. Februar 2007 geschieden worden. Mein Anwalt Harsdörffer hatte mir irgendwann in einer E–Mail davon berichtet. (Ich hatte ihm nach jenen unsäglichen Ereignissen in Mohammédia [siehe Band II: „Das Laienpassionsspiel“] gebeten, mich nicht mehr mit Details meiner nach wie vor laufenden zivilrechtlichen Verfahren zu belästigen. Über meine Scheidung hatte er mich dennoch informiert, was ich gerne gutgeheißen hatte, weil man gute Nachrichten eben immer gerne hört.) Jedenfalls war George daran interessiert, wie es mit den Kindern und mir weitergehe. Ming Li regte vom Kochtopf aus an, ich könne die beiden doch jetzt einmal an Weihnachten besuchen. Sie schob sich ihre Brille nach oben und rührte wieder in ihrem Topf. Ich erklärte Ming Li und George nochmals die zerstörerische Dynamik eines (und im Besonderen meines) Rosenkrieges und meinen Entschluss, den Kontakt zu meiner Ex–Frau und den Kindern abzubrechen, um eben diese Dynamik zur Ruhe zu bringen. Meine Erklärung hielt ich kurz. George verstand sie, empfand mein Vorgehen aber ein wenig „hart“. Ich erläuterte, dass die Kinder weiter diesem Rosenkrieg auszusetzen „härter“ wäre. Das sah George ein, und Ming Li nickte.
Sie war inzwischen mit dem Kochen fertig. Bedachtsam zog sie sich die Schürze aus, schob die Brille auf dem nervös zuckenden Näslein nach oben, kam, das Weinglas in der Rechten, auf George und mich zu, und sagte schließlich frohgemut:
„Ach Jakob, das wird sich schon regeln. Du wirst hier eine wunderschöne Frau kennenlernen und mit ihr neue Kinder haben. Dann hast du wieder eine Familie und kannst dich voll auf deine Arbeit konzentrieren.“
Ming Lis Statement ärgerte mich. Energisch erklärte ich ihr:
„Meine Kinder sind nicht substituierbar wie ein verfallener Artikel aus dem Supermarkt. Zumindest nicht für mich.“
Ming Li blinzelte irritiert und putzte ihre Brille.
Im weiteren Verlauf des Abends sah Ming Li von ähnlich gelagerten Statements ab, was meine Kinder betraf. Bezüglich potentieller Partnerinnen offerierte sie mir aber noch manch exquisite Idee, die mich beinahe jeweils ein Bambusstückchen verschlucken ließ (die Soße war echt klasse!). Ich erläuterte Ming Li, ich bedürfe in derartigen Angelegenheiten keiner Hilfe. (Ich hatte mich auf die Partnertipps, nicht auf die Bambusstückchen bezogen.)
Ansonsten war der Abend angenehm, denn das Essen schmeckte, wie angedeutet, vorzüglich. Beim Dessert (Litschis auf Zitronensorbet) besprachen Ming Li und ich, was alles zu erledigen sei. Ganz oben auf der Liste der Prioritäten stand ein Strahlenschutzantrag, der gestellt werden musste, damit ich mit den Experimenten beginnen konnte. Ich fragte Ming Li, ob sie einen Laptop übrig habe, auf dass ich mit dem Antragsschreiben loslegen könne. Meiner habe vor kurzem den Geist aufgegeben. Ming Li nickte. Sie habe ein Zweitgerät, das sie mir leihen könne. Sie erhob sich, mir das Laptop zu bringen.
2 „Ready to go“
Um vier Uhr in der Frühe wachte ich auf. Der Jetlag hatte mich! Ich ging in die Küche, bereitete mir einen Kaffee und begann, den Strahlenschutzantrag zu schreiben.
Just, als dieser fertig war, öffnete sich die Küchentür und Ming Li kam auf mich zu geschlurft. Es war halb acht. Ich speicherte den Text ab und mailte ihn ihr. Sie wolle am Mittag darüber schauen, meinte sie, und stellte, sich die Brille den zuckenden Nasenrücken hinaufschiebend, die Kaffeedose zurück in den Hängeschrank.
An diesem Tag, einem Freitag, war bloß Schnickschnack zu erledigen. Ich musste mich bei Ming Lis Head of Department vorstellen, mich registrieren, einen Batch bekommen und einige Formulare ausfüllen. Danach wurde ich Ming Lis Mitarbeitern vorgestellt. Mu, eine schnuckelige, etwa vierzig Zentimeter große Kambodschanerin (die Größenangabe war natürlich ein Witz, aber klein war sie, Mu), kannte ich noch aus meiner Zeit in Austin. Mu hatte damals mein Labor besucht, um eine (Labor–)Technik zu erlernen. Die anderen Kollegen sah ich zum ersten Mal. (Ming Li war für einen hohen „Mitarbeiterdurchsatz“ berüchtigt. Sie hatte den Hang, Personal wie Zitrusfrüchte auszupressen. Den meisten bekam dies nicht so gut, sodass sich Ming Li ständig frischen Obstes erfreuen konnte.)
Vorstellung und Formalitäten waren schnell erledigt. Also konnte Ming Li mir flugs die Gentechniklabore, die Tierversuchsanlagen, die Mikroskopräume und das von den Faculties des Departments gemeinsam genutzte Histologielabor zeigen. Schließlich wurde mir ein Fensterplatz in einem Großraumbüro zugewiesen. Ich saß da mit sechs anderen Mitarbeitern. Alles Damen. Das ging. Aber mein Büro mit anderen teilen zu müssen, war ungewohnt für mich. So war offenbar der Lauf der Dinge. Sollte nicht weiter wesentlich sein. Mir ging es ja darum, wieder in die Forschung zu kommen.
Das Wochenende verlief nicht weniger effizient als mein Einführungstag an der Uni. Am Samstag schaute ich mich mit George und Ming Li nach einem Apartment um. Eines sagte mir zu, besonders vom Preis her. Außerdem lag es nur zwei Blöcke von Mus Wohnung entfernt. So konnte ich, solange ich keinen Wagen hatte, mit Mu auf die Arbeit fahren. Besser konnte es für den Anfang nicht kommen, sodass ich noch an diesem Samstag in den Deal einschlug.
Am Sonntag waren George, Ming Li und ich unterwegs, um mich mit dem Nötigsten einzudecken: Einem neuen Laptop, einem Schreib–/Esstisch, einem Stuhl, Nahrungsmitteln und diversen Gebrauchsutensilien. Ein meinen Vorstellungen entsprechendes Bett fand ich nicht. Ming Li bot mir an, mir Matratze und Bettzeug zu leihen, bis ich etwas Passendes gefunden hätte. Ich nahm die Offerte dankend an. Am Sonntagabend war alles erledigt. Ich zog in mein Apartment ein. Jetzt benötigte ich nur noch ein Auto.
Tags darauf fuhr ich mit Mu zur Arbeit. Mu war lustig. Sie redete entweder gar nicht oder es sprudelte ohne Unterbrechungen und Atempausen aus ihr heraus. Sie musste Kiemen haben! Anders war nicht zu erklären, wie sie – wenn