Die Flusspiraten des Mississippi. Gerstäcker Friedrich

Die Flusspiraten des Mississippi - Gerstäcker Friedrich


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      Gesammelte Schriften

      Friedrich Gerstäcker

      Die Flußpiraten des Mississippi

      Aus dem Waldleben Amerikas – zweite Abteilung

      Volks- und Familien-Ausgabe Band Acht

      der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

      Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald und Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck.

      Neben zahlreichen historischen Bildern wurden aus der Ausgabe „Friedrich Gerstäckers Weltreiseromane und Erzählungen“ im Verlag Neufeld & Henius 12 Bilder von A. Wald aufgenommen.

      Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und

      die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. u. Edition Corsar

      Braunschweig. Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17

      38108 Braunschweig

      Alle Rechte vorbehalten. © 2005 / 2020

      Vorwort

       Schon in früheren Zeiten, als die westlichen Staaten noch als Territorium der Union galten, Dampfboote die Wasser jener mächtigen Ströme noch nicht aufwühlten, und nur unbehilfliche Kiel- und Flatboote – oft auch sehr passend Archen genannt – die Handelsverbindung im Innern unterhielten, hatte sich auf einer der zahlreichen Inseln dieses Stromes, Stack oder Crowsnest Island – oder Nr. Vierundneunzig, wie sie jetzt genannt wird, eine völlige Raubbande organisiert, die nicht allein, was in ihren Bereich kam, mordete und plünderte, sondern auch in ihrem Versteck eine Falschmünzerei unterhielt, von wo sie mit ihren Banknoten das ganze westliche Land überschwemmte. Die Gesetze waren nicht hinreichend, die Bewohner der Union zu schützen, und die Backwoodsmen mußten sich deshalb selbst dagegen bewahren. Der damalige „Navigator“ oder das Lotsenbuch der westlichen Ströme sagt Folgendes über diese Bande:

       „Stack Island, not long since, was famed for a band of counterfeiters, horsethieves, robbers, murderers etc. who made this part of the Mississippi a place of manufacture and deposite. From hence they would sally forth, stop boats, buy horses, flour, whiskey etc. and pay for all in fine new notes of the ‘first water’. Their villanies, after many servere losses sustained by innocent good men, unsuspecting the cheat, became notorious, and after several years search and pursuit of the civil, and in some case the club law, against this band of monsters, they have at length disappeared.”1

      In späteren Jahren, als die Wachsamkeit der Uferbewohner nachgelassen und man der früheren Insel gar nicht mehr gedachte, sammelten sie sich aber wieder weiter oben, zwischen den Staaten Mississippi und Arkansas, und verübten hier Grausamkeiten ohne Ende. In einem Lande, wo sich der vierte Teil der Bevölkerung stets auf Reisen befindet, ist es aber sehr schwer, ja fast unmöglich, einen Mord zu entdecken, da man, wenn nicht der Zufall dabei tätig ist, selten weitere Beweise hat, als daß der Mann eben fehlt. Die Seinigen beweinen ihn nicht einmal, denn daß er tot sein könne, ist ihr letzter Gedanke. Sie vermuten ihn auf irgend einer Spekulation nach Texas oder anderen neuen Staaten begriffen, und hoffen, ihn mit der Zeit zurückkehren zu sehen.

       Jedes Verbrechen hat aber sein Ziel; die Buben wurden durch die ungestrafte Ausübung ihrer Schandthaten nach und nach dreister, ihre Verbindung breitete sich immer mehr aus, und ihre Entdeckung mußte endlich die Folge davon sein. In Arkansas und Texas hatten sich indessen Regulatorenbündnisse gegründet, und so überfielen auch hier die nächsten Nachbarn jene Verbrecherkolonie, die Insel, und übten so fürchterliche Gerechtigkeit an den Schuldigen, daß sie alle, die sie nicht selber ergriffen und vernichteten, weit hinausjagten in ferne Teile Amerikas, nur um ihrem strafenden Arm zu entgehen. Ein Teil der sogenannten „Morrel’schen Bande“2 stand mit diesen Flußpiraten in Verbindung; Morrel selber wurde gefangen und sitzt jetzt, wenn ich nicht irre, im Zuchthaus von Pennsylvanien oder Mississippi; das aber, was den Backwoodsmen3 unter die Hände fiel, kam in kein Gefängnis – es war ein blutiger Tag, der jenen Räubereien ein Ende machte.

       Den Schauplatz habe ich nach Helena und in dessen nächste Umgebung verlegt, die wirkliche Insel befand sich aber etwas weiter unten als Einundsechzig.

      ERSTES KAPITEL

      Der alte Farmer

       Dort, wo der Wabasch die beiden Bruderstaaten Illinois und Indiana von einander scheidet, und seine klaren Fluten dem Ohio zuführt, wo er sich bald zwischen steilen Feldsufern, bald zwischen blühenden Matten und blumigen Prairien, oder auch unter dem ernsten Schatten und feierlichen Schweigen des dunklen Urwalds hin, murmelnd und plätschernd durch tausend stille Buchten drängt, mit dem Schilf und mit einzelnen schwankenden Weidenbüschen spielt und tändelt, hier halb leise und behaglich über runde Kiesel und grüne Rasenflecken dahingleitet, bald wieder plötzlich wie im tollen Mutwillen herausschießt in die Mitte des Bettes und da, von der Gegenströmung erfaßt, kleine blitzende Wellen schlägt und glitzert und funkelt – da lagen im Frühling des Jahres 184-, die Büchsen neben sich in das schwellende Gras geworfen, zwei Männer auf einer dichtbewaldeten Anhöhe. Im Süden stemmte sich dieselbe dem Lauf des Stromes entgegen und zwang ihn, brausend und scheinbar unwillig über die trotzige Hemmung wieder seitab zu fluten; mußte er doch den starren Gesellen umgehen, der weder durch das leise, schmeichelnde Plätschern der Wellen, noch durch den mächtigen Andrang der zornig aufgeschwellten Wasser hatte bewogen werden können, auch nur einen Zoll breit seines behaupteten Grundgebiets preiszugeben.

       Der eine der Männer war noch jung und kräftig, kaum älter als drei- oder vierundzwanzig Jahre, und seine Tracht verriet eher den Bootsmann als den Jäger. Der kleine runde und niedere Wachstuchhut, mit dem breiten flatternden Band darum, saß ihm keck und leicht auf den krausen blonden Haaren. Die blaue Matrosenjacke umschloß ein Paar Schultern, deren sich ein Hercules nicht hätte zu schämen brauchen, und das rotwollene Hemd wurde von einem schwarzen seidenen Halstuch, wie die weißen segeltuchnen Beinkleider von einem schmalen festgeschnallten Gürtel über den Hüften zusammengehalten. Dieser hielt zu gleicher Zeit noch die lederne Scheide mit dem einfachen Schiffsmesser und vollendete den seemännischen Anzug des Fremden.

       Daß er aber auch in den Wäldern heimisch, bewiesen die sauber gearbeiteten Moccasins4, mit denen seine Füße bekleidet waren, wie die von seiner Hand erlegte Beute, ein stattlicher junger Bär, der vor ihm ausgestreckt auf dem blutgefärbten Rasen las. Ein großer, schwarz und grau gestreifter Schweißhund aber saß daneben und hielt die klugen Augen noch immer fest auf das glücklich erjagte Wild geheftet. Die heraushängende Zunge, das schnelle heftige Atmen des Tieres, ja sogar ein nicht unbedeutender Fleischriß an der linken Schulter, von dem die klaren Blutstropfen noch langsam niederfielen, bewiesen übrigens, wie schwer ihm die Jagd geworden, und wie teuer er den Sieg über den stärkeren Feind erkauft habe.

       Der zweite Jäger, ein Greis von einigen sechzig Jahren, wurde allerdings an Körperkraft und Stärke von seinem jüngeren Begleiter übertroffen, trotzdem sah man aber keiner seiner Bewegungen das vorgerückte Alter an. Seine Augen glühten noch in fast jugendlichem Feuer, und seine Wangen färbte das blühende Rot der Gesundheit. Nach Sitte der Hinterwäldler war er in ein einfach baumwollenes Jagdhemd, mit eben solchen Fransen besetzt, lederne Leggins und grobe Schuhe gekleidet. In seinem Gürtel stak aber statt des schmalen Matrosenmessers, das sein Gefährte trug, eine breite, schwere Klinge, ein sogenanntes Bowiemesser, und die wollene, fest zusammengerollte Decke hing ihm, mit einem breiten Streifen Bast befestigt, über der Schulter.

       Beide hatten sich augenscheinlich hier, wo sie ihr Wild erlegt, nach der gehabten Anstrengung für kurze Rast ins Gras geworfen, und der Alte, während er sich auf den rechten Ellbogen stützte und der eben hinter den Bäumen versinkenden Sonne nachsah, brach jetzt zuerst das Schweigen.

       „Tom“, sagte er, „wir dürfen hier nicht lange liegen bleiben.


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