Die Flusspiraten des Mississippi. Gerstäcker Friedrich

Die Flusspiraten des Mississippi - Gerstäcker Friedrich


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horchten, ob wir irgend etwas Verdächtiges hören konnten. Da rief Dickson auf einmal: ‚Hierher, Leute – da sind sie – die Schufte!’ und sprang in die Höhe, während ich schnell nach meinem Messer griff und das verdammte Ding in aller Eile nicht finden konnte. Dickson aber mußte sich mit den Füßen in dem dünnen Gazestoff, aus dem das Netz bestand, verwickelt haben. Ich hörte einen Fall auf das Deck und sah, als ich mich schnell danach umwandte, zwei dunkle Gestalten, die wie Schatten über den Rand des Bootes glitten und sich auf ihn warfen.

       In dem Augenblick trat ich auf eine Handspeiche, die wir am vorigen Abend gebraucht hatten, und das war die einzige Waffe, die hier von Nutzen sein konnte. Mit Blitzesschnelle riß ich sie in die Höhe, rief den anderen zu – wir hatten noch drei Matrosen und einen Jungen an Bord – das Tau zu kappen, und schmetterte mit dem schweren Holz auf die Köpfe der beiden dunklen Halunken nieder, die auch im nächsten Augenblick wieder von Bord sprangen oder wahrscheinlicher stürzten; denn meine Keule saß am nächsten Morgen voll Gehirn und Blut.

       Während die Übrigen, ebenfalls noch halb schlaftrunken, emportaumelten, hatte der Junge so viel Geistesgegenwart behalten, mit einem glücklicherweise dort liegenden Handbeil das Tau zu kappen, so daß schon im nächsten Augenblick der Schoner, von der starken Ebbe mit fortgenommen, stromab trieb.

       Meiers und Howitt, zwei von den anderen Matrosen, versicherten mir nachher noch, sie hätten ebenfalls fünf von den Schuften, die am Schiffsrand gehangen, auf die Schädel geklopft; ich weiß freilich nicht, ob es wahr ist. Unser armer Kapitän war aber tot – er hatte einen Lanzenstich durch die Brust und einen Keulenschlag über den Kopf bekommen, und lag, als wir endlich am anderen Ufer wieder etwas freier Atem schöpften, starr und leblos an Deck.“

       „Und was wurde aus der Ladung?“

       „Die verkaufte ich noch in derselben Woche, befrachtete dann die ‚Charlotte’, so hieß der Schoner, mit bei uns verkäuflichen Gegenständen, und lief vier Monate später gesund und frisch in Charlestown, wo Dicksons Witwe lebte, ein. Die arme Frau trauerte allerdings über den Tod ihres Mannes, das Geld aber, was ich ihr brachte, tröstete sie wohl in etwas. Acht Wochen später heiratete sie wenigstens einen Pflanzer in der Nachbarschaft. Das sind Schicksale.“

       „Sie wußte doch wenigstens, wo ihr Mann geblieben“, flüsterte der alte Mann halb vor sich hin, „wußte, daß er tot, und wie er gestorben sei. Wie manche Eltern harren aber Monden – Jahrelang auf ihre Kinder, hoffen in jedem Fremden, der die Straße wandert, in jedem Reisenden, der Nachts an ihre Tür klopft, das geliebte Antlitz zu schauen, und – müssen sich am Ende doch selbst gestehen, daß sie tot – lange, lange tot sind, und daß Haifisch oder Wolf ihre Leichen gerissen oder ihre Gebeine benagt haben."

       „Ja, du lieber Gott“, sagte Tom, indem er, um ein etwas lebhafteres Feuer zu erhalten, einen neuen Ast auf die Kohlen warf, „das ist eine sehr alte Geschichte. Wie viele kommen nur in diesen Wäldern um8, die auf den Flüssen gar nicht gerechnet, von denen die Ihrigen selten oder nie wieder erfahren, was aus ihnen geworden ist. Wie viele Tausend gehen auf der See zu Grunde! Das läßt sich nicht ändern, und so oft ich auch in Lebensgefahr gewesen bin, daran hab’ ich nie gedacht.“

       „Manchmal kehren sie aber auch wieder zu den Ihrigen zurück“, sagte der Alte mit etwas freudigerer Stimme. „Wenn diese sie schon lange auf- und verloren geben, dann klopfen sie plötzlich an das so lange nicht gesehene, so heiß vielleicht ersehnte Vaterhaus, und die Eltern schließen weinend – aber Freudentränen weinend, das liebe, böse Kind in die Arme.“

       „Ja“, erwiderte Tom ziemlich gleichgültig, „aber nicht oft. Die Dampfboote fressen jetzt eine unmenschliche Anzahl Leben; bei denen geht’s ordentlich schockweise. Das – aber Ihr rückt ja ganz von der Decke herunter“, unterbrach er sich, während er sein erst verlassenes Lager wieder einnahm; „die Nacht ist zwar warm, doch auf dem feuchten Grunde zu liegen, soll gerade nicht übermäßig gesund sein.“

       „Ich bin’s gewohnt“, erwiderte der Alte, und zwar, wie es schien, ganz in seine eigenen trüben Gedanken vertieft.

       „Und wenn Ihr’s auch gewohnt seid, die Decke liegt einmal da, warum sie nicht benutzen!“

       „An der Stelle dort, wo ich lag, müssen Wurzeln oder Steine sein – es drückte mich an der Schulter, und ich rückte deshalb aus dem Wege.“

       „Nun, danach können wir leicht sehen“, meinte Tom gutmütig, „es wäre überhaupt besser, ein wenig dürres Laub zu einem vernünftigen Lager zusammenzuscharren, als hier auf der harten Erde liegen zu bleiben. Steht einen Augenblick auf, und in einer Viertelstunde soll alles hergerichtet sein.“

       Edgeworth erhob sich und trat zu der knisternden Flamme, in die er mit dem Fuße einige der durchgebrannten und hinausgefallenen Klötze zurückschob. Tom zog indessen die Decke weg und fühlte nach den darunter verborgenen Wurzeln.

       „Hol’s der Henker“, lachte er endlich, „das glaub ich, daß Ihr da nicht liegen konntet. Eine ganze Partie Hirschknochen steckte darunter und keine Wurzeln; daß wir das aber auch nicht gleich gesehen haben!“ Er warf bei diesen Worten die Knochen gegen das Feuer zu und kratzte nun mit den Füßen und Händen das in der Nähe herumgestreute Laub herbei, bis er ein ziemlich weiches Lager zusammen hatte. Dann breitete er wieder sorgfältig die Decke darüber, trug noch einige heruntergebrochene Äste zur Flamme, um in der Nacht wieder nachlegen zu können, zog Jacke und Moccasins aus, deckte die erstere sich über die Schultern, und lag bald darauf lang ausgestreckt auf der Decke, um ein paar Stunden zu schlafen und die Ankunft des Bootes am nächsten Morgen nicht zu versäumen.

       Edgeworth hatte dagegen einen der neben ihn hingeworfenen Knochen aufgenommen und betrachtete ihn mit größerer Aufmerksamkeit, als ein so unbedeutender Gegenstand eigentlich zu verdienen schien.

       „Nun – seid Ihr nicht müde?“ frug ihn sein Gefährte endlich, der zu schlafen wünschte, „laßt doch die Aasknochen und legt Euch nieder. Es wird Tag werden, ehe wir’s uns versehen.“

       „Das ist kein Hirschknochen, Tom!“ sagte der Alte, indem er sich zum Feuer niederbog, um das Gebein, das er in der Hand hielt, besser und genauer betrachten zu können.

       „Nun, so ist’s von Wolf oder Bär“, murmelte dieser, schon halb eingeschlafen, mit schwerer Zunge.

       „Bär? Das wäre möglich“, erwiderte nachdenkend der Alte, „ja, ein Bär könnt’ es sein, ich weiß aber doch nicht – mir kommt’s wie ein Menschenknochen vor –“

       „Tretet doch den Hund einmal in die Rippen, daß er das verdammte Scharren läßt“, sagte der Matrose ärgerlich. „Menschenknochen – meinetwegen auch; wie sollten aber Menschenknochen –“

       Er fuhr auf einmal schnell und ganz ermuntert von seinem Lager empor, während er scheu und wild zu den Bäumen hinauf schaute, die ihn umstanden.

       „Was ist Euch?“ frug Edgeworth erschrocken, „was habt Ihr auf einmal?“

       „Verdammt will ich sein“, sagte Tom sinnend und immer noch ängstlich umherblickend, „wenn ich – nicht glaube –“

       „Glaube, was? Was habt Ihr?“

       „Ist das wirklich ein Menschenknochen?“

       „Mir kommt er so vor. Es muß das Hüftbein eines Mannes gewesen sein, denn für einen Hirsch ist es zu stark und für einen Bären zu lang. Aber was ist Euch?“

       Tom war emsig beschäftigt, seine Moccasins wieder anzuziehen, und sprang jetzt auf die Füße.

       „Wenn das ein Menschenknochen ist“, rief er, „so kenne ich den, dem er gehörte, und habe ihn selbst mit Ästen und Zweigen zugedeckt, als wir ihn fanden. Darum lag also auch hier so viel halbverfaultes Holz auf einem Haufen. Ja, wahrhaftig, das ist der Platz und dieselbe Eiche, unter der wir ihm sein Grab machten; das Kreuz – der Auswuchs hier soll ein Kreuz sein – hieb ich damals mit meinem eigenen Tomahawk in den Stamm. Der arme Teufel - “

       „Auf welche Art starb er denn, und wer


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