Nach Amerika! Bd. 1. Gerstäcker Friedrich
Giftpflanzen dazwischen stand, mischte noch sein saftgrünes Laub, dem jungen Auge nicht erkennbar, mit Blumen- und Blütenpracht.
Aber der Moment näherte sich auch, wo mit der vorgerückten Jahreszeit all’ die nötigen und mannigfaltigen Vorbereitungen zu einer so langen Reise, zu einer gänzlichen Umgestaltung all’ ihrer Verhältnisse getroffen werden m u ß t e n, auch schien die Zeit eine passende für den Sohn, der, von der Schule gerade abgegangen, eben sein Abiturientenexamen glücklich bestanden hatte. Der Vater wünschte allerdings, daß er hier erst studieren und ihnen dann später, wenn er etwas Tüchtiges gelernt, folgten sollte, dachte ihm aber doch die freie Wahl zu lassen und seinem Herzen keinen Zwang aufzuerlegen.
Am nächsten Morgen nach der durchschwärmten Nacht waren die beiden jungen Damen spät aufgestanden, und nur der Sohn zur gewöhnlichen Zeit ausgegangen, um seine ,englische Stunde’ zu halten. Als aber Marie – die zweite Tochter – bald nach Anna zum Kaffee herüberkam, saß der Vater ungewohnter-weise nicht in seiner Studierstube an der Arbeit, sondern im Sofa, aus der langen Pfeife den Dampf in weißen Kräuselwolken von sich blasend, und die Mutter am Nähtisch, Kleider für das Jüngste ausbessernd, das in seinem herübergeschafften Bettchen wieder mit klaren Augen seine Puppe schaukelte.
«Schon ausgeschlafen, Väterchen?» sagte Marie, als sie, etwas beschämt, als letzte am Kaffeetisch Platz genommen. «Ich habe wohl heut recht lange geschlafen? Aber – was ist Dir denn? – Und der Mutter auch!» rief sie, vom Stuhl wieder aufspringend, als sie das ungewohnte ernste Wesen der Eltern gewahrte. «Bist Du böse auf mich, Mütterchen?»
«Nein, mein Kind», sagte diese und zwang ein Lächeln auf die Lippen, «aber der Vater hat Euch etwas recht Ernstes heute zu sagen, von dem wir noch nicht wissen, ob es Euch betrüben wird oder nicht.»
«Der Vater!» rief Marie erschreckt, und auch Anna, die älteste Tochter, sah ängstlich zu ihm auf.
Professor Lohenstein aber, so in die Enge und zum Äußersten getrieben, hustete, paffte den Dampf ein paarmal scharf vor sich hin, um die Pfeife ordentlich in Glut zu bringen, und sagte:
«Ja, Kinder, Ihr wißt – wir – wir haben doch in den letzten Tagen viel über Nordamerika gesprochen, und auch manches gelesen…. »
«Ja, die herrlichen Romane von Cooper!» rief Marie rasch.29
«Und die schrecklichen Berichte im Tageblatt», lächelte Anna.
«Der Doktor Hayde ist ein Esel», sagte der Professor, den rauch wieder ein paarmal rasch ausstoßend. «Wenn der hätte in Amerika ordentlich arbeiten wollen, brauchte er sich jetzt nicht von einer Winkeladvokatur und vom Schimpfen auf freisinnige Leute zu ernähren. Über dessen Berichte wollen wir uns keine Sorgen machen, aber… » Er schwieg wieder einen Augenblick und sah, wie furchtsam, nach der Frau hinüber. Die jedoch arbeitete umso emsiger weiter, und selber mit dem Bedürfnis, dem, was ihn schon so lange gedrückt, endlich einmal Worte zu geben, fuhr er rasch fort: «Ich habe eine Frage an Euch zu tun, Kinder: Hättet Ihr – hättet Ihr wohl selber Lust, hinüber nach – nach Amerika zu gehen?»
«Nach Amerika!» rief Anna rasch und auch wohl erschreckt. Marie aber sprang auf, schlug in die Hände und rief jubelnd:
«Nach Amerika! Oh, das wäre ja prächtig – das wäre herrlich! – Nicht war, da sind a u c h Bälle, Väterchen?»
Die Mutter seufzte tief auf, und der Vater zog wieder etwas verlegen an der Bernsteinspitze.
«Hm – ich weiß nicht», sagte er, langsam mit dem Kopf schüttelnd, «wo wir im Anfang hinwollen, werden wohl keine sein. Hängst Du so an Bällen, Marie?»
«Ich tanze gern», lächelte das junge fröhliche Mädchen etwas verlegen und schüchtern.
«Nun, tanzen wirst Du dort hoffentlich auch können, mein Kind», sagte der Vater freundlich, «wenn auch nicht gerade gleich auf solchen Bällen, wie wir sie hier gewohnt sind – das Leben ist dort einfacher.»
«Oh, und bis zum nächsten Fasching sind wir gewiß auch wieder zurück!» rief Marie.
Der Vater schwieg erst eine kleine Weile und sagte dann leise, aber entschlossen:
«Wir wollen g a n z hinüberziehen, mein Kind.»
«Auswandern?» rief die ältere Schwester fast erschreckt – das Wort, dessen Bedeutung sie noch gar nicht vollkommen verstand, traf sie mit einem unbekannten ahnenden Gefühl von Schmerz und Leid. «Und die Mutter?»
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