Der Schatten Deiner Seele. Hazel McNellis

Der Schatten Deiner Seele - Hazel McNellis


Скачать книгу
zum Himmel zeigten. Der Mittag war längst verstrichen und die Abendsonne lugte zwischen den Wolken hervor. Ariana lehnte sich näher zum Fenster, um ihr neues Heim genauer zu betrachten. Zuerst fielen ihr die Ziegel und Schindeln des Palastes auf. Blutrot schimmerten sie im Sonnenlicht. Beklemmung stieg frostig in ihr auf. Sie rieb sich die Hände, als könnte sie auf diese Art das Frösteln abschütteln, dass sie bei dem Anblick heimsuchte.

      Im Palast ihres Vaters waren sämtliche Mauern glatt verputzt und strahlendweiß. Sie vermittelten eine Offenheit und Freundlichkeit, die sonst nirgends zu finden war. Hier hingegen wirkte alles dramatisch, übertrieben bedrohlich und abschreckend.

      »Es ist lange her, dass ich dein Zuhause besuchte«, meinte sie. Fionn schnaubte. »Wir waren immer in Tarnàl. Es gab keinen Grund für dich, ausgerechnet hierher zu kommen.«

      Bitterkeit begleitete seine Stimme. Er hielt die Aufmerksamkeit auf das gegenüberliegende Kutschenfenster gerichtet. Dort rauschte die rote Farbe vorbei, kaum dass sich die Kutsche wieder in Bewegung setzte.

      »Ich habe kaum eine Erinnerung daran. Es ist ganz anders als Tarnàl«, meinte sie.

      »Du bist jetzt hier zuhause«, antwortete er ihr.

      »Ich weiß«, erwiderte sie. »Wann warst du zuletzt bei deinem Vater?«

      »Ich verbrachte das letzte halbe Jahr mit der Suche nach dir. Hast du das vergessen?« Endlich sah er sie an. »Anders als du hatte ich keine Muse, um mich anderweitig umzusehen.«

      Schmerz erfüllte sie. »Das wollte ich nicht.« Ihre Stimme war bloß noch ein Flüstern. Es tat ihr leid, dass sie ihm Probleme bereitet hatte. Fionn machte eine abwehrende Bewegung. »Jedenfalls war ich lange nicht hier. Der Tod meiner Mutter bot den letzten Anlass für einen Besuch.«

      »Ich verstehe.«

      Ariana senkte den Blick auf ihren Schoß. Genau wie sie hatte er seine Mutter bereits vor Jahren verloren. Während die Königin von Tarnàl als verschollen galt, war Fionns Mutter verstorben. Der Prinz verbrachte daraufhin deutlich mehr Zeit in Tarnàl. Alle vermuteten, es lag an der bevorstehenden Verlobung mit Ariana. An ihrer Allianz. Der Verbindung ihrer beider Häuser miteinander. Dabei war es mehr als Freundschaft, die ihn mit ihr verband.

      Das auf den Tod der Königin folgende Staatsbegräbnis ließ die Herrscher solidarisch zusammenrücken. Doch der Prinz war seitdem mit seinem Vater zerstritten. Ariana hatte sich damals bemüht, ihm in dieser schwierigen Zeit beizustehen. Sie ahnte nicht, dass ihr Verhalten den Gerüchten über eine baldige Vermählung neues Futter gab. Zu dem Zeitpunkt war es ihr sogar gleichgültig gewesen, was die Bevölkerung dachte. Es hatte sie einfach nicht gekümmert. Jetzt jedoch war alles anders.

      »Dann hat dein Vater all die Zeit allein hier verbracht?«

      Fionn schüttelte den Kopf. »Nicht doch.« Erneut vernahm sie den bitteren Tonfall in seiner Stimme. »Er hatte ja genug Gespielinnen, die ihm den Alltag versüßten.«

      Schockiert starrte sie ihn an. Er stellte seinen Vater als Schwerenöter dar. Dabei erinnerte sie sich unweigerlich an ihre eigene Zeit am Hof des Elfenkönigs. Auch dort hatte sie mit derlei Gerüchten zu tun gehabt. Der Gedanke erhitzte ihr die Wangen.

      »Bist du sicher?«, fragte sie und beobachtete, wie Fionn den Mund zu einem schalen Lächeln verzog.

      »Ich war es, der ihn oft genug mit einer erwischte.« Er schnaubte. »Zum Glück möchte ich hinzufügen. Es war ein günstiger Zufall, dass ich es war und nicht meine Mutter. Das hatte sie nicht verdient.«

      »Entschuldige«, entgegnete Ariana nach einem Augenblick. »Ich wollte keine schlechten Erinnerungen wecken.«

      Fionn zuckte mit der Schulter. »Es ist ewig her. Die Mätressen waren der Grund, warum ich fernblieb. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn ich länger geblieben wäre.«

      Er ballte die Hand im Schoß zu einer Faust. Eine Welle von Mitgefühl erfasste Ariana. Sie gab sich einen Ruck und neigte sich vor, um sie mit ihren zu umschließen. Früher standen sie sich nahe. Da war das Ergreifen einer Hand eine freundschaftliche Geste und mehr nicht. Jetzt aber tat sie es mit einem flauen Gefühl in der Magengrube. Sie sah ihm ins Gesicht und sagte: »Es spricht für dich, dass du die Distanz gesucht hast.«

      »Findest du? Ich hätte meiner Mutter helfen können, wenn ich geblieben wäre.«

      »Dich trifft keine Schuld, Fionn. Wir wissen nicht, was im Einzelnen geschah, oder?«

      Er seufzte. Seine Hand öffnete sich und er umfasste ihre Finger. »Die Diener sehen das anders. Es gab Gerüchte, Ari. Viele Gerüchte. Keines davon warf ein gutes Licht auf meinen Vater. Ich will alles dafür tun, um nicht wie er zu werden.«

      »Natürlich«, entgegnete sie mit einem Lächeln.

      In dem Moment hielt die Kutsche an. Er löste ihren Kontakt und griff an ihr vorbei, um die Tür zu öffnen.

      Ein bereitstehender Diener verneigte sich. »Willkommen zurück in Farnàl, Prinz Fionn nebst Gemahlin, Prinzessin Ariana von Tarnàl.«

      Hohe Mauern umgaben sie wie ein unheilvolles Gemäuer, ein Labyrinth des Todes. Sie fröstelte und schüttelte sich kurz, um den Schauer wieder loszuwerden. Nur wenige Fenster waren in die Wände eingelassen. Wachmänner standen vor sämtlichen Eingängen. Ariana lehnte diesen Zustand in ihrem Innersten sofort ab. Sie beschloss, mit Fionn darüber zu sprechen, sobald es sich ergab.

      Er ergriff ihren Arm und schritt mit ihr auf eine breite Eingangstür zu. Hier gab es keine Zugangstreppe wie in Tarnàl, keine freundlichen Gesichter, keinen großen Garten. Farnàl glich in all seiner Düsternis fast einer Grabstätte.

      »Da seid ihr endlich!«, erklang eine tiefe, kratzige, aber eindeutig erfreute Stimme. Ihnen eilte ein korpulenter, etwas klein gewachsener Mann entgegen. Ein warmes Lächeln dominierte seine Züge. Er breitete die Arme aus und zog erst sie, dann seinen Sohn in eine herzliche Umarmung.

      »Es ist lange her, Prinzessin«, meinte er. »Erlaube, dass ich mich ein weiteres Mal vorstelle: Ich bin Fionns Vater, König Persàl von Farnàl.«

      Ariana erwiderte die Begrüßung mit einem hoheitlichen Knicks. »Ich bin erfreut, Euch zu sehen, mein König.«

      »Ach, Mädchen«, fuhr er fort, kaum dass sie wieder aufrecht stand, »das wurde ja höchste Zeit!« Seine Stimme tönte weithin vernehmlich über den Hof. Ariana blinzelte irritiert. Niemand hatte sie je zuvor »Mädchen« genannt. Sie schaute zu Fionn hinüber, der jedoch nur mit der Schulter zuckte und ihre Hand in seine Armbeuge legte. Persàl deutete auf die Tür.

      »Lasst uns hineingehen. Ihr seid sicher erschöpft, durstig und hungrig von der Reise hierher. Wie geht es König Arlàn?«

      »Er grüßt Euch herzlich«, erwiderte Ariana.

      »Es ist Jahre her, dass wir uns begegnet sind. Damals weilte deine Mutter noch unter uns.«

      »Wir haben nie erfahren, ob sie tot ist.«

      »Sie verschwand einfach, nicht wahr? Verzeih, ich wollte sicher keine alten Wunden aufreißen.«

      Fionn schnaubte und Persàl wandte sich ihm zu. »Es ist auch schön, dich wiederzusehen, Sohn. Dein letzter Besuch wurde ja leider von einem anderen Ereignis überschattet. Es ist lange her.«

      »Spar dir das, Vater. Wir wissen beide, dass wir einander nicht viel zu sagen haben.«

      »So?« Der König sah seinen Abkömmling brüskiert an. »Dann frage ich mich allerdings, warum du mit deiner Frau überhaupt hergekommen bist?«

      »Über die Details sprechen wir besser drinnen. Ariana begleitet mich, da ich sie dir aus reiner Höflichkeit nicht vorenthalten wollte.«

      »Wie anständig von dir. Die Erziehung deiner Mutter hat in dem Fall wohl etwas genützt, nicht wahr?«

      Der schneidende Tonfall war Ariana unangenehm. Die Muskeln in Fionns Arm spannten sich unter ihrer Hand an und wieder ballte er seine Hand zur Faust.

      Sie räusperte sich. »Ich freue mich darauf, Farnàl näher kennenzulernen.«

      Persàl löste seinen Blick von Fionn und lächelte sie an. »Die Freude


Скачать книгу