In Amerika. Gerstäcker Friedrich

In Amerika - Gerstäcker Friedrich


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      In Amerika.

      Amerikanisches Lebensbild aus neuerer Zeit.

      Im Anschluss an „Nach Amerika!“

      von

      Friedrich Gerstäcker

      Gesammelte Schriften

      Zweite Serie. 19. Band

      Volks- und Familien-Ausgabe

      H. Costenoble, Jena

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig

      Ungekürzte Ausgabe nach der von Friedrich Gerstäcker für die Gesammelten Schriften, H. Costenoble Verlag, Jena, eingerichteten Ausgabe „letzter Hand“ herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Thomas Ostwald und Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck.

      Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

      Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und

      Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., u. Edition Corsar 2020

      Geschäftsstelle Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

      Alle Rechte vorbehalten © 2020

      ERSTES KAPITEL

      Eine Menschenjagd.

       „Hupih! Hu! Meine Hunde – huh! Huh! Fass’! fass’. So recht, Bull! Such’, mein Tier – so recht, Nigger! Such’, mein Hund! Lass’ ihn nicht aus. Die Kanaille kann nicht mehr weit sein, Gentlemen – er scheint hier Kreuz- und Quersprünge gemacht zu haben, um uns irre zu führen. Das ist immer ein gutes Zeichen. In einer Stunde haben wir ihn.“

       „Glaubt Ihr, Sherard?“, rief ein junger Mann in einem breitrandigen Panamahut, eine riesige Peitsche in der Hand, und zwei Revolver mit Elfenbeingriffen in seinem Gürtel steckend, indem er seinen braunen Hengst unmittelbar neben jenem einzügelte. „Zehn Dollar leg’ ich Euch noch zu, wenn Ihr wahr sprecht!“

       „Habt keine Angst, Mr. Harper“, lachte der erste der Reiter, der aber eigentlich gar nicht einem südlichen Pflanzer glich, sondern eher, im Aussehen wie seinem Dialekt nach, den Yankeestaaten entstammt schien. „I guess we’ll tree him directly1. – Da geht Nigger wieder. By God, er ist rechts abgesprungen.“

       „Aber die Hunde haben die Spur schon wieder verloren!“ rief der junge Harper, indem er den Boden überall mit den Blicken absuchte, als ob er selber da im Stande wäre, eine Fährte zu erkennen.

       „Halt, Gentlemen, halt!“, rief da der Yankee, indem er den Arm empor hob und vier oder fünf Reiter, die jetzt angesprengt kamen und augenscheinlich zu dem Zug gehörten, zurückzuhalten suchte. „Wir dürfen nicht weiter reiten oder wir machen die Hunde irre. Nur einen Augenblick Geduld, sie werden die Spur gleich wieder haben.“

       Waren es Jäger? Keiner von ihnen trug eine Büchse oder ein sonstiges Gewehr; auch die Hunde waren keine eigentlichen Bracken, wie man sie sonst so häufig zur Hetzjagd in diesen Wäldern benutzt, sondern ein paar, übrigens prachtvolle, Rüden, mit einer Form, ähnlich wie unsere deutschen glatthaarigen Hühnerhunde, nur von schwererem Behäng und etwas höheren Läufen, wie mehr eingedrückter Nase und fast „Bulldog“-artigem Gebiß.

       Der eine von ihnen, ,Nigger’, mit dem Schimpfwort der Neger genannt, war rabenschwarz, nur mit einem kleinen weißen Stern vorn an der Stirn, wie einem weißen Vorderfuß; Bull, der zweite, rotbraun und schwarz gefleckt, hatte merkwürdigerweise ebenfalls das Abzeichen am linken Vorderfuß. Es schienen ein paar wilde Bestien, das sah man ihnen auf den ersten Blick an; die rotfunkelnden Augen blitzten ordentlich in Hass gegeneinander, wenn sie sich auf der jetzt wirren Suche einmal in Haß und Gier kreuzten, und schärfer als ein Wolfsgebiß kamen dann die weißen langen Fänge zum Vorschein.

       Die Hunde schweiften eine Strecke rechts ab, aber keineswegs auf der Spur, die da jedenfalls wieder verlief, als der eine der alten Ansiedler, der die Hetze begleitete, einer der reichsten Plantagenbesitzer hier in der ganzen Nachbarschaft, ausrief:

       „Hallo, Mr. Sherard – sehen Sie einmal hier die niederhängende Rebe. Ist der Schuft dort hinüber gelaufen und hat die Rebe ein Stück mitgenommen, so kann er sich recht gut einen Schwung nach d e r Richtung gegeben haben. Die Kanaillen sind mit allen Teufeln gehetzt.“

       „By God! Das ist möglich!“, rief der Yankee, indem er näher an die Stelle hinanritt.

       „Dann ruft Eure Hunde zurück und bringt sie dort hinüber, denn wir vertrödeln zuviel Zeit, und gewinnt er das Wasser, so können wir nur ruhig nach Hause zurückreiten.“

       Die Hunde kamen schon von selber; sie hatten in einem Kreis dort doppelt abgesucht und sich vollständig überzeugt, dass nach jener Seite hin keine Fährte weiter lag: kaum aber mochten sie zwanzig Schritt über den Kreis, nach der anderen Richtung hinaus sein, an dem sie vorhin irre geworden, als der eine von ihnen, Nigger, ein kurzes Brummen ausstieß und mit der Nase dicht am Boden hinfuhr.

       „Hupih! Fass’ ihn, mein Hund! Hupih!“, schrie der Yankee, sich hoch im Sattel aufrichtend. „Huh! Huh!“, setzte er mit seiner gellenden und weithin durch den Wald schallenden Stimme hinzu. „Hupih! J e t z t haben wir ihn, Gentlemen – vorwärts – hupih! Meine Hunde....“. Und seinem Tier den nur am linken Hacken angeschnallten Sporen einsetzend, flog er, von den Gefährten dicht gefolgt, jetzt wieder in voller Hetze hinter den flüchtig davongehenden Hunden her.

       Der Wald von Georgia, einem der südlichen, damals mit der Union noch im Kampf befindlichen Staaten von Nordamerika2, lag in der vollen Pracht seiner herbstlichen Färbung, und so still und scheinbar unberührt, als ob jetzt nicht da droben im Norden, in dem ganzen weiten Land die Kriegsfurie wütete, und die blutgetränkten Berge das Echo donnernder Feuerschlünde wiedergäben.

       Es war der leise zum Savannafluß abdachende Hang, der sich nach Südost und dem Meer zu, später zu weiten, ausgedehnten Mooren und Sümpfen breitete, hier aber noch, bei trockenerem Boden, in aller Pracht einer schon halbtropischen Welt lag und trotz der vorgerückten Jahreszeit (Dezember des Jahres 18633) dem Wald durch seine immergrünen Magnolien den Glanz und die Zier des Frühlings lieh.

       Weite Strecken füllte hier dieser prachtvolle Baum mit seinen silbergrauen Stämmen, und wenn er auch jetzt gerade nicht mit den herrlichen weißen und duftenden Blumen in Blüte stand, sondern nur die tannzapfartigen Fruchtkolben mit ihren herausquellenden purpurroten Kernen von den Zweigen niederhingen, so boten doch die dickfleischigen, glänzend grünen Blätter einen gar so freundlichen Anblick, und dazwischen wehte dann in zierlichen Festons4 das silbergraue Moos, der sogenannte „Spanische Bart“, und füllte manche von den Wipfeln so vollkommen aus, dass auch kein Sonnenstrahl zwischen den Zweigen durch zur Erde fallen konnte.

       Gewaltige Schlingpflanzen zogen sich dabei in die Wipfel hinein und rankten oft in weiten Schwingungen von einem Stamm zum anderen, und den Boden deckte leichtes Unterholz mit hie und da an den niederen Stellen emporwuchernden und fächerartigen Palmito-Blättern.

       Und stille Ruhe herrschte in dem herrlichen Wald; hie und da huschte wohl dann und wann einmal ein kleines graues Eichhörnchen durch das trockene, über den Boden gestreute Laub, oder ein blauer Häher spottete den Ruf des Falken nach, der hoch in der Luft über die Hänge strich.

       Da – schwere, sprungartige Schritte im Laub, die näher und näher kommen; und aus dem Dickicht bricht, Angst und Entsetzen in den braunen, jetzt aber fast aschgrauen Zügen, ein Mensch, ein gehetzter Mensch hervor, der wohl kein weiteres Verbrechen begangen hatte, als dass er eine schwarze statt einer weißen Haut im Leben trug. Es war ein Mann vielleicht in den vierziger Jahren, kein echter Vollblutneger mit breit gedrückter Nase und wulstigen Lippen, sondern ein Mulatte, von ziemlich dunkler Färbung allerdings, aber mit einem sonst ganz intelligenten, jetzt freilich von Angst und Todesfurcht entstellten Gesicht.

Skalvensteckbrief Jackson


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