Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim. Jürgen Ruszkowski

Seemannsschicksale 1 – Begegnungen im Seemannsheim - Jürgen Ruszkowski


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20 Jahre später wird ein Containerschiff vier herkömmliche Frachter ersetzen und nur noch 12 bis 18 Mann Besatzung benötigen. Der Begriff „Mehrzweckeinsatz“ ist noch unbekannt. Die traditionellen drei Berufsklassen an Bord sind Decksdienst, Maschinendienst und Bedienung. Neben dem Kapitän gibt es noch Berufe an Bord, wie 1., 2., 3. nautischer Offizier, Steuermann, Zahlmeister, Funker, Elektriker, Bootsmann, Zimmermann, Deckschlosser, Matrose, Leichtmatrose, Decksmann, Jungmann, Schiffsjunge, Leitender Ingenieur, 1., 2., 3. Ingenieur, Maschinist, Ing.-Assistent, Lagerhalter, Schmierer, Reiniger, Leitender Steward, 1., 2., 3. Steward, Messesteward, Aufklarer, Koch, Bäcker-Kochsmaat, Schlachter-Kochsmaat, Küchenjunge. Auf Fischereifahrzeugen gibt es noch den Bestmann und den Netzmacher, auf Tankern Pumpmänner, auf „Musikdampfern“ Schiffsärzte, Konditoren und Musiker. Alle diese Berufe finden sich im Seemannsheim ein. Das Alter reicht vom 15. bis zum 75. Lebensjahr. 1970 gibt es in Hamburg vier Seemannsheime. Neben unserem am Krayenkamp noch das evangelische in Altona an der Großen Elbstraße, das katholische „Stella Maris“ in der Reimarusstraße und das der Stadt Hamburg gehörende Hamburger Seemannshaus (heute „Hotel Hafen Hamburg“) in der Seewartenstraße. Unser Heim gilt damals unter den Seeleuten als das modernste, sauberste und billigste. Der Andrang nach den 120, zeitweilig sogar 140 Betten ist so stark, dass wir täglich Nachfragende abweisen müssen und die Verweildauer in der Regel auf vier Wochen beschränkt ist. Nur Seefahrtsschüler und Kranke dürfen länger bleiben. Das Seemannsheim am Krayenkamp ist 1970 noch fest in deutscher Hand, fast! Nein, wir haben bereits 13% Ausländer: Die allermeisten dieser Ausländer, nämlich 12%, kommen aus der benachbarten Bundesrepublik Österreich. Denen hatte man nach dem 1. Weltkrieg ihr Triest abgenommen und so wurde Hamburg ihr Lieblingshafen. Ab und an ist mal ein Türke dazwischen oder ein Grieche, Niederländer, Spanier, Norweger oder Jugoslawe. Viele deutsche Seeleute denken damals noch recht faschistoid und nehmen es mir übel, dass auch ich „Kanaker“ aufnehme und später sogar „Bimbos“.

       Multikulturelle Gesellschaft

      Im Laufe der fast drei Jahrzehnte meines Wirkens in der Seemannsmission wandelt sich einiges: In den 1990er Jahren ist das Klima in unserem Hause wesentlich toleranter. Nach und nach kommen immer mehr Ausländer, zunächst jahrelang als Gastarbeiter wegen Personalmangels zu deutschen Heuerbedingungen. In den 80er Jahren haben wir im Jahresschnitt Seeleute aus 60 Nationen im Hause zu Gast. Türken, Filipinos, Indonesier, Cabo Verden, Spanier, Südamerikaner und Afrikaner aus Ghana und Burkina Faso bilden die größten Gruppen im Heim. Inzwischen hat sich das Verhältnis der deutschen zu den ausländischen Seeleuten im Seemannsheim gegenüber 1970 fast umgekehrt. Wir zählen 1994 noch etwa 22 % Deutsche.

       Aufgliederung der Gäste im Seemannsheim nach Nationalitäten:

      Nation_____1990

      Ausländeranteil 1990: 65%

      Deutschland 468 35%

      Türkei 109 8%

      Spanien 96 7%

      Philippinen 76 6%

      Portugal 62 5%

      Indonesien 52 4%

      Ghana 40 3%

      Österreich 35 3%

      Polen 31 2%

      Chile 30 2%

      Burkina Faso 28 2%

      Cabo Verde 25 2%

      Indien 24 2%

      Ecuador 23 2%

      Großbritannien 19 2%

      Jugoslawien 18 1%

      Nigeria 13

      Ägypten 13

      Kiribati 10

      Benin 9

      Cri Lanca 9

      Columbien 9

      Togo 8

      Marokko 7

      Honduras 6

      Camerun 6

      Griechenland 6

      Niederlande 6

      Elfenbeinküste 5

      Frankreich 5

      Peru 5

      Brasilien 5

      Schweiz 5

      Sowjetunion 5

      Bolivien 4

      Norwegen 4

      USAmerika 4

      Äthiopien 3

      Irland 3

      Uruguay 3

      Pakistan 3

      Burma 3

      Niger 3

      Italien 2

      Tuvalu 2

      CSFR 2

      Costa Rica 2

      Kenia 2

      Bulgarien 2

      Schweden 2

      Hongkong 1

      Rumänien 1

      Jordanien 1

      Algerien 1

      Libanon 1

      Bangladesh 1

      Argentinien 1

      Südafrika 1

      Malediven 1

      Angola 1

      Panama 1

      Finnland 1

      Tansania 1

      Dänemark 1

      Taiwan 1

      Australien 1

      Die Verhältnisse in der deutschen Schifffahrt ändern sich im Laufe der Jahre gewaltig. Anfang bis Mitte der 1970er Jahre erobert der Container und in den 80er Jahren die Elektronik die Schifffahrt. Die Gewerkschaften erstreiken nie geahnte Errungenschaften für die Seeleute. Wurden diese „Fortschritte“ für die Seeleute bald zum Fluch? Ölkrisen, Flaggenprotektionismus und Dollarturbulenzen bringen die maritime Wirtschaft aus dem Tritt und die folgenden Ausflaggungen die alte europäische Seefahrtromantik ins Rutschen. Aus den Schmierern werden eines Tages Motorenwärter, aus den Ingenieuren Technische Offiziere. Der Mehrzweckeinsatz verschmilzt die historischen Gegensätze von Deck und Maschine. Matrosen und Motorenwärter gibt es nicht mehr, sondern Schiffsmechaniker. Bootsmänner und Lagerhalter werden zu Schiffsbetriebsmeistern. Aber sie alle sind auf die Dauer „zu teuer“. Ab 1972 beginnt die Zahl der deutschen Seeleute rapide zu schrumpfen. Ende der 90er Jahre gibt es je nach Zählart noch etwa 10.000 bis 16.000 deutsche Seeleute. Vor dem ersten Weltkrieg, zur Blütezeit der Seemannsmission unter unserem marinebegeisterten Kaiser Wilhelm II, hatten wir in Deutschland sogar einmal über 100.000 Seeleute. Daneben fuhren noch Zigtausende unter fremden Flaggen. Die alte Segelschiffszeit oder die Zeit der Kohlendampfer hatte zwar auch ihre Reize. Das Leben an Bord war aber sehr


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