Sybille lernt reiten. Christine Rödl

Sybille lernt reiten - Christine Rödl


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zu viel Arbeit! Irgendwo muss das Geld doch hergekommen, dass ihr beide verpulvert! Du brauchst heute Abend also nicht auf mich warten. Ich werde mir ein Hotelzimmer, in der Nähe meines Kunden, nehmen“, brüllte ihr Papa nun.

      „Wohl eher ein Hotelzimmer bei deiner neuen Freundin!“ An Sybilles Stimme konnte man hören, dass sie mit den Tränen kämpfte.

      „Und selbst wenn es so wäre“, begann ihr Vater und Nina hörte seine Schritte näher kommen.

      Schnell zog sie die Haustüre von außen zu und schob erneut den Schlüssel ins Schloss. Mit Schwung öffnete sie die Türe ein weiteres Mal und rief so laut sie konnte: „Bin wieder da!“

      Augenblicklich verstummte der Streit ihrer Eltern. Ihr Vater schlüpfte gerade in seinen Mantel und lächelte sie freundlich an.

      „Na, hast du bei der Probe Spaß gehabt?“, fragte er zuckersüß. Hätte sie ihn vorhin nicht gehört, wäre sie nie darauf gekommen, dass die beiden sich noch vor weniger als einer Minute gefetzt hatten. Sie nickte als Antwort auf seine Frage.

      „Ich geh gleich duschen“, wich sie einem weiteren Gespräch aus und rannte an ihm vorbei die Treppe hinauf. Bernd sah ihr kurz nach, dann verließ er das Haus.

      Nina stürzte in ihr Zimmer, schloss die Tür und ließ den Tränen freien Lauf. Schluchzend warf sie sich auf ihr Bett und presste ihr Gesicht in das Kissen. Einen solchen Streit hatte sie zwischen ihren Eltern noch nie mitbekommen. Was, wenn sie sich scheiden ließen? Und was meinte ihre Mutter mit neuer Freundin? Ging Papa ihr fremd? Wie lange verheimlichten sie ihr wohl schon, dass etwas nicht mehr stimmte?

      Fragen über Fragen schossen ihr durch den Kopf, auf die sie keine Antwort fand. Ihr Vater kam bereits seit einigen Monaten abends sehr spät nach Hause und oft bekam sie ihn auch morgens nicht oder nur ganz kurz zu Gesicht.

      „Ob er manchmal einfach überhaupt nicht heimgekommen ist und bei dieser neuen Freundin übernachtet hat?“, überlegte sie und schnäuzte geräuschvoll in ein Taschentuch.

      Am liebsten wäre sie jetzt sofort zurück in den Stall gefahren und hätte ihren Haflinger Donny umarmt und ihm ihre Sorgen erzählt. Doch wie sollte sie das ihrer Mutter erklären? Ersatzweise drückte sie das kleine Kuschelpferd an sich, dass sie zuvor achtlos neben sich auf das Bett geworfen hatte.

      Entschlossen nahm sie ihr Handy in die Hand und rief bei Iris an, doch auch nach dem dritten Versuch, hob sie nicht ab. Sie probierte es bei ihren Freundinnen Lisa und Madeleine, jedoch erreichte sie hier ebenfalls nur die Mailbox.

      „Das ist ja wie verhext“, schimpfte Nina.

      „Ich brauche eure Hilfe!“, schrieb sie in den Gruppenchat, den sie mit ihren drei Freundinnen täglich nutzte. Dann wischte sie sich schnell mit dem Ärmel über das Gesicht und verschwand unter der Dusche, damit ihre Mutter keinen Verdacht schöpfte. Wobei, die war vermutlich eh gerade mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, dachte Nina.

       Kapitel 2

      Am nächsten Tag erwachte Nina früh am morgen. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und warf einen Blick auf ihr Handy. Mehrere Nachrichten von ihren Freundinnen waren eingetrudelt. Sie brauchte einen Augenblick, um sich an ihren gestrigen Hilferuf zu erinnern. Mit einem Schlag war sie hellwach und sprang aus dem Bett. Der Streit ihrer Eltern! Wie der Wind zog sie sich an und schlich leise ins Bad. Sie putzte sich die Zähne und schmiedete währenddessen einen Plan für den heutigen Tag.

      Als sie ihre Morgentoilette beendet hatte, stahl sie sich die Treppe hinunter und lauschte vor der Küchentür, es war nichts zu hören. Nina hatte keine Lust darauf, ihren Eltern zu begegnen. Sie schrieb ihnen einen Zettel, dass sie den Tag im Stall verbringen wollte und schmierte sich zwei Brote. Außerdem steckte sie noch einige Äpfel in ihren Rucksack.

      Sie schlüpfte aus der Haustür und zog sie lautlos hinter sich zu. Es war eisig und die kalte Luft brannte auf ihrer Haut. Doch Nina kümmerte es nicht. Sie schwang sich auf ihr Fahrrad und fuhr damit, so schnell sie konnte, die wenigen Kilometer bis zum Keilhof.

      Rolf, der gerade die Pferde vor dem Misten auf den Paddock führte, sah erstaunt auf, als er sie hörte.

      „Guten Morgen, was machst du denn schon so früh hier? Probe ist doch erst um 10 Uhr?“, fragte er und entließ Popcorn auf den befestigten Auslauf. Der Apfelschimmel machte sich sofort auf den Weg zu der Heuraufe, aus der bereits auch andere Pferde einzelne Heubüschel rupften.

      „Ich dachte mir, ich helfe euch mit der Stallarbeit. Wo ist denn Iris?“ Nina sah sich suchend nach ihrer Freundin um.

      „Sie wollte schonmal im Boxenstall anfangen“, antwortete Rolf und nickte in Richtung des besagten Gebäudes, aus dem er so eben das letzte Pferd geführt hatte.

      Tatsächlich fand sie Iris in einer der Boxen. Sie hievte gerade eine Gabel voll Mist auf eine Schubkarre.

      Ohne zu zögern, nahm sich Nina ebenfalls eine Mistgabel von der Wand. Sie begrüßte kurz ihre Freundin und widmete sich der gegenüberliegenden Pferdebox.

      „Was war denn gestern los? Du hast überhaupt nicht auf unsere Nachrichten reagiert. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht!“ Iris lehnte die Forke an die Boxenwand und trat zu Nina. Diese legte seufzend ebenfalls die Arbeit nieder.

      „Als ich gestern heimgekommen bin, habe ich meine Eltern bei einem riesigen Streit erwischt. Sie waren nur am Brüllen und haben deshalb wohl auch die Haustür nicht gehört“, begann sie und berichtete vom gestrigen Abend.

      Iris hörte ihr aufmerksam zu und fragte schließlich: „Denkst du, dass sich deine Eltern scheiden lassen werden?“

      Nina hatte den Blick gesenkt und wischte sich schniefend mit dem Ärmel über die Augen. „Ich glaube schon“, antwortete sie.

      Iris umarmte ihre Freundin und diese weinte sich eine ganze Weile an ihrer Schulter aus. Es dauerte ein wenig, bis sie sich beruhigt hatte.

      „Wir kriegen das sicherlich wieder hin!“, versprach Iris ihr immer wieder, als müsse sie sich auch selbst davon überzeugen. Wie sie das allerdings genau bewerkstelligen sollten, konnte sie noch nicht sagen.

      Irgendwann straffte Nina die Schultern und richtete sich auf. Sie wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht.

      „Wir sollten jetzt weiter machen. Sonst sind wir bis zur Probe noch immer nicht fertig“, erklärte sie und wandte sich der Mistgabel zu.

      Irritiert sah Iris zu ihrer Freundin, dann nickte sie und widmete sich ebenfalls wieder der Stallarbeit.

      Als die Ställe blitzsauber waren und alle Pferde ihr Futter genossen, gönnten sich die zwei Freundinnen eine kurze Verschnaufpause in der Küche. Sie machten sich Kakao und Nina nahm sich endlich die Zeit die Fragen im Gruppenchat zu beantworten. Sie erzählte Lisa und Madeleine von dem gestrigen Vorfall und ihren Bedenken. Allerdings schienen die beiden noch zu schlafen, da ihre Nachricht weder von ihnen gelesen, geschweige denn beantwortet wurde.

      Iris wechselte schnell das Thema und erinnerte Nina an das bevorstehende Training für das Wintermärchen.

      „Ich bin schon gespannt, wie es heute laufen wird. Mein Papa hat gestern noch einen Baumstamm besorgen können. Ich hoffe, wir kommen da problemlos drüber. Ein Bauer aus der Umgebung stellt ihn uns zur Verfügung und will ihn nachher vor dem Training vorbei bringen“, sprudelte es aus Iris heraus.

      Nina war dankbar für die Ablenkung und leerte ihre Kakaotasse in einem Zug.

      „Worauf warten wir dann noch?“, rief sie und sprang auf. Ungeduldig sah sie ihrer Freundin dabei zu, wie sie ihren Kakao leer trank und schließlich auch aufstand.

      Gemeinsam gingen sie zu dem Offenstall, in dem Hilde und Donny wohnten. Bis jetzt war die Heuraufe dort nicht komplett kahl gefressen, aber der größte Hunger der Herde war gestillt. Nur Gary, ein rangniedriges Pony, zupfte noch Futter heraus.

      Wie jedes Mal riefen sie zuerst


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